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Ausstellung: Zauberlehrlings Lichtgebet

Das Okkulte in Kunst und Wissenschaft: Das Museum moderner und zeitgenössischer Kunst in Straßburg versammelt „Die Geister Europas“.

Paul Klee, Meister am Bauhaus von 1919 bis 1931 , bewahrte sich stets innere Distanz. Die von Direktor Gropius ausgegebene Parole, „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ machte er sich nicht zu eigen. Im Gegenteil zeigte er, wie weit beides auseinanderfallen kann. In der Zeichnung „Was sieht mich an?“ hielt er 1928 eine Schar kantig-funktionaler Möbelstücke fest, die ihm bedrohlich nahe rückten. Geheimnisvolles Eigenleben entwickeln nicht nur die schweren Möbel des Bürgertums, sondern auch die luftigen Stahlrohrschöpfungen des Bauhauses.

Klee kannte das verborgene Leben der Möbel. Er interessierte sich seit jeher für Séancen, Medien und Stühlerücken. In „Spiritistische Möbel“ von 1923 machen sich die Möbel ganz ohne Medium selbstständig. Und bereits 1916, als die Beschwörung jenseitiger Geister in Europa große Mode war, hielt er eine „Spiritistische Katastrophe“ fest, ein homerisches Gelächter gemäß dem in diesem Blatt unausgesprochenen Motto, dass Lächerlichkeit tötet.

Es überrascht, die zauberhaften Blätter Klees in einer Ausstellung unter dem Titel „Das Europa der Geister oder Die Faszination des Okkulten 1750-1950“ zu finden. Doch so, wie das Licht der Aufklärung starke Schatten warf, in deren Dunkel sich Elfen, Geister und Pucks tummeln, bildet die Ironie eines Klee das Pendant zum Geisterglauben, der einen Gutteil der europäischen Intelligenzschicht und zumal die Künstler erfasste, besonders im Fin-de-siècle um 1900.

Das Museum moderner und zeitgenössischer Kunst in Straßburg, das seit der Eröffnung des eigenen, großzügigen Hauses im Jahr 1998 an Bedeutung deutlich gewachsen ist, hat sich an ein Thema von europäischer Bedeutung gewagt – und gewonnen. Denn was Direktorin Joelle Pijaudier-Cabot und der Kenner der dreißiger Jahre, Serge Fauchereau, als Kehrseite von Aufklärung, Vernunftglaube und kritischem Bewusstsein zusammengetragen haben, erschüttert allein schon in seiner Fülle die gängige Abwertung des Okkultismus als bloßer Randerscheinung.

Zunächst ist es weniger das Okkulte selbst als vielmehr dessen literarische Bearbeitung, die die bildenden Künstler ab Mitte des 18. Jahrhunderts anspornt. Von Shakespeares „Mittsommernachtstraum“, der eine ganze Besetzungsliste geisterhafter Wesen bereitstellt, bis zu Goethes „Faust“ mit dem handfesten Mephisto spannt sich die Reihe dichterischer Vorlagen, die in ganz Europa rezipiert und illustriert werden, von William Blake und Heinrich Füssli bis zu Eugène Delacroix und Carl Gustav Carus. Das sind, an der Spitze Füssli oder John Martin, die besten Werke der Ausstellung.

Denn was später kommt, ist nicht mehr Illustration oder Anverwandlung entsprechender Vorbilder aus der Literatur, sondern selbst Teil des Okkultismus. Das sind teils verschrobene, teils verkitschte Annäherungen an das Über- und Außersinnliche. Fidus’ „Lichtgebet“ ist zu sehen, der Russe Nikolai Roerich, eher gefällig illustrierend Gustave Moreau oder Félicien Rops. Der Symbolismus wird zum gesamteuropäischen Stil – durchs ganze 20. Jahrhundert hindurch von den Kunsthistorikern unterschätzt, weil ihm die Formexperimente der zur Abstraktion drängenden Moderne vorgezogen werden, tatsächlich aber außerordentlich weit verbreitet ist.

Wie stark die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts von okkultistischem Gedankengut beeinflusst war, ist ein Streit unter Gelehrten, der unentschieden und wohl auch unentscheidbar schwelt. Natürlich ist bekannt, dass die Schriften der Deutsch-Russin Helena Blavatsky („Die Geheimlehre“, 1888) glühende Anhänger fanden und dass über die Theosophie Anstöße nicht zuletzt in Richtung Kandinsky ausgingen. Auch wird ein Grenzgänger wie der Goetheanum-Begründer Rudolf Steiner (1861-1925) mittlerweile als Künstler eigenen Rechts wahrgenommen. Drei seiner Kreidetafeln, mit denen er Vorträge zu veranschaulichen pflegte, sind in Straßburg zu sehen, dazu Figurinen für die eurhythmischen Tänze, denen das Goetheanum unverändert eine Bühne samt gläubigen Anhängern bietet.

Die französische Philosophie der neueren Zeit hat das Ihre getan, alles Abseitige und Nonkonforme ins Recht zu setzen; Jean-François Lyotards Verteidigung des „Versuchs“ – französisch „Essay“ – wird denn auch im begleitenden, für diese Ausstellung ganz unverzichtbaren Katalog breit zitiert. Künstler suchen und „versuchen“. Als unlängst die schwedische Künstlerin und praktizierende Okkultistin Hilma af Klint (1862-1944) als große Entdeckung, als Erfinderin der Abstraktion gefeiert wurde, traf das einen wunden Punkt: dass die gefeierte Abstraktion eben nicht aus formspezifischen Untersuchungen resultiert, sondern aus dem Herzensbedürfnis heraus, die Fesseln der schlechten Wirklichkeit abzustreifen und in geistige Gefilde vorzudringen.

Das Schlusskapitel der Straßburger Ausstellung ist dem Surrealismus gewidmet, dessen écriture automatique den Zugang zum Unbewussten ermöglichen sollte. Doch was hier zu sehen ist – und das liegt mitnichten an mangelhafter Auswahl –, wirkt epigonal und, schlimmer noch, gewollt. Der Surrealismus, man kann es nur immer wieder feststellen, ist dank seiner nachgeborenen Propagandisten eines der am meisten überschätzten Kapitel der Kunstgeschichte. Und wer in Straßburg die aufregenden Versuche besichtigt, beispielsweise um 1900 herum Séancen durch Geisterfotografie sichtbar zu machen, kann die Gedankenkunst der Surrealisten nur noch abhaken.

Weitaus spannender ist der Extraraum unter dem Titel „Als die Wissenschaft die Geister vermaß“. Wer hätte gedacht, dass der französische Physiologe Charles Richet zugleich eine „Metapsychologie“ zu begründen suchte und 1913, wenngleich für seine höchst seriösen Forschungen zu Allergien, mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde? Dass der schiere Geist Möbel zu rücken vermag, wurde seinerzeit heiß diskutiert und streng erfahrungswissenschaftlich untersucht. Davon muss Paul Klee gewusst haben, als er die ach so diesseitigen Bauhaus-Möbel aufmarschieren ließ. Sein „Was sieht mich an?“ bleibt eine Frage, die erneut den Geist beschäftigt und womöglich Geister beschwört.

Straßburg, Musée d’art moderne et contemporain, bis 12. Februar. Katalog, 424 S., 48 €. www.musees.strasbourg.eu

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