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 Arno Schmidt beim literarischen Partiturstudium

© Wilhelm Michels

Ausstellung zu Arno Schmidt: Zettel’s Raum

Der Wortspieler in 100 Stationen: Ein Ausstellung über Arno Schmidt in der Akademie der Künste zeigt, dass sich Literatur durchaus im Museum zeigen lässt.

Von Gregor Dotzauer

Der Brocken, den er jahrelang vor sich hinwälzte, war ihm selbst nicht ganz geheuer. „die größte Hexe, die ich kenne, heißt AUSDAUER!“, schrieb Arno Schmidt 1967 an Hans Wollschläger, als ein Ende der Arbeit an „Zettel’s Traum“ noch nicht abzusehen war. Auch dass der Roman ihn auf „den Gipfel des Parnaß“ befördern würde, wollte er nicht glauben, „wird mein Büchlein doch, (wie Krawehl jüngst, besorgt, errechnete), 25 Pfund wiegen: wir haben vor, es mit Trageriemen binden zu lassen, und den größten Teil der Auflage unserer Bundeswehr, für Gepäckmärsche, zu offerieren“.

Entgegen den Extrapolationen seines Lektors wog das 1970 im Stahlberg Verlag erschienene Buch zwar nur zehn Kilo und umfasste 1334 DIN-A3-Seiten in dreispaltigem Umbruch. Doch die Folgen für Gesundheit und Ehe des Autors blieben verheerend. „Keine Spaziergänge mehr“, hatte Schmidts Frau und Sekretärin Alice notiert, „kein Sitzen im Garten – kein Sonntag – kaum die Möglichkeit eines Gespräches: auf Fragen nur abwesend nervöse Antworten: bestenfalls.“

Arno Schmidt war ein Maximalist. Kompromisslos, rechthaberisch, monoman, darin aber von einer Wendigkeit und Spracherfindungskraft, deren Energie das Publikum bis heute in ehrfürchtige Bewunderer und verschreckt Flüchtende teilt. Man muss sich dabei nicht einmal an die Joyce’schen Dimensionen wagen, mit denen er in „Zettel’s Traum“ einen einzigen Sommertag des Jahres 1968 in der Ostheide bei Celle in Gesprächsfluten aufgehen ließ, in deren Verlauf sämtliche abgründige Wesensschichten von Edgar Allan Poe freigelegt werden.

„Was iss das Lehm?! Die Auflehnung der Eiweiße gegen die Silikate. (Und den leeren Raum).“

Es genügt manchmal eine Erzählung von einem Dutzend Seiten, die Überdruss auslöst. Weshalb das Vergnügen, Schmidt zu lesen, oft auf der Kurzstrecke, im einzelnen Absatz oder Satz liegt, der Beobachtungsgabe, Witz und Wortverwurstung in einer Weise konzentriert, die im großen Ganzen zuweilen über die Stoffufer zu treten scheint. Wer wissen will, wie beweglich man mit dem Deutschen umgehen kann, wie eine eigenwillig verstolperte Interpunktion einen mitreißenden Lesefluss erzeugt und eine pointenreich irrlichternde Binnenintelligenz größeren Erzähleinheiten Schwung verleiht, der kann darüber in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts nirgends besser staunen. „Was iss das Lehm?! Die Auflehnung der Eiweiße gegen die Silikate. (Und den leeren Raum).“

Das heißt auch, dass man diesen Mann, der als Bewohner der Südheide, in Bargfeld bei Celle, ein sesshaftes Igelleben führte, allein durch die Griffigkeit seiner Formulierungen prägnanter ausstellen kann als viele seiner Kollegen. „Das Werk also funkelt: den schäbigen Rest, den Autor selbst nämlich, besieht man sich besser nicht“, schrieb er einmal. Wenn man, wie es Jan Philipp Reemtsma, der Vorsitzende der Schmidt Stiftung, nun in der Akademie der Künste tat, darüber räsoniert, ob sich Literatur überhaupt sinnlich in musealen Kontexten präsentieren lässt, dann ist die Verlegenheit bei seinem Schützling gering. „Arno Schmidt – Eine Ausstellung in 100 Stationen“, die nach dem 100. Geburtstag des Meisters 2014 aus Celle nun an den Berliner Hanseatenweg kommt, bietet dem Schmidt-Leser so viel wie dem Novizen – schon weil jedes Zitat ein Treffer ist.

Multimediales ergänzt das Bild des Autors

Ein Dark Room, an dessen Licht sich das Auge erst gewöhnen muss. Von zwei Seiten zugängliche Vitrinen, teils mit persönlichen Gegenständen, verteilen sich über die Fläche. Ihre Ordnung ergibt sich weniger aus einem chronologischen, aufs vordergründig Biografische zielenden Zugriff als aus lebensbestimmenden Gegensatzpaaren. Sie heißen Mathematik und Poesie, Privatmythos und Atheismus, Reisen und Bleiben, Avantgardist und Traditionalist. Zu einem kurzen Informationstext gesellt sich jeweils ein sprechender Textauszug. Aus solchen Spannungen, bei denen sich Bekanntes und weniger Bekanntes die Waage halten, ergibt sich sofort ein einleuchtendes Bild von Schmidts Welt.

Dass er gleichzeitig Joyce und Karl Mays Spätwerk bewunderte, ist keine neue Erkenntnis. Den ihm eigentümlichen Zug des Pedanten mit dem des Hochstaplers zu kontrastieren (Schmidt versah seine Geburtsurkunde an der Stelle des Datums mit einem Brandloch, um sich als älter ausgeben zu können), zeugt von der kombinatorischen Originalität der vier Kuratoren um Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach.

Zwiegespalten in den politischen Empfindlichkeiten

Überraschend auch die Paarung einer Lupe mit einem Schnapsbehälter: Die ultrarealistische Akribie seiner Wahrnehmung rang stets mit dem Bedürfnis, sich in einen poetisch verschwommeneren Zustand zu versetzen. Schmidts Detailwut reichte im Fall des Ostwest-Nachkriegsromans „Das steinerne Herz“ so weit, dass er den Katasterplan des Schauplatzes, das niedersächsische Ahlden, mit gelben Punkten für die Standorte der Laternen versah. Er wollt wissen, wann und ob seine Figuren nachts gesehen werden konnten. Etwas Doppeltes prägte auch seine politischen Empfindlichkeiten: Die Ausstellung bescheinigt ihm sowohl einen Linksdrall gegen das verspießerte Adenauer-Deutschland wie einen Rechtsdrall gegen die hippieske Libertinage.

Eine Lesezeile mit den wichtigsten Büchern, zwei Fernsehinterviews, die ihn in seiner ganzen Quecksilbrigkeit zeigen, und eine Hörstation mit Schlagern, an der man ihn auch selbst singen hört, ergänzen die Schau. Die zentrale Installation gruppiert sich um die Zettelkästen zu „Zettel’s Traum“ sowie seine Stifte und Schreibmaschinen. Auf einem Terminal kann man zu 100 Wörtern Werkzitate aufrufen, die auf einem halbrunden Screen in ihrer ganzen frechen Herrlichkeit aufflackern und wieder zerstieben.

Akademie der Künste, Hanseatenweg, bis 10. 1. 2016, tgl. außer Mo 11–19 Uhr, umfangreiches Begleitprogramm, als Nächstes am 8.10., 20 Uhr, „Mein erster Schmidt“ mit Dietmar Dath, Reinhard Jirgl, Kathrin Röggla, Ingo Schulze und Uwe Timm.

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