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Annie Leibovitz: Auf Leben und Tod

Die Leibovitz-Retrospektive im Berliner Postfuhramt zeigt neben den legendären Celebrity-Fotos auch Bilder der Liebe und Trauer

Plötzlich ist die Szene umgedreht. Nicht Annie Leibovitz, Amerikas berühmteste Mode- und Magazinfotografin, hat hier die Mächtigen, Schönen und Reichen der Welt vor der Kamera. Sie selber wird in Berlin zum begehrten Objekt. Über 150 Presseleute, Kamerateams und ein Peloton von Fotografen haben sich vor der Kollegin aufgebaut, als wäre hier im alten Postfuhramt bei C/O Berlin noch immer Berlinale. Annie Leibovitz, groß, blond und bald 60, sieht aus wie eine schlanke Schwester von Barbra Streisand. Und dass sie mit ihrer Retrospektive „A Photographer’s Life“ nach New York, London und Paris in Berlin nicht im Hamburger Bahnhof oder im Gropius-Bau zu sehen ist, sondern hier, das ist ein Coup für das private Ausstellungshaus C/O Berlin.

Vor einigen Jahren hatte C/O schon mal Leibovitz’ glamoursöse Rockstar-Bilder präsentiert. Auch jetzt gibt es einige der begehrten Ikonen: Johnny Depp im schwarzen Shirt und Jeans auf der nackten Kate Moss; das Aktbild der hochschwangeren Demi Moore; die bewusst kitschig, er in einer Leopardenhose, sie im Seidenschlüpfer und billigen Strassflitter, auf Betten und Fauteuils hingegossenen Brad Pitt und Scarlett Johansson. Auf die Spitze treibt Leibovitz ihre Mischung aus Hingabe und Distanz, wenn sie Cindy Crawford als Eva mit der Schlange, eine Boa zwischen Brüsten und Beinen, in sattem Schwarzweiß porträtiert oder in kühlen Farben Donald Trump und seine gerade aktuelle Gattin: Die steht im Goldbikini und schwanger im offenen Heckspalt des Privatjets, während er mit einem silbrigen Sportwagen vorgefahren ist und seinen Erzeugerbody aus dem ebenso symbolträchtigen Renner wuchtet.

Auf Anhieb machen diese wirkungsvoll arrangierten Szenen Eindruck. Doch manchmal fragt man sich, ob es Absicht oder Nachlässigkeit war, wenn einem Porträtierten ohne Not ein halber Fuß abgeschnitten ist oder ein Foto von Bill Clinton im Oval Office, er pseudolässig auf der Schreibtischkante sitzend, trotz Computerbearbeitung des Hintergrunds so andächtig wie banal wirkt. Den künstlerischen Abstand der Mode- und Posefotografin Annie Leibovitz zum bewunderten Großmeister Richard Avedon, den man gerade in Berlin sehen konnte, erscheint da evident. Sie spürt das wohl selbst, bei allem Selbstbewusstsein, und es ist eine Hommage, wenn sie Avedon 2001, drei Jahre vor seinem Tod, in seinem Atelier souverän und vital porträtiert.

Glänzend auch das Gruppenbild des inneren Bush-Kabinetts, zwei Monate nach Nineeleven: der Präsident, Cheney, Powell, Rice & Rumsfeld frontal, hochseriöse Gesichter im Weißen Haus – und doch ein Touch Gangsterbande. Ein unwillkürlicher Effekt ergibt sich im Postfuhramt auch durch die Gegenüberhängung der ordengeschmückten Generäle Colin Powell, schwarz in olivdunkler Uniform, und Normal Schwarzkopf (vom legendären „Desert Storm“), ein Weißkopf in weißem Ornat, wobei man durch die Spiegelung in den Glasscheiben jeweils im doppelten Sinne ein schwarz-weißes Farbbild erblickt.

Stärker als manche Porträts sind überraschenderweise die menschenlosen Natur- oder Architekturbilder, Vulkane, Wüsten oder das fast apokalyptisch wirkende Gehry-Museum in Bilbao. Die Hauptneugierde aber gilt den späten Aufnahmen der Ende 2005 verstorbenen engen Freundin, auch Liebesgefährtin Susan Sontag. Das letzte „offizielle“ Porträt der krebskranken Schriftstellerin entsteht, hier abgebildet, im Dezember 2003 in Paris, ein Jahr vor Sontags Tod, den Leibovitz ebenso fotografiert hat wie spontane intime Szenen davor, im Privaten, im Bad, im Bett auf der Intensivstation. Sie geht damit in sehr schonungsloser Liebe, Freude und Trauer um, zeigt Bilder auch der späten Geburt ihrer eigenen Kinder oder den moribunden Vater. Überhaupt könnte diese Ausstellung der Schwangeren, Gebärenden, Sterbenden auch schlicht „Leben und Tod“ heißen. Manchmal sieht man auch nur ein Fahrrad auf dem Straßenpflaster und einen blutigen Halbkreis – das ist alles, was 1994 von einem direkt vor Leibovitz’ und Sontags Auto im belagerten Sarajevo erschossenen Jungen blieb. Die Fotografin notiert, es war „auf dem Weg zu einem Shooting mit Miss Sarajevo“. Wenn Bilder und Worte sprechen.

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