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Fotografie: Die Poesie der Politik

Mit der Leica-Kamera begann der moderne Fotojournalismus. Eine Ausstellung zeigt achtzig Meisterwerke.

Jahrhundertfotos entstehen in Sekundenbruchteilen. Was ein Fotoreporter deshalb braucht, ist das Gespür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Manchmal reicht aber auch schon ein voller Magen. Robert Lebeck hatte am 30. Juni 1960, dem Tag, an dem in Kinshasa die Unabhängigkeit von Belgisch-Kongo verkündet wurde, etwas zu gut und zu lang gegessen. Darum war der „Stern“-Fotograf nicht mit seinen Kollegen zum Flughafen gefahren, um die Ankunft des belgischen Königs Baudouin festzuhalten. Stattdessen stand er am Straßenrand, als der Potentat im offenen Wagen in die Stadt fuhr. Ein Kongolese riss den Degen des Königs von den Rückbank und lief, die erbeutete Waffe triumphal schwingend, direkt auf den Beobachter zu. Lebeck drückte auf den Auslöser, bevor er zur Seite trat. Sein Foto ging um die Welt.

Lebeck hat das berühmte Bild mit einer Leica-Kamera gemacht, deshalb ist es jetzt in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin zu sehen. „Meisterwerke“ heißt die Ausstellung, die rund achtzig Fotografien aus der Sammlung von Knut Kühn-Leitz, dem Enkel des Kamerapioniers Ernst Leitz, präsentiert. Ein berechtigter Titel, die Auswahl der Vintage-Abzüge ist tatsächlich meisterlich. Zu sehen sind Bilder von Henri Cartier- Bresson, Renè Burri, Alfred Eisenstaedt, Elliott Erwitt, Sebastiao Salgado, Erich Salomon und einem guten Dutzend weiterer Größen, es fehlen nur wenige wichtige Namen der Reportagefotografie des 20. Jahrhunderts. Kein Wunder, denn Leitz und die von ihm durchgesetzte Leica-Kamera waren bahnbrechend für die Entwicklung des modernen Fotojournalismus.

Die Firma Leitz, als „Optisches Institut“ in Wetzlar gegründet, hatte ausschließlich Mikroskope gefertigt, als Ernst Leitz 1924 die Markteinführung einer Kleinbildkamera verkündete: „Hier handelt es sich um die Möglichkeit, mit dieser kleinen Kamera in den Jahren der Depression unseren Arbeitern Arbeit zu beschaffen.“ Ein mutiger Schritt, denn die Leica-Kamera machte die Entwicklung eines ganz neuen Systems – Filme, Objektive, Vergrößerungsgeräte – und Millioneninvestitionen notwendig.

An Leica-Prototypen hatte Leitz bereits vor dem Ersten Weltkrieg gearbeitet. Die geniale Idee stammte vom Optiker Otto Barnack: Er entwarf das Gehäuse, in das sich ein 35-mm-Kinofilm einlegen ließ. Bis dahin hatten Fotografen mit deutlich größeren Rollfilm- oder hölzernen Plattenkameras gearbeitet, die einschließlich Stativ und Glasplatten etwa acht Kilo wogen.

Die Leica hingegen wog mitsamt Filmkassette nur 500 Gramm, aus der Hand heraus konnten 36 Aufnahmen in Folge gemacht werden, die Objektive ließen sich blitzschnell wechseln. Vor allem aber konnte man mit ihr das Leben nahezu unbemerkt fotografieren. Die Leica sei zu seinem „verlängerten Auge geworden“, jubelte Henri Cartier-Bresson. Dabei war der Kleinbildkamera anfangs Skepsis entgegengebracht worden. Ob man mit ihr auch eine ganze Kuhherde fotografieren könne, wollten Kunden brieflich von der Firma wissen.

Politische Großereignisse, scheinbar Privates, die Poesie des Alltags – mit einer Leica ließ sich alles einfangen. Erich Salomon, berühmt für seine Momentaufnahmen aus den Kulissen der Macht, fotografierte 1935 den rumänischen Außenminister Titulesco beim Skatspiel in London. Hanns Hubmann hielt 1970 Willy Brandts Kniefall in Warschau fest, eine heroische Geste der Trauer und Scham. Und Werner Bischof machte 1952 aus den japanischen Shinto-Priestern, die im Schneeregen unter Papierschirmen am Meiji Tempel vorbeistapfen, eine dynamisch bewegte Meditation über die Verbundenheit des Menschen mit der Natur. Künftig soll die Sammlung einen Platz im Haus Friedwart finden, der Villa von Ernst Leitz in Wetzlar. In Berlin wird der Besucher von einem Foto von Barbara Klemm verabschiedet: Simon Rattle, mit aufgerissenen Augen ekstatisch seine Philharmoniker dirigierend.

Landesvertretung Rheinland Pfalz, In den Ministergärten 6, bis 30. Juli, täglich 10–20 Uhr, Eintritt frei.

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