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Atatürk

© Eydel

Fotoausstellung: Das Projekt Moderne

Die Erfindung der Türkei: Eine Fotoschau in der Berliner NGBK zeigt Nationalmythen.

Auf der einen Seite die Fernsehbilder: Am Sonntag wählt die Türkei ein neues Parlament, und die Szenen aus Ankara und Istanbul, die seit Wochen über die Bildschirme der westlichen Welt flackern, zeigen eine zerrissene, eine für viele befremdende Türkei: aufgewühlte Massen, hysterische Politiker, autonom agierende Militärs und andere Streitgruppen, zwischen denen oft nur eine Verbindung auszumachen ist: die über alle Konfliktlinien hinweg geschwenkte Nationalflagge.

Auf der anderen Seite Katja Eydels Bilder, die so ganz anders geartet sind. Fast scheint es die Berliner Fotografin zu stören, dass sie mit ihrer Ausstellung so eng an eine tagespolitische Debatte herangerückt ist, mit der ihre Bilder nur am Rande zu tun haben. „Die Erfindung der Türkei“ nennt sich die Fotoschau, die der Erschaffung des türkischen Nationalstaats in den zwanziger Jahren und ihrem Nachhall in der Gegenwart nachspürt.

Nicht nach dem Fremden, sondern in erster Linie nach dem Ähnlichen habe sie mit ihren Aufnahmen gesucht, sagt Eydel im Gespräch – nach dem türkischen Aufbruch in eine gesellschaftliche Moderne, die sich an die westeuropäische anlehnt. Fündig wurde sie bei Bauwerken, deren Architektur dem modernisierenden Geist des Staatsgründers Kemal Mustafa Atatürk folgt, aber auch bei Kulturinszenierungen, Feiertagsritualen und gesellschaftlichen Institutionen aus der türkischen Gründungsära, die bis heute weitgehend konserviert fortbestehen.

Die Konzentration auf die Ära der Staatsgründung folgt dabei der inneren Logik des türkischen Selbstverständnisses: Kemal Mustafa, der später mit dem Beinamen „Atatürk“ zum Vater aller Türken avancierte, hatte in den frühen zwanziger Jahren die ausländische Vereinnahmung eines Landes abgewehrt, das er selbst erst zur Türkei machen sollte. Der Abwehr einer Kolonialisierung von außen war dann paradoxerweise jener elitendiktierte, gewalttätige Modernisierungsschub gefolgt, der in seinen Auswirkungen eine Art Kolonialisierung von innen darstellte: Atatürk brach mit der osmanischen Tradition und erschuf aus den Überresten des zerfallenden Osmanenreiches einen modernen Nationalstaat westlicher Prägung.

Besonders in der Architektur des modernistisch geprägten Ankaras sind diese Traditionslinien in Eydels Bildern nachzuvollziehen. Ihre Anklänge an westeuropäische Bauwerke der gleichen Ära verdankten sich nicht nur dem ideologischen Willen zum Demokratieimport westlicher Prägung, sondern später auch personellen Anleihen aus dem Westen: Während sich ab 1939 in Europa die gewachsenen Nationalstaaten des Westens in Schutt und Asche legten, nutzten viele Architekten die Chance, dem Chaos zu entfliehen und am nationalen Aufbau in der Türkei mitzuwirken. Österreichische Spezialisten wie Ernst Egli und Clemens Holzmeister gingen bereits 1923 in die neu gegründete Hauptstadt Ankara, nach dem Kriegsausbruch in Europa folgten ihnen viele deutsche Architekten, darunter Martin Wagner, Bruno Traut und vor allem Ernst Reuter, der ab 1938 einen Lehrstuhl für Städtebau an der Universität Ankara innehatte. Bezeichnend ist auch die Karriere Paul Bonatz’, der 1944 aus Berlin, wo er an der Planung des modernistischen Nazi-Utopias Germania gearbeitet hatte, nahtlos in die Türkei wechselte.

Modernistische Erziehungsideale dokumentieren Eydels Aufnahmen von Gemeinschaftshäusern, die architektonisch dem Aufbau von Moscheen folgen, während ihre Innenräume einst der Erziehung zum neuen – säkularen – Menschen dienten. Dichter an der Gegenwart sind die Dokumentaraufnahmen türkischer Feiertage, die auch in der heutigen Türkei noch weitgehend der Inszenierungslogik Atatürks folgen. Auch bei staatlichen Empfängen hat Eydel fotografiert und hier in eindrücklichen Aufnahmen die folkloristische Vereinnahmung jener ethnischen Minderheiten dokumentiert, die die großen Verlierer des Atatürk’schen Modernisierungsschubs waren.

Im umfangreichen Rahmenprogramm zur Ausstellung diskutierte am vergangenen Dienstag beispielsweise der türkische Soziologe Mehmet Miri Özdogan mit dem deutschen Künstler und Filmkurator Florian Wüst über die Frage, ob sich Parallelen zwischen der von oben diktierten Nationalisierung der Türkei und der von außen durchgesetzten „Reeducation“ Deutschlands durch die Alliierten ziehen lassen (klare Antwort: jein). Im weiteren Rahmenprogramm wird auch das tagespolitische Geschehen eine Rolle spielen: So widmet sich eine Diskussion am kommenden Donnerstag der Lage nach den türkischen Parlamentswahlen, über die sich die Politikwissenschaftlerin Judith Hoffmann mit dem türkischen Fernseh- und Romanautor Halil Gülbeyaz, dem Soziologen Udo Tremmel und dem grünen Europaparlamentarier Cem Özdemir auseinandersetzen wird. Enger an Katja Eydels eigenem Verständnis ihrer Arbeit orientiert sich eine Diskussionsrunde über „Das Projekt der Moderne in der Türkei“, bei der am 31. Juli der Berner Kunsthistoriker Bernd Nicolai auf den türkischen Architekturtheoretiker Bülent Tanju und seinen deutschen Kollegen Olaf Bartels trifft.

Bis 19. August in der NGBK, Oranienstraße 25, Kreuzberg. Informationen zum Rahmenprogramm unter www.ngbk.de. Der Katalog mit kunsthistorischen Essays, erschienen bei Sternberg Press mit 184 Seiten, kostet 26 Euro.

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