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Emilio Vedova

© Max Jacoby, Berlin

Ausstellung: Der Berserker tanzt Walzer

Emilio Vedova entdeckte in Berlin das Prinzip der Collage. Nun kann Berlin ihn entdecken

Es ist der große Auftritt. Für Emilio Vedova, den Meister des abstrakten Expressionismus in Italien, der im Berlin der Jahre 1963 bis 1965 seine prägenden Eindrücke erhielt. Und für die Berlinische Galerie und ihr Haus in der Alten Jakobstraße, das noch nie so großzügig, so überzeugend, so monumental bespielt worden ist. Die erste große Vedova-Ausstellung in Berlin: Das ist die Einlösung eines Versprechens – und ein Vermächtnis. 2002 hatte der italienische Maler sein Hauptwerk, das „Absurde Berliner Tagebuch ’64“, der Berlinischen Galerie geschenkt, wo es seit der Eröffnung des neuen Hauses im ehemaligen Glaslager in Kreuzberg einen Ehrenplatz hat. Einzige Bedingung: die Ausrichtung einer großen Ausstellung.

1963 hatte Vedova in Berlin die Mauerstadt erlebt. Nun wollte er sein Werk auch der wiedervereinigten Stadt präsentieren. An der Ausstellung, die die Berlinische Galerie gemeinsam mit der Galleria d’Arte Moderna in Rom seit 2004 plant, hat Vedova selbst noch mit konzipiert. Im Oktober 2006 starb der Maler in Venedig im Alter von 86 Jahren. Nun ist seine erste große Retrospektive gleichzeitig zum Vermächtnis geworden.

Die Bilder tanzen zu lehren: das ist Vedovas Verdienst. Viel zu langweilig doch, eine Leinwand, klassisch rechteckig gerahmt, an die Wand zu hängen. Dazu hatte der Maler zu heftig Opernluft geschnuppert, als er für seinen Freund, den Komponisten Luigi Nono, Bühnenbilder zu den Uraufführungen von „Intolleranza ’60“ oder „Prometeo“ gestaltete. Der Bühnenraum und der Darsteller, der sich in ihm bewegt, so etwas müsse doch auch für den Kunst-Kontext gehen, fand Vedova. Und befreite die Bilder aus dem Rahmen, befreite sie auch von der Wand. Bewegliche Konstruktionen sind seine „Plurimi“, die sich klappen, verschieben, verstellen lassen.

Im Entree der Berlinischen Galerie haben diese „Plurimi“, „Dischi“ und „Tondi“ aus der Mitte der Achtzigerjahre ihren großen Auftritt. 19 runde Scheiben, mit wilden, gestischen Pinselschlägen bemalt, schwarz, gelb, rot, liegen auf dem Boden, balancieren im Raum, ragen aus der Wand. Ein Walzertraum, ein Raumlabyrinth. Der Betrachter irrt zwischen ihnen umher, taucht unter ihnen durch, erwartet jeden Moment, dass die ganze Konstellation ins Wanken, ins Rollen gerät. Sie droht den hohen, schmalen Schachtelraum des Eingangsfoyers zu sprengen, diese Malerei – und bringt ihn doch nur behutsam zum Schwingen.

Ein großartiges Gegenstück, dieses Ensemble, zum „Absurden Berliner Tagebuch“, das am entgegengesetzten Ende der Ausstellungsfläche auf seinem angestammten Platz residiert. Auch hier sind die Werke in Bewegung, lehnen sich aneinander, verbinden sich zum Labyrinth. Doch die 200 Quadratmeter große Installation kommt grober, heterogener, beschädigter daher. Es ist das Mittel der Collage, das Vedova in Berlin entdeckt: Holz, Schiefer, Draht, Zeitungen, Tuch und Seile verbinden sich zu Ensembles.

Eine „Hommage an Dada“ hat Vedova eine andere Berliner Arbeit genannt, und von der Dada-Technik der Kombination des Unzusammengehörigen hat er sich einiges abgeschaut. Hannah Höch, die Hausheilige der Berlinischen Galerie, war ihm in seiner Berliner Zeit wertvolle, wenn auch wesensmäßig völlig entgegengesetzte Gesprächspartnerin: Man stelle sich die Diskussionen zwischen der stillen, zurückgezogenen, zierlichen Dadaistin und dem venezianischen Berserker und Zweimetermann vor. Die Geschwindigkeit, die Gebrochenheit, die unbedingte Gegenwart der Stadt habe Vedova fasziniert, erzählt Jörn Merkert, der Direktor der Berlinischen Galerie. Wer aus der venezianischen Idylle kam, musste die Ruinen und Zerstörungen Berlins, den Geist des Wiederaufbaus und der Neuerfindung als höchst anregend erfahren. Er wolle „nach den ungeheurlichen nazistischen Auswüchsen noch einmal in den Straßen, in dem unruhigen Getriebe dieses lebendigen Babel dem demokratischen kritischen Geist nachspüren, der Grosz, Dix, Beckmann einst beseelte“, schrieb Vedova 1964 an den Freund und späterer Direktor der Nationalgalerie Werner Haftmann.

Der Kampf mit der Schönheit: das zieht sich durch Vedovas Werk, so gesehen, ist er sein Leben lang Venezianer geblieben. Schon die frühen Tuschen und Zeichnungen aus den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren: Architekturelemente aus venezianischen und römischen Kirchen, ganz traditionell noch vom Gestus und doch schon: entschieden in Schwarz gehalten. Denn auch das ist Vedova: der große Schwarzmaler. Wer Venedigs morbide Vergangenheitstrunkenheit, seine Todesseligkeit kennt, weiß, woher das kommt. Und es bleibt, bis zum Schluss. Eine der letzten Arbeiten Vedovas ist die große Installation „Wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen“ von 1993. Eine Mahnung, ein Memorial, inspiriert durch den Brand der Bibliothek von Sarajewo. Politisch leidenschaftlich engagiert, ein Partisan, ein Unbequemer: Auch das war der Widerstandskämpfer Vedova sein Leben lang.

Der erste Besucher der Ausstellung war, am Tag vor seinem 70. Geburtstag, übrigens Georg Baselitz. Der italienische Expressionist und der deutsche Großmaler: da hatten sich zwei Berserker gefunden. Lange waren Vedova und Baselitz befreundet gewesen, schon 1957 hatte Baselitz sein erstes Vedova-Bild gekauft und auf der Biennale in Venedig im vergangenen Jahr dem verehrten verstorbenen Freund mit sechs großen Tafelbildern eine berührende Hommage gestaltet. Diese Bilder, die nach der Biennale in eine amerikanische Privatsammlung verkauft worden waren, sind nun auch in Berlin zu sehen. Es sind machtvolle, monumentale Werke aus der aktuellen „Remix“-Serie, gehalten in sattem Schwarz, in Gelb, in Grau. In Vedovas Farben.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 20. April, täglich außer Di 10 bis 18 Uhr. Katalog (Electa) 29,80 Euro.

Christina Tilmann

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