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Kultur: Ausstellung: Mit dem Schwert der Liebe

Otto der Große lebte jahrzehntelang aus dem Koffer. Immer und immer wieder packten der erste deutsche Kaiser und sein rund 1000 Menschen umfassender Hofstaat ihre Sachen und schoben sich wie ein breiter Strom zur nächsten Residenz - einer Pfalz - oder zu einem gastfreundlichen Untertanen.

Otto der Große lebte jahrzehntelang aus dem Koffer. Immer und immer wieder packten der erste deutsche Kaiser und sein rund 1000 Menschen umfassender Hofstaat ihre Sachen und schoben sich wie ein breiter Strom zur nächsten Residenz - einer Pfalz - oder zu einem gastfreundlichen Untertanen. Nur selten hielt sich Ottos Hof irgendwo länger als sechs Wochen auf. Das ostfränkisch-deutsche Reich des 10. Jahrhunderts konnte es sich nicht leisten, die Last einer Hauptstadt zu tragen. Dazu reichten Infrastruktur und Produktionskapazitäten nicht aus. Waren die Vorräte an einem Ort erschöpft, zog man weiter.

Darüber hinaus musste der Herrscher an möglichst vielen Orten Präsenz demonstrieren, regierte er doch ein lockeres Staatsgebilde aus selbstständigen Herzogtümern und Stammesverbänden, die sich noch lange nicht als kohärenter deutscher Bund verstanden. Bayern, Schwaben, Sachsen, Franken sahen sich als eigenständige Völker. In einer Zeit, in der die Nachrichtenübermittlung von der Schnelligkeit der Pferde abhing und es Wochen dauern konnte, bis man ein Heer gegen untreue Vasallen zusammenbekam, beherrschte der Kaiser kein Reich, sondern nur den Ort, an dem er sich gerade befand.

Und doch hatte der aus dem sächsischen Geschlecht der Liudolfinger stammende Otto I., genannt der Große (936 - 973), eine Favoritin unter seinen Pfalzen: Magdeburg. Hier hielt er am häufigsten Hof. Schon als Prinz, im Jahre 930, übergab er die Stadt - symbolisch - seiner ersten Frau, Edgith, als Morgengabe. Hier wurde Edgith 946 auch bestattet. Nach seinem Sieg über die ungarischen Reiterhorden auf dem Lechfeld (955) ließ Otto den Magdeburger Dom errichten. 13 Jahre später machte er die Stadt an der Elbe gegen alle Widerstände im Reich und in der Kirche zum Erzbistum. Schließlich fand er in "seinem" Magdeburger Dom die letzte Ruhe.

Über 1000 Jahre später zeigt der Kaiser nun wieder Präsenz in Magdeburg: Am Sonntag eröffnete im Kulturhistorischen Museum der Stadt eine große Ausstellung, die ganz auf die Person des Kaisers zugeschnitten ist. "Otto der Große - Magdeburg und Europa" ist gleichzeitig eine Landesausstellung Sachsen-Anhalts und Teil der 27. Europaratsausstellung, deren anderer Teil "Europas Mitte um 1000" gerade im Berliner Gropius-Bau zu sehen war.

Mit großem Aufwand ist das Kulturhistorische Museum in den letzten drei Jahren aus Anlass der Schau für 13,5 Millionen Mark saniert worden. Die Wiederherstellung des Kaiser-Otto-Saales mit seinen monumentalen wilhelminischen Wandgemälden, die den erobernden Kaiser verherrlichen, und einem Reiterstandbild aus dem 13. Jahrhundert, das den majestätischen Herrscher repräsentiert, ist die augenfälligste Veränderung. Weitere rund 8,5 Millionen Mark flossen in die Ausstellung, für die rund 400 Exponate von 170 Leihgebern zusammengetragen wurden. Denn die Herrlichkeit des "ottonischen Konstantinopel" - so die überschwängliche Bezeichnung für Magdeburg aus einer längst versunkenen Zeit - ist mit den Jahrhunderten über den Globus verstreut worden. In großer Fleißarbeit haben die Ausstellungsmacher die Reste in den vergangenen fünf Jahren zusammengetragen. In den sechs Räumen, die die gesamte Ausstellung beherbergen, finden sich vor allem sakrale Gegenstände, etwa prachtvoll bemalte Evangelien, und Urkunden, die uns das frühe Mittelalter näherbringen sollen. Das liegt an der Überlieferungssituation dieser Epoche, in der es die Mönche waren, die Geschichte notierten, und Kanzleischreiber, die weltliche Verwaltungsakte in Urkundenform festhielten. Die farbenprächtigen Miniaturen, zum Beispiel von der jüngst zum Weltkulturerbe erkorenen Klosterinsel Reichenau, nähren den Drang, in 1000 Jahre alten Handschriften zu blättern. Doch dickes Glas schützt sie vor einem derart zerstörerischen Zugriff. Ein Höhepunkt erwartet den Besucher in der Abteilung "Magdeburg - Die königliche Stadt": wertvolle Elfenbeinschnitzereien aus einem großen Zyklus, der das Leben und Sterben Jesu zum Thema hat. Otto selbst gab diese Tafeln bei oberitalienischen Meistern in Auftrag, für den Magdeburger Dom. Wahrscheinlich schmückten sie eine Kanzel oder den Bischofsthron. 16 Tafeln sind noch erhalten, ursprünglich waren es wohl etwa 50. In Magdeburg blieb keine einzige Platte zurück. Es ist ein großes Verdienst der Ausstellungsmacher um Museumsdirektor Matthias Puhle, sämtliche erhaltenen Stücke noch einmal für eine kurze Zeit in Magdeburg zusammengeführt zu haben.

"Die erste große Mittelalter-Ausstellung im Osten", freute sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner und griff zu einem Vergleich, um auch den Westdeutschen die Bedeutung der Otto-Ausstellung vor Augen zu führen: "Diese Ausstellung ist für den Osten so wichtig wie die große Ausstellung zu Karl dem Großen in Aachen - 1965." In gewisser Hinsicht ist die Magdeburger Schau auch deren Fortsetzung. Denn mit Otto dem Großen erblühte im ostfränkischen Teilreich von Karls Imperium eine Renaissance karolingischer Kunst und Kultur. Die Liudolfinger-Dynastie - von der Königskrönung Heinrichs I. 919 über die drei Ottos bis zum Tode Heinrichs II. 1024 - berief sich bewusst auf die Tradition Karls des Großen und auf dessen imperialen Großmachtgestus. Otto der Große ließ sich auf Karls Kaiserthron in Aachen zum König krönen. Mit seiner Italienpolitik und seiner Kaiserkrönung 962 in Rom begann der letzte realpolitische Versuch, das Römische Reich wieder aufleben zu lassen.

Auf den ersten Blick war Ottos Politik weniger eine der Diplomatie, denn eine des Schwertes. Gewaltsam suchte er, im Osten die Slawen zu christianisieren und seinem Reich einzuverleiben, mit einem Heer wehrte er 955 die immer wieder ins Reich einfallenden Ungarn ab und zwang sie, sesshaft zu werden, und schließlich fiel er mehrfach kriegerisch in Italien ein. Damit war Otto keine Ausnahmeerscheinung im 10. Jahrhundert. In Anlehnung an Clausewitz charakterisiert der Historiker Karl Leyser das frühe Mittelalter als Epoche, in der die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln gewesen sei.

Eine Ausnahme bildete dagegen Ottos Heiratspolitik, die ihm Eroberungen und Allianzen ganz ohne einen Schwertstreich ermöglichte. So gewann er durch die Ehe mit der langobardischen Königswitwe Adelheid Norditalien hinzu, eine Basis, die ihm den Griff nach Rom und damit nach der Kaiserkrone gestattete. Die Vermählung seines Sohnes, des späteren Königs Otto II., mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu erlaubte ihm den Ausgleich mit dem Kaiser in Konstantinopel, der Ottos Italienpolitik mit Misstrauen beobachtete. Dem Anlass und der sprichwörtlichen byzantinischen Prachtentfaltung angemessen, ließ Otto eine prunkvolle Eheurkunde aufsetzen. Das 1,50 Meter lange und 40 Zentimeter breite Pergament zeigt auf purpurnem Grund Medaillons mit kämpfenden Tieren. Der Ehevertrag selbst ist mit Goldtinte auf das Pergament aufgesetzt, in absolut gleichmäßigen Buchstaben, die an einen Druck denken lassen. Die Urkunde ist eines der bedeutendsten Kunstwerke der Magdeburger Ausstellung.

Und so waren es Schwert und Ehe, mit denen Otto der Große die Grundlagen des heutigen Europas legte - und seinem Enkel Otto III. die Chance gab, um die Jahrtausendwende einen ersten friedlichen Schritt der europäischen Integration zu tun: die Verständigung mit dem polnischen König Boleslaw Chrobry und dem ungarischen König Stephan.

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