zum Hauptinhalt
Raupe

© Katalog

Amsterdam: Die Raupenfrau

Maria Sibylla Merian und ihre Töchter: Das Amsterdamer Rembrandthaus feiert die Künstlerin als große Naturforscherin.

Wie ein wunderschöner Papierdrachen schwebt der nachtblaue Falter über den tiefroten Blüten des Granatapfelzweigs. Auf der größten Dolde hat sich ein anderer Schmetterling niedergelassen, die Flügel hochgeklappt, so dass sich die bräunliche Unterseite mit kreisrunder Musterung zeigt. Daneben knabbert eine Raupe die Blätter an, zwischen den rotglänzenden Kernen eines aufgebrochenen Granatapfels wartet eine Puppe auf ihr nächstes Entwicklungsstadium. In der Natur ist all das nie gleichzeitig zu sehen. Doch zeugt Maria Sibylla Merians Darstellung der Schmetterlingsmetamorphose von einer Schönheit, die den Betrachter noch heute, 300 Jahre später, staunen lässt.

Die Malerin (1647–1717) hatte dieses Prachtexemplar während ihres SurinamAufenthalts studiert und das Bild in ihrem berühmtesten Werk „Metamorphosis Insectorum Surinamensis“ 1705 publiziert. Die pudrig-feingeschuppten Flügel des Falters, die samtigen Saugnäpfe der Raupe, ihre haarfeinen Beißwerkzeuge – all das zeigt sich heute in einer Frische, die es mit jeder Fotografie aufnehmen kann. Was auch daran liegt, dass das britische Königshaus seine Merian-Aquarelle erstmals öffentlich präsentiert. Gleich daneben hängen die weit blässlicheren Braunschweiger Versionen, die die Spuren häufiger Ausstellungen erkennen lassen: den immensen Verlust an Farbe und Brillanz.

Den Vergleich kann man derzeit im Amsterdamer Rembrandthaus anstellen, das über 100 Aquarelle der Künstlerin und Naturforscherin zeigt. In Deutschland wurde sie als bedeutende Frankfurterin und singuläre Erscheinung gefeiert, in der Amsterdamer Schau ist sie die Holländerin, deren Œuvre erst durch die Zuarbeit der Töchter entsteht. Vor zehn Jahren würdigte das Frankfurter Historische Museum die Pionierin der Insektenforschung, deren Porträt einst den 500-MarkSchein zierte. Nun differenziert sich der Blick auf ihr Schaffen.

Während sie zu Beginn ihrer Karriere noch mit dem Namen des Vaters signierte, dem Frankfurter Verleger und Herausgeber der „Topographien“, übernehmen später die Töchter den Namen der Mutter als Label. Die hatte sich durchgeschlagen: Verheiratet mit dem wenig glückhaften Maler Johann Andreas Graff, verdiente sie den Lebensunterhalt mit einem Farbengeschäft und unterrichtete die Damen der besseren Gesellschaft von Nürnberg, wohin die Familie gezogen war. Ihre erste Publikation, das „Neue Blumenbuch“ von 1675, war eher ein Vorlagenheft, nach dem ihre Schülerinnen zeichnen und sticken lernten.

Von ihrem Stiefvater, dem Utrechter Stilllebenmaler Jacob Marrel, hatte sie gelernt, Blumenbilder mit Schmetterlingen und anderem Getier zu kombinieren. Ihre besondere Leistung bestand darin, diese Kunst mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterfüttern. Bereits ihre Vorgänger Conrad Gessner, Johannes Goedart und Jan Swammerdam, von denen in Amsterdam Arbeiten zu sehen sind, hatten Insekten minutiös porträtiert, sich jedoch nie für deren Metamorphose interessiert. Merian war die Erste, die durch systematische Aufzucht einzelne Phasen unterschied und die Nahrung der Insekten kannte. Schon als 13-Jährige hatte sie Schmetterlinge präpariert; dem Teenager galt Gewürm als liebstes Geschenk. Seit ihrem Buch „Der Raupen wunderbare Wandlung und sonderbare Blumennahrung“ (1679/1683) war sie auch als Naturforscherin anerkannt.

Es gehört zu den Besonderheiten eines Merian-Bilds, dass es Puppe, Raupe, Schmetterling simultan an seiner Wirtspflanze darstellt. Eins der schönsten Blätter zeigt die Metamorphose der Automeris liberia, die sich von der Bananenstaude ernährt. Während die grüne Raupe über die tiefroten Blütenblätter klettert, ist zwischen den unreifen Bananen die braune Puppe zu sehen. Und wieder flattert der fertige Schmetterling davon.

In die Bewunderung für diese ausnehmend schönen Blätter ihres opus magnum „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ mischt sich Staunen über den Weg, den die tüchtige Geschäftsfrau und Künstlerin nahm. Ihre Ehe zerbricht, sie geht mit den Töchtern Johanna Helena und Dorothea Maria nach Westfriesland, wo sie bei einer frühpietistischen Sekte unterkommt. 1691 zieht sie nach Amsterdam, verkauft dort ihre Bücher und betreibt wieder ein Malereigeschäft. In Westfriesland hatte sie bereits präparierte Schmetterlinge aus Surinam kennengelernt; nun wollte sie die Fauna und Flora selbst studieren. 1699 schifft sich die inzwischen 52-Jährige mit ihrer jüngsten Tochter ein und bleibt zwei Jahre, bis die Malaria sie zur Rückkehr zwingt. Weitere vier Jahre später kreiert sie mithilfe der Töchter aus den mitgebrachten Zeichnungen und Objekten 60 Vorlagen für Kupferstiche.

Wie dicht sich das Unternehmen „Merian & Töchter“ an die Vorbilder aus dem Dschungel hielt, zeigen die ausgestellten Präparate. So finden sich die orangeroten Federn eines Flamingos exakt im Bild wieder. Merian-Expertin Ella Reitsma ist überzeugt, dass die Darstellung der Insekten von der Mutter stammt; Pflanzen und Farbgebung werden eher den Töchtern zugeschrieben. Während die Insekten noch der Miniaturmalerei verhaftet sind, zeigt sich in den schwellenden Blüten bereits barocke Überschwänglichkeit. Nach der lateinischen Edition publizierte Merian ihr Hauptwerk noch auf Holländisch, fand in Deutschland jedoch keine Verleger.

Für sie selbst hat sich der Reichtum ihres Werks nicht ausgezahlt. 1717 starb die Raupenfrau verarmt in Amsterdam. Der Leibarzt des russischen Zaren erwarb noch im Todesjahr zahlreiche Blätter. Auch diese sind nun erstmals nach Amsterdam zurückgekehrt.

Rembrandthaus, Amsterdam, bis 18. Mai. Der Katalog kostet 32,50 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false