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Ausstellung: Wonne des Südens

Landlust um 1830: Carl Blechens Amalfi-Skizzen sind in der Alten Nationalgalerie zu sehen

Leere, Stille. Und dieses unschuldige, gleißende Licht. Wer sich schon mal inmitten Tausender Touristen über die Domtreppe von Amalfi oder durch die Gassen von Positano schob, träumt sich bereitwillig hinein in die Bildwelt des Berliner Malers Carl Blechen, von der uns gerade mal 180 Jahre trennen. Ein beladener Esel, ein paar Fischerboote, Gärten und Mauern, immer wieder alte, rissige Mauern: Mehr Zivilisation gibt es nicht auf Blechens 1829 an der süditalienischen Amalfiküste entstandenen Skizzen. Sehenswürdigkeiten? Menschen, gar Touristen, die es damals natürlich schon gab? Bis auf ein paar rätselhafte Ausnahmen wie den von Blechen in stoischer Gelassenheit gezeigten „Negerkorporal“ sucht man sie vergeblich. Was auf den 66 Blättern lebt, ist allein die durch Licht und Luft zum Sprechen gebrachte Natur.

Blechens Amalfi-Skizzenbuch gehört zu den Höhepunkten deutscher Grafik des 19. Jahrhunderts – und war bislang doch ein Phantom, das noch nie vollständig gezeigt oder reproduziert worden ist. Nun stellt eine Ausstellung als Koproduktion der Hamburger Kunsthalle, der Berliner Nationalgalerie und Berliner Akademie der Künste, der die Zeichnungen bis auf zwei Ausnahmen gehören, erstmals das komplette, bereits vom Künstler in Einzelblätter aufgelöste Skizzenbuch vor.

Zwei Zeichnungen überdauerten im Berliner Kupferstichkabinett, die übrigen gelangten direkt aus dem Künstlernachlass in die Sammlung der Akademie, wo sie erst der große Schinkel- und Blechen-Kenner Paul Ortwin Rave, ab 1922 Mitarbeiter der Nationalgalerie, wieder ausgrub. Eine Ausstellung zu Blechens 100. Todestag, 1940 von Rave geplant, scheiterte am Kriegsbeginn. Nach dessen Ende wurde das Amalfi-Skizzenbuch willkürlich zwischen Ost- und West-Berlin geteilt und gemeinsam vergessen.

Nun also hängen im Schinkelsaal der Alten Nationalgalerie und den angrenzenden Kabinetten Blechens blässliche Bleistift- und Sepiazeichnungen, ergänzt um etwa 30 seiner meist kleinformatigen Ölskizzen und Gemälde aus dem Bestand der Nationalgalerie. Doch der Zauber wirkt, die Präsentation ist mehr als eine ambitionierte Tiefenbohrung, mehr als ein bloßer Spaß für Spezialisten. In dieser großartigen Ausstellung steckt, wie in einer Flaschenpost, europäische Kunstgeschichte: auf dem Weg von der Klassik zur Moderne.

Carl Blechen war der interessanteste Romantiker der zweiten Generation – weil der gebürtige Cottbuser sich in den 15 Jahren, die ihm zwischen dem Studienbeginn an der Berliner Akademie 1822 und seiner schweren psychischen Erkrankung blieben, weit von der Romantik entfernt hat. Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl, die er in Dresden besuchte, waren geistige Mentoren seiner frühen Bilder, in denen es zeittypisch von entlaufenen Mönchen, waldeinsamen Nymphen und Drachen wimmelt. Sein Förderer, der Architekt und Maler Karl Friedrich Schinkel, legte dem Mittellosen die für Künstler obligatorische Italienreise nahe.

Als Blechen sie 1828 endlich antreten kann, steht er auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Raven nannte das Italienerlebnis bündig „eine Grenzscheide seines malerischen Vermögens“. Was schon vor Italien beginnt, in den zehn Tagen an der Amalfiküste kulminiert und in den wenigen Jahren darauf reift, lässt sich problemlos neben berühmtere Zeitgenossen wie William Turner oder Eugène Delacroix stellen. Blechens Kunst löst sich vom literarisch-historischen Feigenblatt, wendet sich dem Hier und Jetzt zu, feiert das Sichtbare in den flüchtigen Aggregat- und Gefühlszuständen von Licht und Schatten, Hitze und Kühle. Die meist malerischen Motive seiner amalfitanischen Zeichnungen (und der wenigen danach im Berliner Atelier entstandenen Gemälde), Gärten und Wege, Täler und Brücken, Küsten und Bergdörfer, traumwandlerisch sicher erfasst, all das scheint nur ein Vorwand gewesen zu sein.

Man hat in Blechen – und das hängt mit seiner Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert zusammen – einen Vorläufer der Impressionisten gesehen. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil sich in Arbeiten wie den Amalfi-Blättern, gleich ob mit nervösem Bleistift oder lässigem Tuschpinsel gezeichnet, etwas endgültig und unwiderruflich zum Unklaren, Flüchtigen, Relativen hin verschiebt. Falsch, weil Blechens Zeichnungen und Ölskizzen, die gemeinhin für diese Argumentation herhalten müssen, nie das Licht einer größeren, ungeschützten Öffentlichkeit erblicken sollten. Nun hängen sie in der Nationalgalerie. Was für ein Glück.

Alte Nationalgalerie, bis 11. April, Di–So 10–18, Do bis 22 Uhr. Katalog 35 €.

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