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Cy Twombly: Im Rausch der Sinne

Farben, Blitze, Bleistiftspuren: Die Tate Modern in London widmet Cy Twombly eine Retrospektive.

Die in Berlin lebende Künstlerin Tacita Dean hat einmal beschrieben, wie ihre erste geistige Begegnung mit Cy Twombly aussah. Die damalige Kunststudentin saß 1987 unterhalb von Delphi im Gras, und beobachtete, wie ein Gewitter über die Berge zog. Schwarze Wolken ziehen auf, es beginnt heftig zu regnen, unweit kräht ein Hahn. Tacita Dean erfasst Ehrfurcht, Ehrfurcht vor der magischen Präsenz der Götter, an diesem heiligsten aller griechischen Orte. „Panik“ nennt sie dieses Gefühl, und verknüpft es mit der Gegenwart des griechischen Gottes Pan.

„Pan“ heißt auch eine Zeichnung von Cy Twombly, die sie, wie alle britischen Künstler ihrer Generation, wenig später bei seiner Ausstellung in der Londoner Whitechapel Art Gallery sieht, ein weißes Blatt, „Pan (Panik)“ ist mit Bleistift daraufgeschrieben, halb verschmiert, darunter ein roter Fleck, Blut, rote Erde, und oberhalb die Reproduktion von zwei Rhabarberstengeln. „Da ist sehr viel von Pan in Cy Twombly, aber der Rhabarber ist kultiviert“, resümiert Tacita Dean.

Pan, Panik und Panegyrik, das ist alles in Twomblys Arbeiten, das Göttliche und das Pagane und eine große Ehrfurcht vor der Kultur und Literatur der Alten. In der großen Retrospektive, die die Tate Modern in London dem Maler zum 80. Geburtstag nun ausrichtet – die Ausstellung wandert danach nach Bilbao und Rom – sind Werkgruppen aus allen Schaffensperioden zu sehen, von den frühen Schwarz-Weiß-Bildern der fünfziger Jahre bis zu den unlängst entstandenen Abu-Ghraib-Kommentaren in blutroter Farbe. Aber immer ist es die Mythologie, die sich wie der rote Ariadnefaden durch das Werk zieht, Mythologie und Poesie, eine spinnenfeine Bleistiftspur, die den Dichtern folgt, Catull, Vergil, Homer, Horaz, Flaubert, Keats, Rilke und T.S. Eliot.

Das Gewitterschwüle, das Tacita Dean in Delphi erlebte, es ist auch bei Cy Twombly zu spüren. In den Farbnebeln und Schriftballungen, im Moment des Schreibens und Verwischens, Verlaufens und Verbleichens, in der Stille vor dem Sturm, mit der die weiße Leinwand auf den Farbblitz wartet. Man meint den Dionysiker zu spüren, in den Rotweinspuren der Bacchanalia-Serie von 1977 wie im deutlich melancholischeren Herbstbild aus dem Jahreszeiten-Zyklus (1991 bis 1995), den die Tate erstmals in beiden Versionen parallel zeigt. Farbrausch und Vergänglichkeit, Abschied und Einsamkeit: „Say Goodbye Catullus to the shores of Asia Minor“ steht auf dem Sommerbild. Die Farben, leuchtendes Sonnengelb, mattes Mauve, Schwarz und Dunkelgrün, atmen herbstlichen Süden.

Doch wer in Cy Twombly nur den Rausch, das Chaos und reine Gefühl sieht, verkennt die intellektuelle Seite. Nicht nur die profunde Literaturkenntnis, auch der Prozess des Schreibens und Ausstreichens, Erfindens und bildgewordenen Denkens, der den Strukturalisten Roland Barthes so faszinierte, kennzeichnen Cy Twombly mindestens so sehr als Apolloniker. Es ist seine Faszination für antikes Ebenmaß, für palladianische Architektur, die ihn früh nach Europa, nach Italien führt. Im (seltenen) Interview anlässlich der Tate-Ausstellung schwärmt er von seinem römischen Appartment, mit Fenstern auf einer Seite und einer Folge von Türen auf der anderen: eine ideale Form, die er sich auch für seine Museumspräsentationen wünscht, etwa die Menil Collection in Houston.

In der Tate ist der Wunsch weitgehend in Erfüllung gegangen. Die klare Raumfolge im ehemaligen Kraftwerk ist nicht enzyklopädisch, sondern schwerpunktmäßig bespielt, und präsentiert wichtige, oft lange nicht mehr komplett gezeigte Werkgruppen in zunehmder Intensität. Da ist zum Beispiel, eine Entdeckung, die frühe, 24-teilige Zeichnungsfolge „Poems to the Sea“, die den Prozess des automatischen Schreibens und skrupulösen Übermalens exemplarisch verdeutlicht: anrührende, fragile Zeichen einer immerwährenden Suche. Oder, auf der anderen Seite der Skala, die wuchtigen, mit Blutrot auf Leinwand gespritzen „Ferragosto“-Bilder, Tafeln voller Leidenschaft, Lebenskraft und Gewalt. Oder die kühl-analytischen „Bolsena“-Bilder, 14 Variationen über Bilddiagonalen und Maßeinheiten.

Einen Höhepunkt bilden die gegenüber gehängten Monumentaltafeln von „Treatise on the Veil“, die 1970 einen Wendepunkt in Twomblys Karriere bedeuten. Monumentale monochrome Leinwände, auf die, wie mit Kreide, Skalen gezeichnet sind: eine Vermessung der Welt in wenigen Schritten. Da kehrt eine Ordnung ein, die dem vermeintlichen kreativen Chaos der frühen Bilder eine rigide Geistigkeit verleiht. Schließlich, 1988, eine ganz andere Überraschung: der fulminante neunteilige Zyklus für die Biennale in Venedig. Spielerische Rokokoschwünge in den Bildformaten, ein Seerosengrün voller wasserfunkelnder Reflektionen. „And in the Pond/broken of from the sky/my feeling sinks/as if standing on fishes“ zitiert das Auftaktbild ein Rilke-Gedicht.

Das Quecksilbrig-Wandelbare, immer wieder schwer Fassbare zeichnet Twomblys zarte, vergängliche Kunst quer durch alle Schaffensperioden aus. Man erkennt einen Twombly sofort – und ringt doch jedes Mal neu um Fassung. Ähnlich ausweichend präsentiert sich der Maler und Bildhauer zuletzt auch als Fotograf, in den gerade bei Schirmer/Mosel erschienenen Fotografien von 1951 bis 2007. Eine Entdeckung, und doch so überraschend wieder nicht. Sonnenlicht auf Jalousien, Staubkörner, die im Zimmer tanzen, kunstvolle Unschärfen und bewusst begrenzte Bildausschnitte: Poesie, die durch kalkulierte Unperfektheiten entsteht. Der Künstler selbst tritt nur als Schemen ins Bild, von hinten aufgenommen oder versteckt hinter der Kamera. Doch seine Gegenwart spricht aus jedem Bild. Magische Präsenz. Nur keine Panik.

Cy Twombly, Tate Modern, London, bis 14. September. Katalog 24,99 Pfund.

Cy Twombly, Photographs 1951 – 2007, Schirmer/Mosel Verlag, 78 Euro

Christina Tilmann

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