zum Hauptinhalt
„Ocean Dome“ (1996), eine Fotografie von Martin Parr. F

© oto: Martin Parr/Magnum Photos

Ausstellung: "Über Wasser" in Hamburg: In jedem Tropfen ein Ozean

Wasser ist alles: Elementares Ereignis, größte aller Welten, Sehnsuchtsort, Bedingung allen Lebens. Die feine Sommerausstellung „Über Wasser“ im Hamburger Bucerius Kunstforum nimmt sich des Urstoffs in der Kunst an.

Bis ins Kleinste hat der Blick durch die Kamera die Welt verändert. Der Physiker und Philosoph Ernst Mach (1838 – 1916) experimentierte mit Sequenzfotografie, er wollte physikalische Abläufe festhalten, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind. Es ging um nichts weniger als die bildliche Darstellung der Zeit. Auf Fotoplatten, kleiner als eine Postkarte, bannte er Wassertropfen in unterschiedlicher Gestalt: als durchgehende helle Linie oder runde Kleckse auf schwarzem Grund. Die Aufnahmen hatten einen wissenschaftlichen Zweck, aber sie scheinen die Malerei des Abstrakten Realismus vorwegzunehmen, der erst ein halbes Jahrhundert später entstand, auf der Suche nach dem Sublimen. Und sie beeinflussten Albert Einsteins Denken.

Fotos im Regen

Ernst Machs Artefakte gehören zu den wundersamen Entdeckungen, die man in der Ausstellung „Über Wasser“ im Hamburger Bucerius Kunstforum machen kann. Wasser als Sujet in Fotografie und Malerei, vom 19. Jahrhundert bis in unsere Zeit, das ist ein gewaltig weit gespanntes Thema, nicht nur im Sommer. Alles fließt. Auf Schwarz-Weiß-Fotografien von Peter Keetman, Toni Schneiders oder Adolf Lazi bilden Wassertropfen einen unendlich formenreichen Kosmos. Nichts ist auch so vergänglich wie ein Tropfen, aber eine Aufnahme von Hans Namuth (New York, 1955) wirkt wie ein Schnappschuss der Ewigkeit. Der Fotograf hat in einem Park den Regen fotografiert. Man spürt den kalten Wind, die Nässe im Gesicht. Anno 1880 entstand ein Foto in Japan, „Frau im Regen“ mit Kimono und Schirm. Es wurde nachkoloriert, der Regen weht seitlich herein und sieht aus, als habe jemand das Fotopapier zerkratzt. Dem Kamerabild gegenübergestellt ist ein Farbholzschnitt von Utagawa Hiroshige (1857), ein Regenschauer auf einer Brücke in Edo, wie Tokio früher genannt wurde. Hier regnet es, der Bildtechnik geschuldet, Strippen.

Wasser erscheint immer fotogen. Wasser generiert Drama – in der archetypisch überschießenden Energie der Niagara Falls, die Zoe Leonard um 1990 als feuchten Vulkan gebannt hat, in der gläsernen Stille des Mittelmeers von Hiroshi Sugimoto, im Eismeer von Stefan Hunstein, das blau schimmert wie eine giftige mineralische Verbindung, in den hauchzarten Eisschollen der Li Trieb. Olafur Eliasson hat 2008 auf Island in zwölf Aufnahmen das Schmelzen eines walförmigen Eisblocks an Land dokumentiert. Einfacher kann man nicht erzählen von der Bedrohung der Natur durch den Menschen. Auf David Hockneys Pool-Foto gibt sich das Leben angenehm kalifornisch. Aber das täuscht. Das Bild strahlt Ambivalent- Unheimliches aus. Und es weckt Sehnsucht nach Sonne, Ferien, Strand, Freiheit, die in unserer Welt mit Freizeit gleichgesetzt wird.

Auch die Maler beginnen, das Wasser als elementares Ereignis, als größte der Welten zu sehen

Die Wasser-Schau erstreckt sich über zwei Etagen des Bucerius Forums. Sie hatKabinettcharakter und eröffnet weite Perspektiven. Mit der Entwicklung der Fototechnik beginnen auch die Maler, das Wasser als elementares Ereignis, als größte der Welten zu sehen. Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863) aus dem Rheinland war ein Pionier der Landschafts- und Meeresmalerei. In der Normandie studierte er Farben und Formen der Gischt, des blauen, grünen, weißlichen Wassers. Schirmer malte Wellen und Wogen, noch vor Gustave Courbet (1819–1877), der hier nicht fehlen darf und mit den „Brandungswogen mit drei Segelschiffen“ vertreten ist. Himmel, Wolken, Wogen brauen sich wild zusammen, die Schiffe kann man lange suchen.

In jener Zeit kamen sich Fotografie und Malerei sehr nah, was die Meeresfotos eines Gustave Le Grays zeigen. Claude Monet hat 1888 ein freundliches Farben- Meer bei Antibes gemalt, Renoir eine aufgewühlte See bei Guernsey im Ärmelkanal; das Bild erinnert an vom Sturm zerzauste Heuhaufen bei Van Gogh. Alles fließt, alles weht. Halb gefroren das bewölkte Seestück von Gerhard Richter von 1969, das mit seinen zwei mal zwei Metern zu den großen Stücken der Ausstellung zählt. In der Nähe hängen, schief und klein, Teile einer Leinwand, auf der Caspar David Friedrich 1821 Eisblöcke studierte. 1824 vollendete Friedrich das große Bild vom „Eismeer“ mit dem gescheiterten, von den weißen Massen zerschmetterten Schiff einer frühen Polarexpedition. Es gehört zur Sammlung der Hamburger Kunsthalle und ist hier nicht zu sehen, auch nicht die exemplarische „Welle“ Courbets aus Berlin.

Wasser trägt, Wasser zerstört, was sich ihm in den Weg stellt

„Über Wasser“ präsentiert keine Hauptwerke der Kunstgeschichte. William Turner, der große britische Maler der entfesselten Elemente, ist mit zwei kleinen Schautafeln um das Jahr 1810 vertreten. Sie zeigen mit Wasser gefüllt Kugeln, er benutzte sie für wissenschaftliche Vorlesungen. Wasser ist ein Spiegel. In der Fotografie ist es ganz in seinem Element. Wasser fängt Licht ein, wirft ein Bild zurück. Ein Bild, das vergeht. Wasser ist Farbe und Struktur. Ein aufgewühltes Meer erinnert an ein gespachteltes Bild, eine Skulptur. Wasser erzeugt die Anmutung jedweden Materials, mit dem Künstler arbeiten.

Diesen unzähligen stofflichen, erotischen, poetischen, nautischen, meteorologischen Verbindungen kann man in Hamburg nachgehen. Vielleicht auch nur eine Illusion, aber hier verstreicht die Ausstellungsbesuchszeit langsamer als anderswo, in anderem thematischen Zusammenhang. Wasser trägt. Wasser zerstört, was sich ihm in den Weg stellt. Wasser stinkt zum Himmel, wie auf Fotos von verseuchten Wüsteneien in der ehemaligen DDR. Wasser ist ein Werkzeug: Yves Klein streute blaue Trockenpigmente und Harz auf eine Pappe, packte das Arrangement aufs Autodach, fuhr damit quer durch Frankreich. Es entstand ein Bild von rätselhafter Schönheit; Myriaden blauer Körner und der weiße Umriss eines menschlichen Körpers. Das ist der spielerische Charakter des Wassers, Element des Zufalls.

Der Tod wartet auf der Fotografie von Eva Leitolf. 2012 nahm sie das Meer bei Lampedusa auf. Weiße, Wolken, blauer Himmel, grauschwarzes Wasser, relativ ruhig. Das nasse Grab der Menschen, die von Süden kommend sich in ein besseres Leben retten wollten.

„Über Wasser“, Bucerius Kunstforum, Rathausmarkt 2, Hamburg, täglich 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr, bis 20. September. Katalog 29 Euro. www.buceriuskunstforum.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false