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Bernstein

© Doris Spiekermann-Klaas

Brieffreundschaft: Schnittlauch vom Superman

Künstler als Brieffreunde: Eine Begegnung mit Nanne Meyer und F. W. Bernstein in der Ausstellung "Pingpong".

Sie schreiben sich seit zwölf Jahren. 400 Postkarten sind mal in den Briefkasten von Nanne Meyer, mal in den von F. W. Bernstein gewandert. Die beiden Künstler haben eine ganz besondere Brieffreundschaft. Sie teilen alltägliche Beobachtungen, poetische Blicke, Kuriositäten und Banalitäten. Die Ausstellung „Pingpong“ im Projektraum des Deutschen Künstlerbunds zeigt nun eine Auswahl dieser Karten.

21.12.98: F. W. Bernstein schickt Nanne Meyer das „Festtagskrakel“. So schreibt er unter eine schemenhafte Figur, die sich vor lauter Vorweihnachtswirrungen in Sternenstaub aufzulösen scheint. Nanne Meyer antwortet: „Vom Land sende ich meinen Dank für das Festtagskrakel. Zum neuen Jahr wünsche ich ein zuversichtliches in der Welt Sein und um die Welt Herumzeichnen. Ihre Nanne Meyer.“ Um die Welt herumzeichnen, das ist auch eine schöne Formulierung für das, was die beiden Künstler miteinander teilen. Ihr Gedankenaustausch geschieht zwischen Tür und Angel, ohne hochtrabende Erwartungen.

Nanne Meyer bricht sich das Bein. Sie schickt F. W. Bernstein eine Zeichnung ihres Gipsfußes. Einmal zeichnet sie Gesichter nur aus Punktlinien. Darunter schreibt sie: „Die relative Verteilung der Pünktlichkeit.“ Immer wieder erfreuen sich beide am Vorantreiben ganzer Serien. Zum Hasen, zum Porree.

„Vielleicht habe ich damals gerade etwas gekocht?“ Nanne Meyer erinnert sich nicht mehr genau. Jedenfalls gibt es viele Karten mit Lauch vorne drauf. Und einmal sendet F. W. Bernstein seiner Künstlerkollegin ein Bündel Schnittlauch. Superman hält es in der Hand. Mal schreiben sie sich regelmäßig, mal vergehen Tage, Wochen. Der Kontakt bricht nie ab.

Bevor sie dieses Spiel begannen, kannten sie nur die Arbeit des anderen. Eines Tages hatte Nanne Meyer, Professorin an der Kunsthochschule Weißensee, F. W. Bernstein als Juror für einen Kunstpreis angefragt. „Danach hat er eine Dankeskarte geschrieben und gefragt, ob er mir hin und wieder ein Kärtlein zusenden dürfe“, erinnert sich Nanne Meyer. „Und ich schrieb ein Kärtlein zurück.“

F. W. Bernstein, geboren 1938, ist Maler, Zeichner und Lyriker. Er entwickelte zusammen mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter die Beilage „Welt im Spiegel“ in der Satirezeitschrift Pardon, gründete die Neue Frankfurter Schule mit und war an der Berliner Hochschule der Künste Professor für Karikatur und Bildgeschichte. Nanne Meyer adressiert ihre Karten an ihn mit Fritz Weigle. So lautet sein richtiger Name. Sie schreibe ihm schließlich als Zeichner, nicht als Künstlerpersönlichkeit.

Die beiden verehren die Arbeit des anderen. Dafür gibt es noch ein weiteres Zeichen: Nanne Meyer und F. W. Bernstein siezen sich. Noch immer. Das Interesse an der Gedankenwelt des Gegenübers ist der Motor, der die Brieffreundschaft am Laufen hält. Persönlich sehen sich die beiden selten. Zum Treffen im Projektraum des Künstlerbunds bringt Bernstein einen Zeitungsausschnitt mit. Es ist eine Kritik zu Nanne Meyers aktueller Ausstellung „Linie Line Linea“ im Kunstmuseum Bonn. Er liest sie ihr stolz vor. Ihr scheint es indes etwas unangenehm.

Dann unterhalten sie sich darüber, dass etwa auch die Expressionisten sich häufig schrieben, dass Kunstpostkarten boomen, und dass es kaum noch Ansichtskarten von Urlaubsorten gibt. Nanne Meyer erzählt von einem Erlebnis in Ligurien, wo ihr ein Kioskbesitzer verriet, dass Touristen statt Karten nur noch SMS verschicken. F. W. Bernstein entfährt ein bedauerndes „Ooh“. Sie betrachten einzelne Erinnerungsstücke, die auf vier Tischen zusammen präsentiert werden, wie etwa jene Karte, mit dem Wappen des Fürsten Charles-Joseph de Ligne, die Meyer eines Tages bekam: Zu sehen ist eine einfache rote Linie, die ein gelbes Wappen diagonal durchschneidet. F. W. Bernstein fällt prompt eine Anekdote zum Fürsten ein. So, wie die beiden miteinander plaudern, wie sie sich von einem zum nächsten Thema hangeln und über die Welt philosophieren – so schreiben sie sich auch.

„Das sind keine Bekenntnisse einer schönen Seele“, sagt F. W. Bernstein. Das sei Unfug, und manchmal auch Poesie. Jede Postkarte – ein Geschenk. So sieht das auch die Künstlerin Eva-Maria Schön, die die Idee zu der Ausstellung hatte. Sie selbst schreibt sich seit vier Jahren mit Nora Schattauer. Diese Korrespondenzen sind ebenfalls im Projektraum ausgestellt. Hier ist es mehr ein Austausch über das künstlerische Schaffen selbst. Die Frauen fügen ihren Arbeitsproben im Laufe der Zeit immer längere Texte bei, bestärken sich beim Experimentieren mit verschiedenen chemischen Prozessen auf Papier.

Eine dritte Form der „Mail-Art“, betreibt Suse Wiegand. Sie verschickt Fotografien gepaart mit kurzen Zweizeilern per Mail an Freunde und Bekannte. Ob es am anonymen Medium liegt, dass ihr bis auf Eva-Maria Schön bisher niemand geantwortet hat? „Einige Künstler betreiben solche Briefwechsel“, sagt Eva-Maria Schön, die im Bekanntenkreis herumfragte. Doch ausstellen wollten sie ihre Korrespondenzen nicht. „Das war ihnen wohl zu persönlich“, vermutet sie.

Projektraum Deutscher Künstlerbund, Rosenthaler Str. 11, bis 21. Mai, Di-Fr 14-18 Uhr u. nach Vereinbarung, Tel.: 26 55 22 81

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