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Ausstellung "Pictopia": Große Augen, kleine Datei

Spiel mit mir: Kleine globale Figuren und Maskottchen haben mit der digitalen Revolution einen Siegeszug in Medien, Werbung und Freizeit angetreten. Das Haus der Kulturen der Welt öffnet mit "Pictopia" die Tür zum Kosmos der "Characters".

Sie kamen aus dem Internet. Sie zwängten sich durch die langsamen Leitungen alter Telefonnetze auf die Bildschirme und sahen uns an: fremde Gesichter. Punkt, Punkt, Komma, Strich, mehr passte nicht durch. Die Datenraten waren noch niedrig in den Neunzigern. Und wenn Bilder Aufmerksamkeit haben wollten, mussten sie in kleinen Dateien kommen und große Augen haben. Es war vor gut zehn Jahren, als Peter Thaler merkte, dass hier eine neue Sprache entstand, in Chats, auf Design-Websites, in Online-Werbung: abstrahierte Figuren, die nichts wollten als Aufmerksamkeit. „Diese Sprache war neu, sie war extrem offen und kursierte extrem schnell.“

Der Animationsfilmer war gerade gelangweilt von seinem Beruf, „von bunten, knubbeligen 3-D-Tieren, die auf der Suche nach ihren Eltern waren“. Wie erfrischend dagegen die neuen, harten, limitierten Formen. Gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler Lars Dehnicke gründete Thaler das Berliner Büro Pictoplasma und begann, diese seltsamen Wesen und ihre Verbreitung zu verfolgen.

Sie sind groß geworden, all die Icons und Characters, die Smileys und „Hello Kittys“. Sie haben die Bildschirme zurückgelassen, sie grüßen aus Büchern, von Handtaschen und Werbeplakaten, sie haben Körper eingenommen und tummeln sich in den nächsten Wochen im Haus der Kulturen der Welt, wo am Donnerstag die Ausstellung „Pictopia“eröffnet wird. Am Wochenende treffen sich Gestalter und Wissenschaftler aus aller Welt zur dritten Pictoplasma-Konferenz. Parallel führt in Mitte ein „Character Walk“ in 30 Galerien durch die Welt gezeichneter, gemalter, genähter und geschnitzter Figuren.

Die Berliner Gruppe Raumlabor hat mit ihrer Ausstellungsarchitektur einen spektakulären Erlebnisparcours geschaffen. Eine riesige Hüpfburg begrüßt den Besucher im Foyer. In der Ausstellungshalle haben Weißenseer Kunststudentinnen Comicfiguren in Autoscooter verwandelt (ja, man darf selber fahren!). Aus einer Ecke winkt eine Riesenmarionette. Und in einer der vielen Einzelkammern ist zwischen Willehad Eilers Puppenpaar noch ein Platz auf dem Sofa frei, um sich in deren Arme zu lehnen und gemeinsam dem Fernsehprogramm zu folgen.

Die Ausstellung weckt die Lust, den Werken im Spiel zu begegnen, und wirft dabei ernste Zweifel auf. Es sind uralte Themen, und Arbeiten wie Boris Hupeks Kartonhütte, in deren Innerem ein zum Totem verwandelter Spielball an eine Schnur gespannt hängt, verweisen offen darauf: Haben Bilder ein Eigenleben? Haben sie ein Begehren? Pervers sind sie ja, wie die nackten Glupschaugenmädchen, die sich in Gary Basemans großartigen Folk-Art-Travestien mit rosa Klonhündchen vergnügen. Was wollen die von uns? „Wir haben einen Körper“, beschreibt Lars Dehnicke die magische Beziehung zwischen Belebtem und Unbelebtem, „Bilder haben keinen. Je abstrakter sie sind, desto mehr wecken sie unsere Imagination. Sie locken uns hinter die Oberfläche.“ Der Name Pictopia steht für die Utopie, in Bildern zu einer universalen, globalen Sprache zu finden. Der Gedanke lag in den Neunzigern nahe, als sich die Kommunikationswege radikal verkürzten und Techno ein universales Wir-Gefühl transportierte. „Letztlich ist das aber unmöglich“, sagt Peter Thaler. „Bilder sind immer kulturell konnotiert.“

In Sam Gibbons’ acrylbunter Holzschnittarbeit ist ein Knäuel aus Comichasengliedmaßen überhaupt nicht mehr bemüht, Kontakt aufzunehmen, sondern nur mit Masturbation beschäftigt. Die spiegelsymmetrische Form stellt nicht nur den Gegensatz von Original und Kopie infrage, sondern den von Gegenstand und Abbildung überhaupt. Ben Frosts „Self-regenerating Bambi“, in dem die Mutter aller Animationsfiguren ihre Kinder am Fließband ausspuckt, erinnert daran, dass die Technik des Remixing inzwischen auch die Körper ergriffen hat, wie J. W. T. Mitchell ausführt. Der Begründer des „pictorial turn“ in den Kulturwissenschaften sieht im Unbehagen am Klonschaf Dolly religiöse Bilderverbote am Werk, die die Moderne eigentlich überwunden glaubte.

Hält man in der bunten Welt von Pictopia einen Moment inne, kann sich eine irritierende Frage stellen: Wer spielt hier eigentlich mit wem?

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 3. Mai, Mi–Mo 11–19 Uhr. Character Walk in 30 Galerien bis 22. März.

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