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Edward Hopper: Glück im Kornfeld

Realist und Romantiker: Eine Hamburger Ausstellung zeigt "Edward Hopper und seine Zeit".

Was tun, in Zeiten der Krise? Ziehen wir uns aufs Land zurück, in die beschauliche Enge kleiner Städte oder die majestätische Weite von Wald, Feld und Wiesen? Leben von der eigenen Hände Arbeit, freuen uns an der Schönheit von Sonnenauf- und -untergang, führen ein bescheidene, aber selbstbestimmte Existenz? Oder stürzen wir uns in Taumel und Zerstreuung, in die billigen Vergnügungsangebote der Großstadt, Kino, Tanzspaß und Varieté, Jahrmarkt und Rummel, ein bisschen Traum für wenig Geld? Und kehren danach wieder in unsere tristen, engen Behausungen zurück, im neonkalten U-Bahn-Wagen, in der Mitte der Nacht?

Selbstvergewisserung in Zeiten der Krise: Darum ging es im Amerika der Depressionszeit, in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als sich Literatur und Film, Fotografie und bildende Kunst an einer Neubestimmung ihrer Positionen abarbeiteten. Wie sich die Zeiten doch ähneln. Auch jetzt, knapp hundert Jahre später und ein ähnliches ökonomisches Desaster vor Augen, diskutiert man wieder über die Besinnung auf das Wesentliche. Nur: Was ist das Wesentliche?

Für die Kunstszene der Vereinigten Staaten, die Anfang des 20. Jahrhunderts selbstbewusst „the birth of a nation“, die Erschaffung einer eigenständigen US-Kunst ausgerufen hatte, wurde die Diskussion über das Wesentliche zur Zerreißprobe. Was ist amerikanische Kunst? Was kann sie sein? Autonome Kunstformen oder uramerikanische Sujets, moderne Großstadtimpressionen oder die Weite des mittleren Westens, Industriebauten oder traditionelle Landwirtschaft? Was ist das Wesen Amerikas? Regionalisten, Präzisionisten, Machine Age oder Ashcan-School, Realisten oder Modernisten: Für jede Entscheidung gab es eine andere Schule. Jede Schule hatte ihre Stars. Viele von ihnen kennt man hier nicht.

In Europa ist aus diesen Jahren nur Edward Hopper (1882-1967) bekannt, dessen Bilder einsamer Menschen in Automatenrestaurants, Büros, Hotellobbies oder Vorortzügen, dessen Leuchttürme und Kornfelder, Kleinstadtidyllen und Großstadttristessen zum Inbegriff amerikanischen Lebens im 20. Jahrhundert geworden sind. Die Vereinsamung des Einzelnen in der modernen Welt – dafür steht Hopper, bis heute unübertroffen. Nur: Ist er so einzigartig, wie er uns scheint?

Wenn das Bucerius-Kunstforum Hamburg nun mit einer neuen Hopper-Ausstellung wirbt, macht sich zunächst Ermüdung breit. Hopper? Schon wieder? Nach der großen Retrospektive, die das Museum Ludwig in Köln gemeinsam mit der Londoner Tate erst vor fünf Jahren ausrichtete? Ist gerade zu diesem Künstler nicht alles gesagt, sind seine Bilder nicht fest im kollektiven Bildgedächtnis eingebrannt und millionenmal verbreitet? Und: Ist „Hopper und seine Zeit“ nicht die übliche Mogelpackung, nur wenige Bilder des Starkünstlers, und drum herum wird aufgefüllt mit Beständen des mit Neubauplänen befassten und daher ausleihwilligen Whitney-Museums?

Keineswegs. „Hopper und seine Zeit“ ist weniger eine Ausstellung zu Hopper, obwohl im Zentrum acht – glücklicherweise nicht ganz so ikonenhaft überbekannte – Hopper-Werke stehen. Es ist eine Ausstellung über die Zeit, und über die Kunst jener Zeit, die weit mehr umfasst als bloß den einen Maler. Knapp hundert Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Fotos hat die New Yorker Gastkuratorin Barbara Haskell ausgesucht – das Whitney hatte sich in den Anfangsjahren unter seiner Gründerin Gertrude Vanderbilt Whitney besonders um Hopper und sein Umfeld gekümmert. Kennt man die „Generation Hopper“, wie Bucerius-Leiterin Ortrud Westheider sie nennt, lernt man auch Hopper anders sehen. Und ihn anders schätzen.

Die Ausstellung ist der Abschluss einer ehrgeizigen Trilogie. Das Bucerius- Forum wollte getreu dem transatlantischen Auftrag die wenig bekannte „amerikanische Kunst vor Hopper“ in Deutschland präsentieren. Die Reihe begann 2007 mit romantischen Landschaftsbildern der Hudson River School, 2008 folgten die Porträts des „Gilded Age“, jene Großporträts der Vanderbilts, Rockefellers und Carnegies vom Ende des 19. Jahrhunderts.

Monumentale Naturromantik, erlesene High-Society-Porträts, das war die amerikanische Kunst der frühen Jahre. Anfang des 20. Jahrhunderts steht ein Neuanfang an. Aus Philadelphia kommt mit John Sloan, William Glackens, Everett Shinn und George Luks die Ashcan-School, die „Mülleimer“- Schule, die die Großstadt als Sujet entdeckt. Die Motive liegen auf der Straße, es kann ein ärmlicher Hinterhof mit Schneemann und Wäscheleine, ein schäbiges Varieté-Theater, ein Boxkampf oder eben auch ein Mülleimer sein. Hauptsache: realistisch. Hauptsache: echt.

Und parallel gibt es die Gegenrichtung, Joseph Stella, Marsden Hartley, Max Weber, die in Europa die Strömungen von Futurismus und Expressionismus kennengelernt hatten, die für die Ausdruckssouveränität der Kunst kämpfen. Motiv egal, Hauptsache, der Zugriff ist geglückt. Beide Strömungen finden ihre Themen am gleichen Ort: das Lichtgefunkel des Luna Parks von Coney Island, die Restaurants in China Town.

Mit dem sozialen Realismus der frühen Dreißiger, mit Malern wie Ben Shahn, Raphael Soyer oder Reginald Marsh ist man schon mitten in der Hopper-Welt. Sekretärinnen in Kostüm und Hut auf dem Weg aus dem Büro in den Feierabend, wo sie sich in billigen Kinos vergnügen oder als aufgetakelte Taxi Dancers „Ten Cents a Dance“ versprechen. Das ist die grellbunte Großstadtwelt, vor der Maler wie John Steuart Curry, Grant Wood oder Thomas Hart Benton aufs Land entfliehen wollten. Und gleichzeitig adeln die Maler des „Machine Age“ wie Charles Sheeler, Elsie Driggs oder Ralston Crawford ganz im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ die Ford-Motoren-Werke von Detroit zu Kathedralen, aber auch eine simple Scheune zum Monument.

Und Hopper: Er steht mittendrin. Nimmt von allem etwas mit: den strikten Realismus der Ashcan-Gruppe und den sozialen Blick eines Soyer oder Marsh, die Monumentalität eines Sheeler und die Kleinstadtästhetik der Regionalisten. Hopper macht daraus ein eigenes Amalgam, weniger anekdotisch, deutlich abstrahierter, dadurch allgemeingültig bis heute. Er zeigt eine Welt, so flüchtig wie bodenständig. Und Bilder, so realistisch wie konstruiert. Da steht, in „Seven A. M.“, ein Vorort-Eckladen direkt vor einem wilden Wald. Es wartet, in „South Carolina Morning“, eine aufgetakelte Schöne, die eher an eine städtische Bar gehörte, in einer einsamen Hütte mitten im Kornfeld. Und der Blick auf den zarten Rücken einer jungen Näherin wirkt wie im Vorbeifahren mit der S-Bahn durch ein Fenster erhascht. Die Sonne, über den Eisenbahnschienen am Bahndamm, erlischt. Sie geht auch wieder auf.

Modern Life. Edward Hopper und seine Zeit. Bucerius-Kunstforum, bis 30. August, Katalog (Hirmer-Verlag) in der Ausstellung 24,80 €, im Buchhandel 34,80 €.

Christina Tilmann

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