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Feingewebt. Seite aus einem Gebetbuch, das zwischen 1515 und 1520 entstand.

© bpk / Kupferstichkabinett, SMB / V.-H. Schneider

Ausstellung: Kupferstichkabinett zeigt Schriftkunst vom Mittelalter bis heute

Schrift als Kunstform statt als Kommunikationsmedium: Noch bis zum 23. Januar präsentiert das Kupferstichkabinett die kunstvolle Welt der Buchstaben.

Die Hand des Schreibers zeichnet die Hand des Schreibers. „Mit Verstand in der Hand“ mahnt das Blatt aus dem 17. Jahrhundert. Akkurat demonstriert der Schreibmeister die richtige Haltung der Feder. Ganz leicht liegt der Schaft auf. Daumen und Zeigefinger führen ohne Druck den Kiel. „Schrift als Bild – Schreiben als Kunst“: Die Ausstellung im Kupferstichkabinett erinnert im Rahmen der Reihe „Welt aus Schrift“ an eine Zeit, als Texte mit Tinte auf Pergament geschrieben so kostbar waren, dass sie von Spezialisten gestaltet wurden. Merkwürdig berührt schaut man aus einer Gegenwart, die das Verschwinden des Papiers vorausahnen lässt, zurück in eine Epoche, als die Schrift noch exklusives Medium war. Wie sah es aus, das Leben ohne Einkaufszettel, Kladden und Notizen?

Der erste lateinische Text, eine Abschrift von Vergils „Georgica“, ist circa. 1500 Jahre alt. Praktische Erwägungen bestimmen die Gestaltung. Die Initialen gliedern den ebenmäßig geschriebenenText. Später nehmen Illustrationen mit Mosaikmuster das Geflecht der Buchstaben auf und verdeutlichen die Präzisionsarbeit des Schreibers. Tatsächlich erinnert die „Textura“ der Handschrift an ein Gewebe.

Bei einem Antiphonarium, einem liturgischen Buch für das Stundengebet, markiert das Porträt des Propheten Jesaja den Anfang. Selbst im Halbdunkel der Kirche konnte der Chor den Antwortgesang finden. Bald arbeiteten in den Scriptorien der Klöster nicht nur die Modisten, die Schönschreiber, sondern auch Künstler, die für Illustrationen verantwortlich sind. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts machte sich das Kölner Klarissenkloster mit seinem Scriptorium einen Namen. Erfolgreich übernahmen die Nonnen auch Auftragsarbeiten für auswärtige Kunden. Die Schriftkünstler spielten mit den Buchstaben, eröffneten Fenster in den Rundungen oder umhüllten die Initialen mit einem feinen Netz aus roten und blauen Blättern, Ranken und Dornen, dem Fleuronnée.

Die Erfindung des Buchdrucks machte die Schrift weit über die Klöster und Kanzleien hinaus populär. Als einer der ersten Herrscher erkannte Kaiser Maximilian I. die Massenwirksamkeit des Drucks. Er trainierte seine Schönschrift, bis er alle Wettbewerbe mit den besten Kanzleischreibern gewann. Vor allem aber faszinierte ihn die Möglichkeit, die eigene Geschichte zu verbreiten. Hans Burgkmair d. Ä. gestaltete für ihn die Biografie des „Weisskunigs“.

Höhepunkt der Ausstellung aber ist die Ehrenpforte, ein monumentaler Triumphbogen, den Albrecht Dürer ab 1512 für Maximilian I. schuf. Der Kaiser wollte seinen Ruhm in der fortschrittlichen Technik des Holzschnitts verewigen. 1518 wurde dieser größte Holzschnitt der Welt fertig. Neben Dürer und Hans Burgkmair d. Ä. arbeitete auch der Nürnberger Schreibmeister Johann Neudörffer d. Ä. an dem Werk. Er soll die „Fraktur“ entwickelt haben, bis ins 20. Jahrhundert die am häufigsten verwendete Druckschrift.

Schreibmeister wie Johann Neudörffer d. Ä. oder der Memminger Johann Kraft warben mit Musterblättern für ihre Kunst, in denen sie sowohl ihre herausragende Handschrift als auch die Schönheit der Druckbuchstaben vorführten. Mit Schwüngen, Schnörkeln und selbstbewussten Ober- und Unterbögen hofften die Kalligrafen den Betrachter zum Nachahmen zu animieren, denn sie lebten auch vom Schreibunterricht. Häufig waren die Lehrer gleichzeitig auch Rechenmeister. Nur dann durften sie die protzige goldene Schrift auf schwarzem Grund verwenden. In labyrinthischen Texten kombinierten sie Worte nach mathematischen Regeln zu grafischen Mustern.

Nachdem sich die Schrift als Kommunikationsinstrument durchgesetzt hat, verblasst die Kunstschrift. Die Mikrografie, Texte in winzigen Buchstaben, die barocken Federzugporträts aus Tintenschnörkeln, wirken manieriert. Doch noch immer wohnt der Schrift ein Geheimnis inne – das stumme Wort. Die Ausstellung im Kupferstichkabinett lässt Diskussionen über Schrift, Legasthenie und Rechtschreibreform vergessen. Sie ruft vielmehr den Reichtum der Schriftkunst ins Gedächtnis, prunkt mit Initialen, Illuminationen und Inkunabeln.

Kupferstichkabinett, Kulturforum, bis 23. Januar; Di. – Fr. 10–18, Do. 10–22, Sa. / So. 11–18 Uhr

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