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Ausdruck der Verlassenheit. Charles Johnstones „Little Red Car“, Kuba 2006.

© Kommunale Galerie Berlin

Ausstellung über das Auto: Noch stiller stehen

„Drive Drove Driven“: Die Kommunale Galerie Berlin zeigt eine Ausstellung über das Auto in der Fotografie.

Die Geschichte des Autos ist die Geschichte des Menschen. Sie erzählt genauso von der Konsumgesellschaft wie der Umweltzerstörung, von der Industrialisierung ganzer Nationen wie der Selbstermächtigung des Individuums. Je nach Standpunkt kann man im Automobil das Praktische des Transports, das Ästhetische des Designs oder das Soziologische der Distinktion sehen. Letztlich ist das Auto eine Projektionsfläche und verrät wahrscheinlich mehr über uns als über sich selbst.

Entsprechend vielfältig sind die Perspektiven, die die Ausstellung „Drive Drove Driven - Autos in der zeitgenössischen Fotografie"“ in der Kommunalen Galerie auf dieses Objekt der Sehnsucht und des Hasses ermöglicht. Die von Matthias Harder eingerichtete Schau vereint über 100 Aufnahmen von 23 überwiegend in Berlin lebenden Fotografen und bereist weltweit Städte der Autonationen: von Omaha über Berlin bis nach Tokio.

Die Bilder blicken in die Vergangenheit und in die Zukunft: Oldtimer und Überreste verlassener Karren stehen neben schwebenden Autos, die am Computer generiert wurden. Man sieht zweckentfremdete Wagen und Autos in artgerechter Haltung, Fahrzeuge in ihrem natürlichen Lebensraum und Autoteile als Alleinunterhalter. In kontrastreichem Schwarzweiß etwa zeigen Philipp von Recklinghausens Bilder das nächtliche Berlin der Nachwendezeit. Mehrmals begleitete der Fotograf in den frühen neunziger Jahren eine Polizeistreife in ihrem knopfäugig dreinblickenden VW-Bus durch die Hauptstadtnächte und dokumentierte dabei Straßenkontrollen ebenso wie den Straßenstrich. Die Autos seiner beiläufigen Aufnahmen sind Zuschauer und Akteur zugleich.

Dass Autos auch zum Tatort werden, bezeugen die Bilder aus Arwed Messmers Serie „Reenactment MfS“. Für diese sammelte er Aufnahmen aus Stasi-Akten, die unmittelbar nach den gescheiterten Fluchtversuchen von DDR-Bürgern entstanden. Darauf mussten diese nach der Festnahme die Fluchtsituation in den Garagen des Zolls nachstellen. Die Eindringlichkeit, mit der die Beschuldigten durch Augenbalken hindurch den Betrachter anblicken, mahnt an die Geste der Macht die im fotografischen Akt steckt – und stellt den dokumentarischen Anspruch der Fotos infrage.

Dem Auto schlägt manchmal eine quasireligiöse Zuneigung entgegen

Der Mobilität beraubte und ironisch in den Kultstatus erhobene Autos zeigen dagegen James Hendricksons Bilder, die er von Jim Reinders Installation „Carhenge“ gemacht hat: Der Amerikaner arrangierte schrottreife Karren wie die Steine von Stonehenge und erinnert mit dem Aberwitz bereifter Megalithen daran, dass dem Auto von so manchem Zeitgenossen eine quasireligiöse Zuneigung entgegenschlägt. Nicht umsonst schrieb der französische Philosoph Roland Barthes in seinen „Mythen des Alltags“, dass „das Automobil heute die ziemlich genaue Entsprechung der großen gotischen Kathedralen ist“.

Eine ganz andere und völlig weltliche Andacht ermöglicht das Auto hingegen Jens Liebchen. Das Sujet seiner Bilder ist der Blick des Fahrers; er fotografierte Häuserfassaden in Los Angeles vom Sitz seines Mietwagens aus. Der entrückte Blick des Beobachters auf eine Paul-Smith-Boutique, die aussieht wie ein pinker Schuhkarton, zeigt gleichermaßen die Unwirtlichkeit der Architektur wie das Hermetische der Warenwelt. Manchmal ermöglicht der Seitenspiegel am unteren Bildrand einen Blick auf Palmen, die in den Himmel ragen.

Neben solchen großen Totalen stehen in der Ausstellung auch direkte Close-ups. Mit einem Blick fürs Detail zeigen die Fotos von Melina Papageorgiou, Oliver Godow und Mark Volk Autofragmente wie eingestaubte Scheiben, zerbeulte Karosserien oder verrostete Auspuffanlagen. Einen gänzlich konzeptuellen Weg der Fragmentierung geht Jürgen Baumann. Er fotografierte die Scheinwerfer von Wolf Vostells Beton-Cadillacs am Rathenauplatz und setzte die Bilder zu abstrakten Collagen zusammen, die den Ursprung ihrer Elemente kaum noch preisgeben.

Jenseits der Motive vereint alle Fotos jedoch ein grundlegendes Spannungsmoment: Nämlich der Wunsch, ein Mittel der Fortbewegung im Medium des Stillstands zu bannen. Letztlich ist das nur konsequent: Im Durchschnitt wird jedes Auto täglich nur eine Stunde gefahren. Und selbst wenn es fährt, steht es sowieso so oft an irgendeiner Ampel oder in irgendeinem Stau. Die Latenz der Beschleunigung ist da manchem schon Linderung genug. Wer schon mal in Beijings Rushhour gesteckt hat, weiß, dass ein SUV im Grunde auch nur eine Zweitwohnung auf Rädern ist.

Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176; bis 8. April, Di-Fr 10-17 Uhr, Mi 10-19 Uhr, So 11-17 Uhr

Jonas Lages

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