Erst im Januar schickte das italienische Modehaus Valentino ein mit kleinen Blüten besticktes Kleid über den Laufsteg, bodenlang, weich in der Bewegung, elegant und romantisch. Keine Frage, das ist das Kleid, das Botticelli vor mehr als 530 Jahren seiner Primavera auf den Leib malte – es ist wahrscheinlich das am häufigsten interpretierte Kleid der Kunstgeschichte.
Der britische Designer Alexander McQueen hatte schon ein paar Jahre zuvor das Liebliche gebrochen, indem er echte Blumen auf einem ausladenden Kleid anbringen ließ, die noch während der Modenschau abfielen und verwelkten. Trotzdem war es in all seiner morbiden Vergänglichkeit schön.
Botticellis Darstellung der weiblichen Schönheit macht es den heutigen Modedesignern leicht. Er malte Kleider, die so sehr unserer heutigen Vorstellung eines schönen Kleides entsprechen, dass man sie einfach nachschneidern kann. Eine Frau kann sich darin elegant und nicht eingezwängt fühlen.

Rosa Genoni stellte schon 1906 eine Botticelli-Kreation vor
Umso erstaunlicher, dass es bis heute keine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema gibt. Als erster Anknüpfungspunkt für Ruben Rebmann, den Kurator der Ausstellung „Botticelli Renaissance“, bot sich das Kleid an, das Lady Gaga vor zwei Jahren bei der Vorstellung ihres Albums „Venus“ in London trug. Schon 1993 hatten es Dolce & Gabbana entworfen. Das italienische Designerduo hatte Fragmente der „Geburt der Venus“ auf ein Kleid drucken lassen – das perfekte Kostüm für einen der perfekt durchchoreografierten Auftritte der Popsängerin.
Es ist schon ungewöhnlich, dass sich ein Kurator intensiv mit der Veröffentlichung eines Pop-Albums beschäftigen muss, um Bezüge zu Mode und zur Werbung zu finden. „Lady Gaga geht nicht auf die Quelle zurück, sie greift eine Spiegelung auf“, sagt Rebmann.
Denn die berühmtesten Bilder von Botticelli kennt man lange, bevor man die Originale sieht – von T-Shirts, Tassen, Duschvorhängen. Schon hundert Jahre vor Lady Gaga ließ sich eine amerikanische Gesellschaftsdame in einer Illustrierten als Botticelli-Figur in einem wallendem, bestickten Kleid abbilden. Eine der ersten Modeschöpferinnen, die eine Botticellikreation vorstellte, war 1906 die Italienerin Rosa Genoni. „Sie hat reiche Nachfolge gefunden“, kommentiert Rebmann.

Die Venus ist ein großes Vorbild für die Vermarktung von Mode
Als Rosa Genoni ihre Botticelli-Version entwarf, kam gerade die Reformbewegung auf. Dazu gehörte es, die Frauen vom Korsett zu befreien, sie sollten sich bewegen können. „Die Adaptionen machen sich vor allem an der optischen Leichtigkeit fest“, erklärt Rebmann. Dabei ist der Bezugspunkt immer derselbe, nämlich „Die Geburt der Venus“ und die „Primavera“. Dort sind sechs Frauenfiguren zu sehen, die Grazien und Flora, die Göttin der Vegetation in einem leichten, wallenden Kleid, das mit lauter Blumensträußchen bedeckt ist.
Leichtigkeit, Schlankheit und Bewegung spielen auf den Gemälden Botticellis eine große Rolle. Die Frauen bewegen sich in wehenden Kleidern, die Haare werden offen getragen und vom Wind zerzaust. Diese Attribute findet man selbst bei der Venusfigur, die zwar nackt ist, aber mit ihrem verhangenen Blick und ihrer Körperhaltung ein großes Vorbild für die heutige Vermarktung von Mode abgibt.
1938 brachte die italienische Modeschöpferin Elsa Schiaparelli die Kollektion „Pagan“ heraus. Auch sie nahm direkt Bezug auf „Primavera“ und „Die Geburt der Venus“. Kleider ließ sie mit echt aussehenden Blüten, Blättern, Zweigen und Insekten besticken, bei einem legt sich ein Kranz künstlicher Blüten um den Halsausschnitt. Schiaparelli hatte Kontakte zu surrealistischen Künstlern. „Wenn man sich die Art der Vegetation anschaut, kann man schon an manche Malereien von Max Ernst denken, es hat etwas Dunkles“, sagt Rebmann. Elsa Schiaparelli transportierte mit ihren Entwürfen eine ganz bestimmte Schönheit, jugendlich und herb – wie Botticelli-Frauen.
- Venus ist das Maß
- "In Italien wächst man in einem Freilichtmuseum auf"
- The Botticelli Renaissance - Rahmenprogramm zur Ausstellung
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