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Ausstellung: Türkiyemspor, das neue Deutschland

Bei der WM sind sie nicht dabei - kicken können sie trotzdem. Die Kreuzberger Foto-Ausstellung "Schuhgröße 37" zeigt Fußballerinnen aus Ägypten, Palästina, der Türkei und Berlin

Sie sprechen Türkisch, Arabisch und Deutsch durcheinander, auch wenn der Trainer Murat Dogan versucht, Deutsch als Hauptsprache durchzusetzen. Mal sind die Väter dagegen, dass ihre Töchter Fußball spielen, dann sind sie stolz. Wenn sie gefragt werden, für wen sie in der Nationalmannschaft spielen würden, sagen die Spielerinnen „Deutschland“, auch wenn die Familie sich vielleicht noch „Türkei“ wünschen würde. Und überhaupt sagt eine Spielerin selbstbewusst: „Türkiyemspor ist wie das neue Deutschland, alles durcheinander, alles bunt gemischt. Und alle sind wir Deutsche.“

Identitätsfragen, Nationalitätsfragen oder Religionsfragen, dafür muss der Berliner Verein gern als Vorzeigebeispiel herhalten. Auch wenn die kickenden Mädels viel lieber nur einfach über Fußball sprechen würden. Das verbindet sie mit ihren Kolleginnen in Ägypten, der Türkei oder Palästina. Sie alle haben es nicht leicht, ihre Leidenschaft durchzusetzen, und sei es nur, weil dem Frauenfußball bislang die finanzstarken Sponsoren fehlen, WM hin oder her. Doch eine „Football undercover“-Dramatik fehlt den lebhaften Porträtfotos von Claudia Wiens, die die Kuratorin Susan Kamel nun im Kreuzberg-Museum präsentiert, fast vollständig. Keine Unterdrückung und heimliche Leidenschaft, wie sie Jafar Panahi in seinem gefeierten Film „Offside“ für den Iran zeigte. Die Fußballerinnen in Berlin wie in Ramallah tragen Kopftuch, oder sie tragen keins, ganz wie sie wollen und wie sie sich entscheiden. Und im Stadion in Kairo, im türkischen Samsun oder in Al Ram im Westjordanland jubeln männliche und weibliche Fans gleichermaßen ihrem Team zu.

Bei der Fußball-WM in zwei Wochen sind sie nicht dabei, die Teams aus Palästina, Ägypten oder der Türkei. Immerhin, die Türkei war nah dran, scheiterte im Qualifikationsspiel gegen Österreich. Und darf dafür im kommenden Jahr die U19-EM ausrichten. Hier ist Frauenfußball inzwischen ein Boom-Thema: Die Teams rüsten auf, im regen Austausch zwischen Köln, Frankfurt und Istanbul. Kickerinnen wie die für Köln spielende Zweitliga-Torschützenkönigin Bilgin Defterli rekrutieren längst für ihre türkische Heimat. Und in Deutschland aufgewachsene Fußballerinnen wie Fatma Kara oder Cansu Yag wechseln zu Trabzonspor an die Schwarzmeerküste. Wiens’ Fotos zeigen begeisterte Schulkinder beim Sommercamp und ein selbstbewusstes Nationalteam auch nach der Niederlage. Die Fotografin, die nach einigen Jahren in Kairo nun in Istanbul lebt, hat erkennbar das Vertrauen ihrer Protagonistinnen gewonnen.

Da geht es in Ägypten und Palästina anders zu. Oft können die Spielerinnen dort nicht auf Rasen trainieren, sondern auf Beton oder Sand, auf schäbigen Plätzen, die Karrieren verlaufen von Hinterhöfen und Straßenkicken mit Glück in die besser ausgestatteten Vereine von Wadi Degla. Das palästinensische Nationalteam kann ohnehin fast nie zusammen trainieren – Spielerinnen aus der Westbank und aus Gaza finden nur bei Auswärts-Spielen zusammen. Und doch auch hier: Bilder voller Vitalität, Farbenfreude, Lebenskraft. Frauenfußball ist Erwachen, Emanzipation und Selbstbestimmung jenseits aller Geschlechterdebatten. Die Fotos von Claudia Wiens zeigen eine fröhliche, selbstbewusste Zukunft, in Berlin wie in Bethlehem. Christina Tilmann

„Schuhgröße 37“ Kreuzberg-Museum, Adalbertstr. 95A, bis 27. August, Mi–So 12–18 Uhr. www.kreuzbergmuseum.de

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