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Modern Art Glasgow

© Ullstein

Gegenwartskunst in Glasgow: Die Stadt der Schulterklopfer

Glasgow erfindet die Gegenwartskunst immer wieder neu. Ein Besuch in der schottischen Metropole.

Bevor der Besucher sich die Kunst anschaut, will er wissen: Ist der Hausherr daheim? „Er schläft – wahrscheinlich. Eine Etage über uns“, lautet die geflüsterte Antwort der Galerieassistentinnen. Es ist zwar drei Uhr nachmittags, aber gut, Stars führen ein mondänes Leben. Videokünstler Douglas Gordon wird sich noch einmal hingelegt haben, während der temporäre Galeriebetrieb in den unteren Stockwerken seines Hauses weitergeht.

In Edinburgh mögen sie ein netteres Ambiente haben, hübsche Häuser und Geschichte, hier in Glasgow aber atmet alles selbstbewusst und ruhig Gegenwart. Schon einmal, zu Beginn des letzten Jahrhunderts, war die Stadt mit dem Jugendstil-Architekten Charles Rennie Mackintosh ganz vorn. Heute kommen hier grandiose Bands wie Mogwai, Belle & Sebastian oder Franz Ferdinand her, und hier arbeiten auffällig viele Träger und Anwärter des renommierten Turner-Preises. Gerade erst wurde wieder eine Glasgowerin nominiert: die in der schottischen Hauptstadt lebende Nordirin Cathy Wilkes.

Beinah egal also, was der Glasgow-Besucher sich anschaut, wo er sein Shortbread knabbert und sein Ale trinkt – immer und überall liegt etwas Großartigkeit in der Luft. Kurz zuvor noch, am anderen Ende der Stadt, schwärmte der Besitzer eines runtergekommenen Atelierhauses: „Hier legte gestern jemand von Franz Ferdinand zusammen mit Jim Lambie Platten auf.“ Als trunkene Botschaft aus dem Herzen der Nacht, zum Ruhm des Installationskünstlers Lambie, der offenbar auch ein guter DJ ist, hat jemand „I love my brother Jim“ in das DJ-Pult geritzt.

„Ganz normal, dass man mit den Stars zusammen im Pub sitzt“, sagt Toby Webster. Der Galerist ist als Starmacher selbst so etwas wie ein Star. Er gründete und leitet „The Modern Institute“, eine kleine Galerie in einem roten Sandsteinhaus in der Robertson-Street, in der Nähe des Hauptbahnhofs. Zwischen Maklern und Veranstaltern arbeitet Webster seit 1998 an einem beachtlichen Galerieprofil mit Künstlern wie Cathy Wilkes oder Turner-Preisträger Simon Starling, der natürlich ebenfalls aus Glasgow kommt. In einem Ranking, für das das Kunstmagazin „Flash Art“ kürzlich 200 Künstler nach der besten Galerie befragte, landete „The Modern Institute“ auf Platz sechs, gleich hinter den großen Einrichtungen aus New York, Zürich, London – und noch vor deutschen Galerien. „Alle kennen uns, aber kaum jemand kommt vorbei“, sagt Webster, der die Hälfte seines Geschäfts auf internationalen Messen macht.

„The Modern Institute“ wird mit der Rückkehr formalistischer Positionen in Verbindung gebracht. Plötzlich interessieren sich jüngere Künstler für das Formenrepertoire der modernen Avantgarde, für geometrische Abstraktion und Konstruktivismus. Websters Künstler sind mit solchen Arbeiten momentan sehr erfolgreich: Katja Strunz, Anselm Reyle, Björn Dahlem, die in Berlin arbeiten, oder Jim Lambie, Martin Boyce und Toby Paterson hier in Glasgow. Doch eine Neo-Moderne auszurufen, das findet der rothaarige Galerist übertrieben. Der Name „The Modern Institute“ war eigentlich nur ein Gag, eine Anmaßung, und was, bitteschön, sei überhaupt „die Moderne“, fragt sich Toby Webster.

„The Modern Institute“ macht heute einen Großteil des guten Rufs aus, den Glasgow als Kunststadt besitzt. Ein anderer Faktor ist die berühmte Kunsthochschule, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von Charles Rennie Mackintosh gebaut wurde und immer noch Talente aus ganz Großbritannien anzieht und Hoffnungsträger ausspuckt. Ein Drittes sind die bereits etablierten Künstler, die die Stadt nicht verlassen, sondern weiter Impulse senden.

Besten Dank, sagen da manche Jüngere angesichts dieser Präsenz. So beklagt ein 26-jähriger, englischer Künstler, der in der schottischen Hauptstadt studierte und auf der gerade vergangenen Berlin Biennale von sich reden machte, dass sich in Glasgow Recken wie Jim Lambie oder Douglas Gordon, die Musik- und die Art-School-Szene pausenlos auf die Schultern klopfen – und dabei eine Gegenwart zementieren, die vielleicht schon längst von neuen Gegenwarten eingeholt ist.

Seinen Namen möchte der Absolvent indes mit dieser Meinung nicht in der Zeitung lesen. „Sie würden mich sonst hassen in Glasgow“, sagt er, und es klingt nur halb wie im Scherz. Auch dem Netzwerker Toby Webster, der häufig als freier Kurator arbeitet, unterstellen manche leicht mafiöse Tendenzen. Er selbst kann naturgemäß nichts erkennen von Klüngel, schon gar nicht in seiner Heimat: „Glasgow ist klein genug, um zu wissen, was los ist, groß genug, um überrascht zu sein“, sagt er. Die Stadt versucht nun, Aktivitäten und Szenen weiter zu bündeln, um für das Kunstpublikum Besuchsanlässe zu schaffen – schließlich ist sie auch für den Easy-Jet-Set leicht zu erreichen.

Das Glasgow International Festival of Contemporary Visual Art (Gi), dessen dritte Ausgabe im Frühling stattfand, ist der bislang entschlussfreudigste Schritt in diese Richtung. „The Modern Institute“, die verstreuten Galerien in der „Merchant City“, dem historischen Stadtzentrum, und die Museen zeigen dann das Namhafteste und Sehenswerteste, was Glasgow zu bieten hat. Und Douglas Gordon öffnet zum Gi schon mal sein Wohnzimmer.

„Brother“ Jim Lambie ist mit einer Einzelausstellung in der prächtigen, neoklassizistischen Gallery Of Modern Art vertreten, noch den ganzen Sommer lang. Es ist seine erste institutionelle Soloschau in der Stadt, in der er 1964 geboren wurde, in der er Kunst studierte und heute als einer der erfolgreichsten schottischen Gegenwartskünstler arbeitet. So lange dauert es manchmal vom ersten Schulterklopfen der Szene bis zum Schulterschluss mit den kulturellen Entscheidungsträgern der Stadt. In Glasgow atmet alles eine stille Gegenwart.

Daniel Völzke

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