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Anish Kapoor: Memory Deutsche Guggenheim Blick in die Ausstellung   Installation shot

© Deutsche Guggenheim/Anish Kapoor

Ausstellung: Anish Kapoor: Vogelkäfig für die Sehnsucht

Einladung ins Dunkle: der Londoner Künstler Anish Kapoor und sein „Memory“-Objekt in der Deutschen Guggenheim.

Es ist gelandet, nun steckt es fest. Ein Ei, ein Ufo, ein Unterseeboot? Fremd wirkt es, dieses leuchtend rostrote Stahlobjekt, das im steril weißen Ausstellungsraum der Deutsche Guggenheim Unter den Linden steht: Quer im Raum verkeilt, berührt es Decke und Wände und wirkt trotz seiner 24 Tonnen Gewicht – der Fußboden des Ausstellungsraums musste verstärkt werden – fast schwerelos. „Memory“ hat der in London lebende Künstler Anish Kapoor seine Installation für den Berliner Ausstellungsraum genannt, und wie eine Erinnerung an vergangene Zeiten wirkt sein Stahlobjekt zunächst tatsächlich. Die mit Bolzen und Nähten verschweißten Stahlplatten haben in ihrer handwerklichen Präzision etwas von Industrialisierung, von neunzehntem Jahrhundert. Ein Schiffsrumpf, ein Heizungskessel könnte so gefertigt sein, auch Richard Serras monumentale Skulpturen kommen einem in den Sinn. Und gleichzeitig assoziiert man, zumindest in Berlin, sofort Krieg, Bomben, Granaten: „Das habe ich nicht bewusst geplant“, erklärt auch der Künstler, leicht überrascht. „Aber seit die Skulptur hier aufgebaut ist, werde auch ich den Gedanken an Krieg nicht mehr los.“

Als während der letzten Installationstage vergangene Woche die Schreckensnachrichten aus dem Taj Mahal Hotel in Bombay nicht abrissen, drängten sich für den 1954 in Bombay geborenen Künstler ganz andere Gewaltassoziationen auf – das war unplanbar, gewiss. Und doch wäre Kapoor, der mit seinen verführerischen, rätselhaften Großinstallationen längst einer der gefeiertsten Gegenwartskünstler ist, der Erste, der seinen Arbeiten ein Eigenleben nach der Fertigstellung zugestehen würde. „Ich als Künstler meine gar nichts“, verwehrt er sich immer wieder psychologisierenden Deutungsfragen. Die Bedeutung, die seine Skulpturen haben, wächst ihnen gleichsam zu – in der Konfrontation mit dem Betrachter.

So hat auch „Memory“, das auf den ersten Blick so leicht fassbare Stahlobjekt, ein nicht zu unterschätzendes Verunsicherungspotenzial. Er baue gern Skulpturen, die größer seien als der Raum, der sie umschließt, hat Kapoor schon häufiger erklärt. Auch auf „Memory“ trifft das zu. Denn die Installation in der Deutschen Guggenheim ist nicht auf einen Blick erfassbar – sie verlangt drei Annäherungsweisen, die durch drei verschiedene Zugänge erschlossen werden. Zunächst blickt man vom Haupteingang aus auf das Objekt, freut sich an der pigmentartigen Oberfläche des Corten-Stahls, die danach schreit, berührt zu werden, ist versucht, unter dem Objekt durchzukriechen auf die andere Seite, und muss den Raum dann doch wieder verlassen, um durch den Notausgang auf der anderen Seite erneut einzutreten. Die erste Reaktion ist: Enttäuschung. Man sieht das gleiche Objekt noch einmal, von der anderen Seite, aber die Dimensionen, die Form hat sich völlig verschoben. Deutlich langgestreckter, schräger im Raum, verflüchtigt sich der kompakte erste Eindruck sofort. Was für eine Form hat dieses Ding denn nun? Und wie groß ist es eigentlich?

Und dann, in der dritten Ansicht vom Museumsshop aus, kommt der Aha-Effekt: Man blickt durch eine fenstergroße Öffnung ins Innere der Skulptur, in einen geheimnisvollen, dunklen Raum, dessen Grenzen nicht erkennbar sind. Eine schimmernde Höhle, die einen gehörigen Sog ausübt: Fast möchte man kriechen in dieses Dunkel, das so wohlig einladend wirkt wie ein Mutterleib und so unendlich-immateriell wie das Weltall.

„Kunst kann wunderbar Intimität schaffen“, erklärt Kapoor dazu. „Aber es bleibt ein emotionales Risiko.“ Tritt man einen Schritt zurück, verflüchtigt sich der Eindruck wieder, die Öffnung gewinnt ihre Zweidimensionalität zurück, wirkt wie ein abstraktes Gemälde an der Wand. Der Rahmen eines Bildes ist das Fenster zur Welt, hat der Renaissance-Theoretiker Leon Battista Alberti gesagt. Doch hier verschieben sich Innen- und Außenwelt. Und störend wirkt allein, nach dieser Erfahrung wieder zurückgeworfen zu werden in die Alltagsbanalität des Museumsshops: „Ich hätte noch etwas hartnäckiger sein und den Shop abbauen lassen sollen “, gibt auch Kapoor inzwischen zu.

Die Spannung zwischen Leere und Präsenz, das Spiel mit Material und Immateriellem: Darin besteht die große Kunst dieser Arbeit. Eine Spannung, die sich auffächert bis an die Grenzen der Phänomenologie: Wird doch unsere Wahrnehmung grundsätzlich infrage gestellt, wenn wir noch nicht einmal erfassen können, was für ein Objekt denn nun wirklich im Raum steht. Und gleichzeitig – „Memory“ bedeutet in diesem Sinne nicht nur die subjektive Erfassung, sondern auch das Fortwirken in der Zeit – ist diese Skulptur, die man in wenigen Minuten umgangen hat, von großer Langzeitwirkung. Sie lebt in der Erinnerung weiter, setzt sich kaleidoskopartig in immer neuen Erinnerungsfacetten zusammen und bewirkt vor allem eins: Sehnsucht. Die Sehnsucht danach, noch einmal in diese dunkle Leere zu blicken, noch einmal eine Erfahrung zu machen, die vielleicht nur Sekunden währt und gleichzeitig Ewigkeitswert hat.

Da verwundert es auch nicht, dass der Inder Anish Kapoor sich als großer Fan von Caspar David Friedrich bekennt. Die nebulöse Ferne, die Friedrichs Wanderer sehen, wenn sie aufs Meer hinausblicken, ähnelt der Raumerfahrung bei „Memory“. Es ist die Ferne in unserem Inneren.

Anish Kapoor, Memory, Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13/15, bis 1. Februar, täglich 10 bis 20 Uhr, Do bis 22 Uhr, montags Eintritt frei.

Christina Tilmann

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