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Ausstellung: Grenzgänger der Ethnographie

Vom 2. September bis 7. November 2004 sind im Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem Fotografien von Pierre Fatumbi Verger zu sehen. Titel der Ausstellung: "Schwarze Götter im Exil".

Vom 2. September bis 7. November 2004 sind im Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem Fotografien von Pierre Fatumbi Verger zu sehen. Titel der Ausstellung: "Schwarze Götter im Exil". Sven Werkmeister hat sie sich angesehen.

Rituelle Kultgegenstände und heilige Artefakte nichtchristlicher Religionen findet man in ethnologischen Museen normalerweise sortiert und beschriftet in Glasvitrinen, wo sie dem Besucher als gesammeltes Wissen über fremde Völker präsentiert werden. In der aktuellen Ausstellung des Ethnologischen Museums Berlin Dahlem empfängt den Besucher in der Mitte des großen Ausstellungsraumes ein Altar zu Ehren der spirituellen Mutter des französischen Fotografen Pierre Verger, dem die Werkschau gewidmet ist. Steht man vor dem geschmückten afro-brasilianischen Heiligtum, umgeben von vertrockneten Blumen und rituellen Opfergaben, ist man sich nicht mehr ganz sicher, ob es sich hier um einen Teil der ethnographischen Sammlung oder um respektvolle Ehrerbietung dem fremden Ritual gegenüber handelt. In solchen Momenten der Uneindeutigkeit liegt der besondere Reiz der Dahlemer Ausstellung. Die kritische Befragung der Ethnologie als wissenschaftlicher Disziplin war dem Fotografen Verger zeitlebens ein Anliegen. Leben und Arbeit, Fotografien und Texte, des 1902 als Sohn deutsch-belgischer Eltern in Paris geborenen intellektuellen Grenzgängers bewegten sich meist an den Rändern der Ethnographie: „Ich mag es nicht, Menschen zu erforschen, als handelte es sich um Käfer oder exotische Pflanzen.“ Daß der fotografierende Nomade auf seinen zahlreichen Reisen dabei mehr und vor allem anderes von außereuropäischen Kulturen erfahren hat als die meisten Ethnologen, davon zeugen die eindrucksvollen Bilder in der aktuellen Ausstellung.

Von Paris nach Bahia

Das bürgerliche Leben in Europa innerhalb klar gezogener Grenzen war Verger schon früh zuwider. In der Schule eckte er wegen Ungehorsam und fehlender Disziplin immer wieder an, wurde zweimal suspendiert. Auch in der elterlichen Druckerei fand er keine Erfüllung. So war es ein Glücksfall als Verger 1932 die Fotografie als ein Medium entdeckte, Neues zu sehen. Nach dem Tod der Eltern und dem Konkurs des Familienunternehmens brach der damals Dreißigjährige zu einer ersten einjährigen Reise nach Polynesien auf. Die Fotos, die er aus Tahiti mitbrachte, weckten bald das Interesse des Pariser Musée d’Ethnographie. Verger konnte hier einige seiner Fotos ausstellen, knüpfte schnell Verbindungen zu Ethnologen, Künstlern und Intellektuellen, wie Michel Leiris und Alfred Metreaux, die für sein weiteres Leben zu wichtigen Bezugspersonen wurden. In den folgenden Jahren reiste er als Fotojournalist mit seiner Rolleiflex um die ganze Welt: Nordamerika, Asien, Afrika und Südamerika. 1946 schließlich landete er in Salvador da Bahia. Von der Magie der einstigen Hauptstadt Brasiliens in den Bann gezogen fand er hier eine neue Heimat.

Afro-brasilianische Kulte

Die nun erstmals in Deutschland präsentierte Auswahl von Fotos aus dem umfangreichen Archiv der Pierre Verger-Stiftung in Bahia läßt die Faszination ahnen, welche von jenem Ort auf den europäischen Aussteiger Verger ausgegangen sein muß. Protagonisten sind die Menschen in den Straßen der Hafenstadt: Schlafende unter den Bäumen am Straßenrand, oft in akrobatischen Stellungen, Lastenträger mit Bergen von Kisten, Geschirr, einem reich verzierten Sarg auf den Köpfen, tanzende Menschen beim Karneval der Transvestiten. Neugier, der Wunsch nach Teilhabe und Dazugehören spricht aus diesen Bildern. Vergers Kamera baut keine Distanz zu den Fotografierten auf, die Schwarz-weiß-Aufnahmen schaffen es, eine eigentümliche Nähe zu Leben und Kultur der Nachfahren afrikanischer Sklaven im Nordosten Brasiliens herzustellen. Die Porträtierten sind nicht ethnologische Studienobjekte, es sind Menschen, denen der Fotograf sich als Freund und Verwandter fühlte. Besonders den synkretistischen Kulten der bahianischen Candomblé-Gemeinden, die ein Pantheon vielfach verbundener, verkreuzter und vermischter afrikanischer Götter und katholischer Heiliger verehren, galt bis zu seinem Tod im Jahr 1996 das Interesse Vergers, ihnen widmete er sein Lebenswerk. Über dreißig Reisen führten ihn von Bahia nach Afrika, um die kulturellen Bewegungen und Einflüsse zwischen Afrika und Brasilien zu erforschen und zu erfahren. Seine 1966 an der Sorbonne in Paris als Promotion angenommene Studie „Flux et Reflux“ beschreibt diese komplexen Wechselbeziehungen im transkulturellen Raum zwischen Afrika und Amerika und wurde zum Wegbereiter späterer Forschungen. Es ist daher ein mehr als glücklicher Zufall, die Ausstellung Vergers nun in Berlin parallel zur zeitgleich stattfindenden Veranstaltungsreihe Black Atlantic im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

Das optisch Unbewußte

Verger war nicht nur Grenzgänger und Botschafter zwischen der komplexen Lebenswelt afro-brasilianischer Kultur und Europa, er wurde auch zum Mittler zwischen den religiösen Gemeinden in Afrika und in Brasilien. Als Eingeweihter in die heiligen Kulte – 1953 hatte er nach der Initiation in Afrika den zweiten Namen Fatumbi angenommen – wurde er selbst zum religiösen „Geheimnisträger“, dem der Wissenstransfer und der kulturelle Austausch der Traditionen auf beiden Seiten des schwarzen Atlantik zur Lebensaufgabe wurde. Auch seine Kamera verstand der Fotograf als quasi spiritistisches Instrument. Indem sie die Zeit anhält und damit sichtbar macht, was wir im schnellen Ablauf der Ereignisse nicht bewußt wahrnehmen können, öffnet sie einen Zugang zu unserem Unterbewußten, erläutert Verger seine fotografische Motivation im ausgezeichneten Katalog zur Ausstellung. Wie jenes optisch Unbewußte, von dem bereits Walter Benjamin in seiner Studie zur Fotografie sprach, als eine besondere Beziehung zum Fremden zum Tragen kommen kann, erfährt man vor allem in den Fotografien der rituellen Candomblé-Zeremonien, denen ein großer Teil der Ausstellung gewidmet ist. Gerade in den Aufnahmen der Eingeweihten im Trancezustand, beschmiert mit Blut und Federn, Tieropfer in den Händen, blitzt etwas auf, das den Betrachter unmittelbar anzugehen scheint. Wer sich auf diese Bilder einzulassen versucht, kann vielleicht etwas von jener fremden Lebenswelt erahnen, die ihm vor den Schaukästen der ethnologischen Sammlungen immer verschlossen bleiben wird.

Sven Werkmeister

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