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Das Cover von Lion Feuchtwangers Roman "Jud Süß" von 1925 ist eines der Ausstellungsstücke im Strauhof.

© Drei Masken Verlag München / Strauhof

Ausstellung über Verleger und Autoren: Zürich feiert jüdische Kultur

150 Jahre Gleichberechtigung der Juden in Zürich: Eine Ausstellung im Literaturhaus Strauhof zeigt die Geschichten jüdischer Verleger und Schriftsteller.

Von Caroline Fetscher

Kinder sind hier die Hauptpersonen, Kinder aus Übersee, aus „Chutz-La’Aretz“. 1936 gab Jaakow Simon „Die vier von Kinnereth“ heraus, „Jüdische Jugendgeschichten aus dem neuen Palästina“, teils waren sie aus dem Hebräischen übersetzt. Solche Bücher sollten jüdische Kinder in Deutschland auf die Emigration vorbereiten. Bücher für deutsche Kinder, die ihr Staat vertreiben oder vernichten wollte. Gewidmet war das Buch dem „Habonim Noar Chaluzi“, dem Bund der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland. Sein Herausgeber kam 1915 in Berlin zur Welt, er ging 1935 ins Exil, wurde später Orientalist und israelischer Diplomat und starb 1996 in Jerusalem.

Derzeit liegt eine Originalausgabe dieses Buches in einer Vitrine der Ausstellung „Das Jüdische an Mr. Bloom. Bücher, Menschen, Städte“ im Literaturhaus Strauhof in der Zürcher Altstadt. Dort beleuchten rund 300 Exponate, Bücher, Briefe, Billets, Postkarten und Fotografien die Geschichte jüdischer Verleger und Schriftsteller vor und nach der erzwungenen Emigration durch den Nationalsozialismus. Rare Dokumente aus dem Prager Kreis um Franz Kafka und Max Brod sind zu sehen, Erstausgaben von Else Lasker-Schüler und Anna Seghers, viele Bücher aus Exilverlagen wie Querido in Amsterdam.

Im Rahmen der „Woche der jüdischen Kultur Zürich“ stellte Martin Dreyfus Leihgaben aus einer einmaligen Sammlung zur Verfügung. Schon 1967, noch als Oberschüler, fing der heutige Lektor, Dozent und Publizist an, mit seinem Taschengeld Originalausgaben der Exilliteratur aus den Jahren 1933 bis 1950 zu erwerben. Seine mehr als 30 000 Bände umfassende Bibliothek in Thalwil gilt als die wohl größte Privatsammlung auf diesem Gebiet. Rund 300 Exponate aus der Sammlung sind noch bis 16. September im Strauhof zu besichtigen.

Konzerte, koschere Küche und Diskussionen

Das von Dreyfus verfasste Begleitheft widmet sich der Leistung von Verlegern wie Samuel Fischer, Gottfried Bermann- Fischer, Salman Schocken, Fritz Helmut Landshoff, Bruno Cassirer und Kurt Wolff, der 1913 erklärt hatte, er denke sich einen Verleger „als Seismograph“, der gesellschaftliche Erdbeben registriert, und der Franz Kafka wieder und wieder über „die Geringfügigkeit des Absatzes Ihrer Bücher“ damit tröstete, dass eines Tages die enorme Dimension seines Werkes erkannt werden wird. Dreyfus nimmt auch Bezug auf Autoren wie Ernst Weiss, Franz Werfel, Else Lasker-Schüler, Leonhard Frank, Nelly Sachs und Wolfgang Hildesheimer, dessen Essay zur „Jüdischkeit“ der Joyce-Figur Mr. Bloom der Ausstellung den Namen verlieh.

Auf dem Programm der „Woche der jüdischen Kultur Zürich“ stand eine Hommage für Leonard Bernstein, es gab Konzerte, koschere Küche, Diskussionen, Vernissagen, Tanzdarbietungen, interreligöse Dialoge und geführte Besuche der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Ein historisch-literarischer Stadtspaziergang feierte, wovon das übrige Europas nur träumen kann: „150 Jahre Gleichberechtigung der Juden in Zürich“.

Züricher Zivilisation als Beispiel für andere

1936 hieß es im Vorwort zu „Die vier von Kinnereth“: „Ihr wollt eben nicht von den ,Problemen’ hören, nein, ihr wollt wissen, wie lebt man in Palästina (…) und ihr habt vollkommen recht!“ So lasen die Jugendlichen Geschichten aus „Tel- Awiw“ oder den Kibbuzim. Awner und Uri, Reuwen und Ruth erkunden den Jordan, den See Genezareth, die Berge, gehen schwimmen, erleben Obsternte, Lehrer, Bauern, Väter mit Brillen und Väter mit Spaten. Von Ruba erfahren sie, dass er keine Eltern mehr hat: „Weit weg, jenseits des Meeres sind sie geblieben… Für immer…“ Die Kinder von 1936 hören „merkwürdige und furchtbare, ja haarsträubende Sachen“ aus Chutz-La’Aretz, und haben grundvernünftige Kinderpläne: „Wir werden ein s-e-h-r großes Schiff bauen, so groß wie von hier bis - - - dort! Und darin werden wir alle Juden nach Kinnereth bringen!“ Sie wussten, was Rettung bedeutet.

Auch an den Grenzen der hellen, demokratischen Schweiz zerschellte für viele die Hoffnung auf Rettung, und trotz allem war sie eine Oase in der Barbarei und ist es bis heute. 150 Jahre Gleichberechtigung der Juden – hätten sich Europas Hauptstädte an der Zürcher Zivilisation orientiert, die Welt wäre eine andere.

Literaturhaus Strauhof, Zürich, bis 16. September, Infos: www.kulturstrudel.ch

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