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Arktis: Palmen statt Schnee

Was tun, wenn das Wasser kommt? "Nothing of North Unknown" in der Galerie Alexandra Saheb reflektiert den kalten Norden als abschmelzende Projektionsfläche des Abendlandes.

Die Pole tauen, in der Kunst aber ist das Eis höchst präsent, ob in den Landschaftsaufnahmen der Helsinki-Schule, dem aktuellen Fotoband „Verschwindende Landschaften“, jüngst in der Ausstellung „True North“ der Deutschen Guggenheim oder nun in der kleinen, pointierten Gruppenschau der Galerie Alexandra Saheb. „Nothing of North Unknown“, zusammengestellt von der Berliner Kuratorin Laura Schleussner, reflektiert mit neun Arbeiten von sechs Künstlern den kalten Norden als abschmelzende Projektionsfläche des Abendlandes und kommt doch ohne die üblichen Monumentalaufnahmen arktischer Gletscher aus.

Ganz ohne Schnee geht es allerdings auch hier nicht. Die beiden Beiträge, in denen gefrorenes Weiß zu sehen ist, bilden das Entrée. Marie Jager aus Los Angeles hat M. P. Shiels apokalyptischen Roman „The Purple Cloud“ von 1901 zu einer Videocollage aus Sound, Text und Fotos eingedampft, die historische Bildvorlagen zu niedlichen Ansichten von Norwegen und Eisbergen kombiniert (Edition 2+3/3, 1400 €). Nicht ganz so folkloristisch wirkt die Winterlandschaft in Amalia Picas Diaprojektion „Islands“ (2500 €). Da stapft ein junger Mann die Umrisse einer Palme in den Schnee. Es liegt am Betrachter, ob er tatsächlich in der Palme ein Symbol für die Sehnsucht nach dem sonnigen Süden sieht, wie die Kuratorin nahelegt, oder ob nicht vielmehr die geschlossene Schneedecke sein Verlangen nach einem der rar gewordenen weißen Winter weckt.

Entschiedener sind die folgenden Arbeiten. Althea Thauberger aus Vancouver zeigt zwei Farbfotos von Nutzwäldern im Norden Kanadas (Edition 1/5, 5000 € bzw. Edition von 5, 3000 €). Der verbrauchten Landschaft mit kahlen Bäumen und gerodeten Flächen stellt sie energiegeladene junge Erwachsene gegenüber, die hier sommers aufforsten: einen muskelbewehrten Neo-Hippie auf einem Quad und Frauen in Arbeitsstiefeln, die über ihr Tun nachzudenken scheinen. Sie können nur den berüchtigten Tropfen auf dem heißen Stein leisten, so zumindest sieht es von der Wand gegenüber aus. Hier klingt Chris Watsons „Vatnajökull“ aus Kopfhörern (Preis auf Anfrage). Der britische Musiker hat das Knarren und Krachen des gleichnamigen isländischen Gletschers unterirdisch aufgenommen und in einer atemraubenden Komposition erst rhythmisch verdichtet und dann zu Plätschern und Rauschen gleichsam verflüssigt.

Was tun, wenn das Wasser kommt? Den spitzesten Kommentar steuern Claire Healy und Sean Cordeiro bei, die den australischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2009 bespielen werden. Das Bildhauerduo aus Sydney verstaute Sofa, Tisch, Töpfe und Bücher hoch unter der Decke, ganz ohne Schrauben, fest geklemmt nur mit Latten und Keilen (10 000 €). Eine sarkastische Metapher auf die resignative Anpassung an den steigenden Meeresspiegel, auf schwimmende Häuser in den Niederlanden oder das Feilschen um Zugang zu den frei werdenden Bodenschätzen am Pol. Und ein kippeliges Bild dazu. Kommt es doch meist anders, als man denkt. Wenige Tage nach Ausstellungseröffnung wurden neue Forschungen bekannt, denen zufolge die Arktis nicht erst in 30, sondern bereits in fünf bis zehn Jahren eisfrei sein soll. Zufällig zeitgleich stürzte die Installation der Australier ein. Die Bruchstücke haben Healy und Cordeiro sinnigerweise liegen gelassen. Claudia Wahjudi

Galerie Alexandra Saheb, Linienstr. 196, Mitte, bis 5. August, Di – Sa 12 – 18 Uhr. www.alexandrasaheb.de

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