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Trauer und Sightseeing I. West-Berlin war ein Ort der Widersprüche. Hier das Mahnmal für den beim Fluchtversuch getöteten Peter Fechter an der Zimmerstraße.

© Stadtmuseum Berlin/Herbert Maschke

Ausstellung "West:Berlin" im Ephraim-Palais: Die Bäreninsel

Harald Juhnke, Bauskandale, Freiheitsglocke: Eine Ausstellung im Ephraim-Palais erklärt den Mythos West-Berlin.

Als die Pandabären Tian Tian und Bao Bao 1980 im West-Berliner Zoo eintrafen, kam es zu diplomatischen Verwerfungen. Sie waren ein Staatsgeschenk des chinesischen Partei- und Regierungschefs Hua Guofeng an Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sie dem Zoo gestiftet hatte. Die Ost-Berliner SED-Granden waren entsetzt, dass die seltenen Tiere beim Klassenfeind gelandet waren, und beklagten sich bei den Genossen in Peking. Im West-Berliner Zoo stiegen die beiden Pandas schnell zu Publikumslieblingen auf. Doch die Freude währte nicht lange. Das Weibchen Tian Tian starb 1984 an einer Virusinfektion, und das Männchen Bao Bao weigerte sich bis zu seinem Tod 2012 hartnäckig, Nachwuchs zu zeugen.

Tian Tian gehört zu den Prunkstücken der Ausstellung „West:Berlin“ im Ephraim-Palais. Ausgestopft hockt die Pandafrau vor einer Wand mit Plakaten, die für die Internationalen Filmfestspiele und Ausstellungen wie „Preußen – Versuch einer Bilanz“ werben oder schlicht versprechen: „Berlin – 365 Tage Saison“. West-Berlin lebte mit der ständigen Angst, von der Welt vergessen zu werden. Deshalb musste es den Tourismus ankurbeln und immer neue Attraktionen aufbieten, Filmfestivals, Theatertreffen, Blockbusterausstellungen, Pandabären.

Die Insel-Metapher beschreibt das Lebensgefühl der Bedrohung

Die Kuratoren Thomas Beutelschmidt und Julia Novak haben der von der Stiftung Stadtmuseum organisierten Ausstellung den Untertitel „Eine Insel auf der Suche nach Festland“ gegeben. Die Metapher „Insel“ war bald nach den Teilung der Viersektorenstadt in einen West- und einen Ostteil aufgekommen. Sie beschreibt das Lebensgefühl einer permanenten Bedrohung. Umgeben vom Realsozialismus der DDR, als „Insel in einem roten Meer“, war West-Berlin auf die Aufmerksamkeit wie die Solidarität der Alliierten und der West-Deutschen angewiesen. „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht!“, die Durchhalteparole des Kabarettisten Günter Neumann stieg zu einer Parole des Kalten Krieges auf.

Begrüßt wird der Besucher im ersten Raum der Ausstellung von der gewaltigen Lautsprecherbatterie des „Studios am Stacheldraht“, die von 1961 bis 65, auf einen Lkw montiert, an der Mauer entlanggefahren wurde, um „drüben“ die Nachrichten aus dem Westen zu verkünden. Fotos zeigen DDR-Flüchtlinge in Übergangsheimen und Konrad Adenauer in einer Fotomontage auf der Titelseite einer Illustrierten, der nach West-Berlin zeigt, Schlagzeile: „Mit dem Bundeskanzler blicken alle Deutschen in Sorge auf die Hauptstadt.“

Ab den Siebzigern besaß West-Berlin kein gutes Image mehr

Der Mauerbau markiert für die West-Berliner den traumatischen Höhepunkt der Systemkonfrontation. Der Begriff „Freiheit“ fungiert fortan als Kampfbegriff. „Berlin bleibt frei!“ steht neben dem Gesicht von Willy Brandt auf einem Plakat für die Abgeordnetenhauswahl von 1963, bei der die SPD die absolute Mehrheit holte. Der Rias wirbt auf einem Banner: „Eine freie Stimme der freien Welt.“ Glocke und Kerze sind die Symbole dieser Freiheit, die den Anschluss an den Westen meint und die Abgrenzung vom Totalitarismus des Ostens. Porzellannachbildungen der Freiheitsglocke im Turm des Schöneberger Rathauses sind Teil jedes Senatsgeschenks an prominente Besucher. An Feiertagen werden Kerzen in die Fenster gestellt, um an die „Brüder und Schwestern drüben“ zu erinnern. „Wir bleiben zusammen“, versichert ein Aufruf des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“.

Trauer und Sightseeing II. Werbung für West-Berlin im "Merian".
Trauer und Sightseeing II. Werbung für West-Berlin im "Merian".

© Stadtmuseum / Fotograf unbekannt

Spätestens ab den siebziger Jahren besaß West-Berlin kein allzu gutes Image mehr. Die Halbstadt hing am Tropf, sie war teuer. Die Subventionen des Bundes, die nach Berlin flossen, stiegen von 2 Milliarden 1952 auf 14,5 Milliarden 1989. Das führte zu Korruption, dem berühmten West-Berliner Filz. Fotos und Zeitungsausschnitte dokumentieren die größten Skandale: das Millionengrab Steglitzer Kreisel, die Garski-Affäre, die zum Sturz des Regierenden Bürgermeisters Stobbe führte. Aber West-Berlin – so die These der Ausstellung – war nicht bloß ein Bittsteller. Neben der „verlängerten Werkbank“ der Zigaretten- und Kaffeeindustrie existierte eine florierende Vielfalt von Klein- und Mittelunternehmen. „Berlin liefert in alle Welt“, jubelt ein Poster. Exportiert wurden Blumenschalen aus Eternit, IBM- Schreibmaschinen oder Rennräder der Marke „Toxot“.

West-Berlin bemüht sich um Glamour

West-Berlin bemühte sich um Glamour, wirkte dabei aber oft piefig. Ein „Goldener Raum“ versammelt Trophäen aus Wir-sind-wieder-wer-Jahren. Goldene Bären und Kameras, Bambis und den Europacup der Wasserballer von den „Wasserfreunden Spandau 04“. Es blitzt und glitzert, an der Wand hängt ein Stück der Goldblechverkleidung der Philharmonie. Zu sehen ist auch eine legendäre Schaukastenwerbung aus den Kolonnaden des Bikini-Hauses: Harald Juhnke mit Stäbchen vor der gerösteten Ente eines China-Restaurants.

In der Halbstadt stießen die sozialen Milieus hart aufeinander. Auf einem Foto stehen Rentner vor dem Café Kranzler und halten Transparente mit der Zeile „Berlin grüßt Nixon und Kissinger“ hoch. Ein anderes Bild zeigt Polizisten, die an der Gedächtniskirche mit Gummiknüppeln gegen demonstrierende Studenten vorgehen. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten führte 1969 zu Ausschreitungen, weil der oberste Vertreter der Schutzmacht zugleich Kriegsherr in Vietnam war. Wie ein Witz erscheint da der Titel einer Senatsbroschüre: „Ha, Ho, He – Nixon ist okay!“

Die Studenten- und Alternativbewegung gehörte zu den größten Aktivposten der Stadt. Das demonstriert die Ausstellung an zahlreichen Beispielen, von der Hausbesetzerszene bis zu den Kämpfen der beginnenden Schwulen- und Lesbenbewegung. „West:Berlin“ widmet sich seinem Gegenstand mit enzyklopädischem Eifer. Kein Aspekt der vierzigjährigen Ereignis-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte bleibt ausgespart.

Das hat zu einem Überangebot von 640 Exponaten in zwanzig Räumen geführt. So kann der Rundgang statt in Erkenntnis auch in Erschöpfung enden. Am besten man begibt sich in den Nachbau eines Salons des Hotels Bogota, setzt sich in einen Ledersessel und hört ein paar unsterbliche West-Berlin-Hymnen: „Berlin“ von Ideal, „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff oder „Barfuß oder Lackschuh“ von Harald Juhnke.

Ephraim-Palais, Poststr. 16, Mitte, bis 28. Juni, Di, Do–So 10–18, Mi 12–20 Uhr

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