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Geheimnisvoll. Dosso Dossi, Hofmaler des Herzogs von Ferrara, malte die „Allegorie der Fortuna“ um 1530.

© Getty’s Open Content Program

Ausstellung „Nacktheit in der Renaissance“: Ungezogen, ausgezogen

Als Künstler in Nord und Süd den menschlichen Körper entdeckten: Die Ausstellung „Nacktheit in der Renaissance“ in London vereint zwei Sichtweisen.

Schon vorab ist über diese Londoner Ausstellung gestritten worden, deren Titel „The Renaissance Nude“ sich nicht gleichermaßen griffig ins Deutsche übersetzen lässt. Es geht nicht nur um „Akte“, also idealisierte Darstellungen zumeist des weiblichen Körpers, sondern es geht um das Nackte, das Unbekleidetsein als solches. Da wurde über Quotierungen spekuliert, und als die Leitung der Royal Academy verlauten ließ, es würden genauso viele männliche wie weibliche Nackte zu sehen sein, kam der abstruse Gedanke auf, richtiger wäre eine Quotierung nach männlichen und weiblichen Künstlern, als ob sich die Kunstgeschichte rückwärtig auf heutige gender equality zurechtrücken ließe.

Man täte der sorgfältigen Arbeit von Thomas Kren, dem Kurator der am Getty Museum in Los Angeles erarbeiteten Ausstellung, bitter unrecht, wollte man sie auf solche Plattitüden reduzieren. Kren ging es darum, die Geschichte der Darstellung von Nacktheit synchron für die südliche wie die nördliche Malerei auszuloten. Auf diese Weise wird die Renaissance, die im Ausstellungstitel zitiert wird, als eine sehr viel differenziertere Epoche sichtbar, als es die Beschränkung auf die Wiederentdeckung antiker Schriften im Italien vor allem des 15. Jahrhunderts suggeriert. Und natürlich löste die Neugier auf die Antike, die zur Darstellung heidnischer Themen führte, nicht einfach die hergebrachte christliche Frömmigkeit und ihre ungeheure Bildproduktion an biblischen historiae ab. Die biblischen wie die antiken Geschichten existierten nebeneinander.

Freilich mit deutlicher geografischer Unterscheidbarkeit. Der Norden, in dieser Ausstellung von Hans Multscher bis Albrecht Dürer präsent, ist stärker der Wirklichkeit verpflichtet, und die bedeutete in der hier untersuchten Epoche von ungefähr 1400 bis 1530 nun einmal körperlichen Verfall, Hässlichkeit und Tod. Hans Baldung Griens wunderbare Zeichnung „Der Tod und das Mädchen“ von 1515 aus dem Berliner Kupferstichkabinett bringt beide zusammen, den zum Gerippe abgemagerten Körper des Alters und die volle Figur der Jugend. So wurde das individuelle Schicksal zum Einzelfall der Bestimmtheit des Menschen.

Ein Nacktbild von Lucas Cranach darf nicht fehlen

Die Künstler appellierten an die Glaubensbereitschaft, um der drohenden ewigen Verdammnis zu entgehen, die sie auf den so überaus beliebten Tafeln mit dem Jüngsten Gericht darstellten, wie Dieric Bouts um 1469 in seinem Diptychon – auf der rechten Tafel die nackten Sünder, die den Qualen der Hölle anheimfallen, auf der linken die schönen Nackten, die frei von Sünde ins Paradies einziehen.

Der Süden hingegen, hier repräsentiert von Mantegna bis Bronzino, entdeckt die Schönheit des idealen Körpers, für die sich in der antiken Mythologie die entsprechenden Sujets finden, beispielsweise Danae, die von Jupiter in Gestalt eines Goldregens (!) beglückt wird, wofür Ovids „Metamorphosen“ die literarische Grundlage liefern. Correggio hat sie um 1530 gemalt – doch dieses Gemälde, wie leider manch anderes auch, war nur zur ersten Ausstellungsstation in Los Angeles ausgeliehen und wurde für London nicht verlängert. Der ebenso schöne wie gelehrte Katalog im Großformat muss da manche Fehlstelle in seinen Abbildungen ergänzen.

Ein Gemälde wie „Herkules und Deianira“ aus der Hand des Flamen Jan Gossaert von 1517 zeigt, wie sich die Rezeption der Antike verbreitet hatte. Dass eines der zahlreichen Nacktbilder von Lucas Cranach – oder oft genug „nur“ aus seiner Werkstatt – nicht fehlen darf, versteht sich von selbst – hier in Gestalt eines „Fauns mit seiner Familie“, den das Getty Museum in seiner enormen Sammlung bewahrt.

Verbreitung neuer Ideen durch grafische Techniken

Das zahlenmäßige Übergewicht, das die Grafik in der zwischen Nord und Süd fein austarierten Londoner Ausstellung im Obergeschoss der Royal Academy bekommt, hat gleichwohl ihr Gutes: Denn im Medium der Grafik ereignet sich die Verbreitung der neuen Ideen, für deren Gesamtheit der Begriff der Renaissance steht. Man kann es derzeit in der Berliner Mantegna-Bellini-Ausstellung ebenso verfolgen. Mantegnas antikisierende Kompositionen, in denen er die für immer verlorenen griechisch-römischen Vorbilder imaginiert, konnten europaweit nur Einfluss gewinnen durch die Verbreitung als Stiche. Dasselbe gilt für Dürer, dessen Grafik auch südlich der Alpen eifrig gesammelt wurde. Dass die grafischen Techniken zudem für die Verbreitung von Erotica genutzt wurden, mochten solche Darstellungen ursprünglich auch von Meistern wie Raffael stammen, versteht sich von selbst. Vom idealen Körper ästhetischen Wohlgefallens zum sexuellen Stimulans war es stets nur ein Schritt.

Nord oder Süd, das ist schließlich gar nicht mehr die Frage. Eines der eindrucksvollsten Werke der Ausstellung stammt von dem Italiener Dosso Dossi, „Der Mythos von Pan“ aus dem Jahr 1524. Unter einem Zitronenbaum finden sich eine schlafende Venus, aber auch eine bekleidete Schönheit, deren raffiniertes Gewand mehr hervorhebt, als schiere Nacktheit es vermag. Im Hintergrund des Bildes ist eine Stadt dargestellt – aber keine antike oder zeitgenössisch toskanische, sondern eine, die mit spitzen Türmen eher als nordeuropäisch zu deuten ist. Der Pan, um den es dem Bildthema nach geht, spielt nur eine Nebenrolle.

Oft schwingt ein homoerotischer Ton mit

Erste Rezensionen der Ausstellung beeilten sich darauf hinzuweisen, dass in den Darstellungen nackter männlicher Körper oft genug ein homoerotischer Ton mitschwingt, wenn nicht gar den Anlass bildet, wie bei Agnolo Bronzinos rätselhaftem „Hl. Sebastian“ von 1529, der nun überhaupt nichts mehr von einem Märtyrer hat. Objekt der Begierde? Sei’s drum; schließlich kannte und schätzte schon die heidnische Antike die Knabenliebe.

Mit der Nacktheit beiderlei Geschlechts ging es indessen im christlichen Abendland zu Ende. Die Übermalung diesbezüglicher Stellen auf Michelangelos 1541 vollendetem, alsbald als anstößig empfundenem „Jüngsten Gericht“ an der Stirnwand der Sixtinischen Kapelle bildete dazu den Auftakt. Doch was einmal gesehen und gemalt worden war, ließ sich nicht mehr vergessen machen.

London, Royal Academy, Piccadilly, bis 2. Juni. Katalog kart. 28, geb. 48 GBP – Mehr unter www.royalacademy.org.uk

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