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Neubeginn. Am 13. September 1955 besiegelte Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau mit Ministerpräsident Nikolai Bulganin die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion.

© BArch, Bild 183-32875-0001/ Heilig

Ausstellung "Russland und Deutschland": Brüder sucht man sich nicht aus

Die Ausstellung „Russland und Deutschland – von der Konfrontation zur Zusammenarbeit“ im Gropius-Bau erzählt eine komplizierte Beziehungsgeschichte.

Ein günstiger Zeitpunkt ist es gerade nicht, in den diese Ausstellung fällt. Freimütig räumt auch die Kuratorin Julia Franke ein, dass die Erarbeitung der Ausstellung „Russland und Deutschland – von der Konfrontation zur Zusammenarbeit“ von „den gegenwärtigen Spannungen überschattet war“. Gewiss, nimmt man ihren Anlass und Ausgangspunkt, die 70. Wiederkehr des Kriegsendes, also den absoluten Nullpunkt im deutsch-russischen Verhältnis zum Maßstab, so erscheint die Bilanz dieser komplizierten Beziehungsgeschichte durchaus respektabel, ja als Beispiel erfolgreicher Verständigung über Abgründe hinweg. Doch die aktuelle Abkühlung dieses Verhältnisses, die wir seit Putins neuimperialer Politik erleben, macht, umgekehrt, drastisch deutlich, dass die beiden Länder schon einmal auf einem besseren Wege waren.

Allerdings leidet die Ausstellung, die gemeinsam vom Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst und dem Staatsarchiv der Russischen Föderation erarbeitet wurde, auch an dem generellen Problem historischer Dokumentationen. Der Stoff, aus dem sie ist, sind Verträge, Protokolle, graue Berichterstatter-Fotos, „Flachware“ im Museumsjargon. Mit der Folge, dass die Realien-Elemente der Ausstellung ihren Höhepunkt so ziemlich mit dem Füllfederhalter erreichen, mit dem Lothar de Maizière 1990 in Moskau den Zwei-plus-Vier-Vertrag unterschrieb, und dass sich das Anekdotische, ohne das Geschichte in Gefahr ist, fad zu bleiben, in Filmsequenzen erschöpft. So wird der Adenauer-Besuch in Moskau 1955, mit dem die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion begannen, vom ersten Fußball-Länderspiel beider Staaten begleitet. Da steht noch die Weltmeistermannschaft von 1954 auf dem Platz, Fritz Walter übergibt das Gedenkfähnchen, Helmut Rahn sprintet an der Außenlinie entlang – und die Bundesrepublik verliert, umgekehrt zum Wunder von Bern, 2 : 3.

Die drei Säle im Martin-Gropius-Bau führen, so redlich wie umsichtig, einen eher trockenen Geschichtsparcours vor, abgesteckt mit den signifikanten Ereignissen und Stationen, eingebaut vom Ausstellungsdesign in ein durchlaufendes Farbband, das das Thema zwar sicher durch die Jahrzehnte führt, aber eben auch optisch-emotional einebnet.

Es wird durch ein gutes Dutzend Biografien schlaglichtartig beleuchtet – von Lew Kopelew und Heinrich Böll, den Galionsfiguren der Verständigung, bis zur Schlagersängerin Helene Fischer, über die man lernt, dass sie eine Russlanddeutsche ist. Knappe Leitsätze versuchen, der Geschichte den inhaltlichen Rhythmus zu geben: Danach führt sie von der Kapitulation über eine Phase der Annäherung in den fünfziger Jahren zu einer Verhärtung der Gegensätze – die Zäsur ist selbstverständlich der Mauerbau – und zu intensiverer Zusammenarbeit im Zuge der Ost-Politik bis zu jenem Umbruch und Aufbruch, für die die Perestroika und das Ende der Sowjetunion stehen.

Das Schema ist, alles in allem genommen, plausibel. Es hat auch Etliches im Schlepptau, was die Spannweite dieser Beziehungen illustriert. Dokumente zum Beispiel über die Errichtung der sowjetischen Speziallager und die Verbringung der deutschen Raketentechniker in die Sowjetunion aus den frühen Besatzungszeiten. Den Gründungsaufruf der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion – nachmals eine Alibi-Massenorganisation unter dem Namen Deutsch-Sowjetische Freundschaft – mit den Unterschriften des Leipziger Thomaskantors Ramin und des Philosophen Hans-Georg Gadamer. Ein Gespräch von Chruschtschow und Ulbricht zwei Wochen vor dem Mauerbau, das in seiner Mischung von unverstellter Offenheit und nüchterner Erörterung der Einzelheiten dem Gespräch zweier Ganoven vor dem Einbruch gleicht.

Freilich nehmen die Phasen dieser Geschichte zu wenig Gestalt an. Und das eigentlich Dramatische an dieser Geschichte dringt nicht wirklich in das Bild, das die Ausstellung entwirft: dass dieses Verhältnis die längste Zeit ein geteiltes Land betraf, von dem der eine Teil unter Kuratel der Sowjetunion stand, während der andere ihr bestenfalls als Wirtschaftspartner begegnete. Und dass die russische Seite das Erbe des deutschen Vernichtungskrieges zu tragen hatte.

Was diesen dunklen Urgrund der Beziehungen angeht, so kommt er erst am Schluss der Ausstellung mit der bewegenden Rede zur Sprache, die der greise Schriftsteller Daniil Granin 2014 im Bundestag hielt. Offen bleibt auch, was es für dieses Verhältnis bedeutete, dass Russen jahrzehntelang in einem Teil Deutschlands standen? Als „Brudervolk“ in der offiziösen Lesart vom Volkswitz mit dem Spott ironisiert, dass man sich Brüder nicht aussuchen kann. Schuf es mehr Nähe oder mehr Distanz – oder beides in einer schwer zu begreifenden Mischung?

Am Ende bleibt der Eindruck, die Ausstellungsmacher hätten sich immer wieder selber auf die Zunge gebissen, um politisch nirgendwo anzuecken und das Projekt über die Runden zu bringen. Insgesamt wirkt der Zugriff auf das große Thema überaus vorsichtig, absichernd und das Resultat unter dem Strich deshalb eher dürftig. Dem Luftikus Michael Rust, der 1987 auf dem Roten Platz landete, geschieht mit der Aufnahme in die Ausstellung vielleicht ein wenig zu viel der Ehre. Ein biografischer Blick auf einen Publizisten wie Klaus Mehnert, der die Russen als sein zweites Volk begriff und mit seinem Buch „Der Sowjetmensch“ (1958) das Russlandbild von Generationen von Westdeutschen prägte, hätte eine Seite aufgeschlagen, die dem Projekt gutgetan hätte. Das Gleiche gilt zum Beispiel für Cornelius Weiss, Sohn eines der nach Russland verbrachten Spezialisten, dort aufgewachsen und als Rektor der Universität in Leipzig beteiligt am Neuanfang in der DDR. Seine Erinnerungen, sein „Leben zwischen Ost und West“, wie ihr Untertitel heißt, breiten einen eindrucksvollen Aspekt dieses schwierigen Verhältnisses aus.

Martin-Gropius-Bau, bis 13. Dezember, Mi-Mo 10-19 Uhr.

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