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Hadrian

© AFP

Hadrian-Ausstellung: Nach dem Truppenabzug

Antikengeschichte als Spiegel der Gegenwart: Das British Museum in London präsentiert den römischen Kaiser Hadrian – mit höchst aktuellen Untertönen.

Über Aktualität braucht sich diese Ausstellung keine Sorgen machen. Kurator Thorsten Opper zieht bewusst die zeitgeschichtliche Parallele und wendet sich direkt an Barack Obama: „Wer immer der nächste amerikanische Präsident sein wird, wird sich in einer sehr ähnlichen Situation befinden.“ Rückzug oder weiterkämpfen, das ist die Frage. Das Land, um das es geht: der heutige Irak.

Antikengeschichte als Spiegel der Gegenwart: Das ist ein Klassiker der populären Wahrnehmung. Wenn das British Museum in London sich in seiner historischen Bibliotheksrotunde nun einer der facettenreichsten Cäsarenfiguren zuwendet, wird der aktualisierende Blick gleich mitgeliefert. So hat sich noch jede Zeit, jede Nation ihr antikes Vorbild gesucht: den klugen Caesar oder den friedfertigen Augustus, den eroberungsfreudigen Alexander oder eben Hadrian, der von 117 bis 138 nach Christus regierte und den mesopotamischen Expansionskurs seines Vorgängers Trajan sofort nach Machtantritt stoppte. Rückzug als Sicherung des ganzen Reichs.

Die historische Bewertung Hadrians allerdings schwankt nach dem Stand der aktuellen Politik, je nachdem, ob Eroberung oder Befriedung, Krieg oder Völkerverständigung gerade angesagt ist. So galt sein Vorgehen in der wilhelminischen Altertumsforschung als Politik der Schwäche, des Scheiterns, als Anfang vom Ende des römischen Imperiums. Der britische Historiker Edward Gibbon hingegen schreibt der Regierungszeit Hadrians und der seines Nachfolgers Antoninus Pius „den schönsten Anblick eines allgemeinen Friedens“ zu: „Sie suchten durch jedes ehrenvolle Mittel die Freundschaft der Barbaren zu gewinnen und bemühten sich, das Menschengeschlecht zu überzeugen, die römische Macht, erhaben über die Versuchung der Eroberung, werde einzig angetrieben von der Liebe zu Ordnung und Gerechtigkeit.“

Dass gerade Hadrian sich in Großbritannien besonderer Beliebtheit erfreut, ist nicht verwunderlich. Jedes Schulkind kennt den Hadrianswall, jene 120 Kilometer lange und bis zu fünf Meter hohe Mauer, mit der die Römer ihre Provinz Britannia von den barbarischen Horden Caledoniens, sprich Schottlands, abgrenzten. Aber ein Schutzwall, erinnert Thorsten Opper, hat zwei Seiten. Er sichert und befriedet, er teilt jedoch auch und definiert: Hier die Kulturvölker, dort die Barbaren. Die gegenwärtige Welt, die mit Mauern und Schutzwällen, sei es in Israel, den USA und Mexiko oder in Berlin ihre Erfahrungen gemacht hat, weiß nur zu gut, was das heißt.

So ist es bei allem Humanismus ein deutlich gebrochenes Hadrian-Bild, das das British Museum in der mit 170 Exponaten überreich ausgestatteten Ausstellung zeichnet. Das Bild des Philosophenkaisers, der wegen seiner Vorliebe für die griechische Kultur „graeculus“, kleiner Grieche, genannt wurde und der überall im römischen Reich Städte, Bibliotheken und Tempel erbauen ließ, ist wesentlich geprägt von Marguerite Yourcenar, deren „Mémoires d’Hadrien“ 1951 zum Weltbestseller wurden – das Buch wird gerade von John Boorman mit Antonio Banderas in der Hauptrolle verfilmt.

Die Ausstellung präsentiert Notizbücher, in denen Yourcenar Münzsprüche notierte, die sie zu Überschriften ihrer Kapitel machte: „Saeculum aureum“ zum Beispiel, Goldenes Zeitalter, oder „Disciplina Augusta“. Und natürlich jenes berühmte „Animula vagula blandula“, das Gedicht Hadrians, das auch die Ausstellung als Epitaph setzt: „Kleine Seele, Wanderin, Zauberin, Gast und Gefährtin des Körpers, die du nun entschwindest an jenen Ort, der schattig, kalt und düster ist, nicht mehr wirst du, wie gewohnt, Scherze machen.“

Wie genau Yourcenar recherchiert hat, wird im Vergleich mit der „Historia Augusta“ deutlich, einer um 500 verfassten Kompilation von Caesarenbiografien, der wir die meisten Informationen über Hadrian verdanken und von der die Ausstellung eine seltene frühe Abschrift zeigt. Auch die „Historia Augusta“ nahm es, im Abstand von 400 Jahren, mit der Wahrheit nicht so genau, schmückte aus, ergänzte, arbeitete letztlich also nicht sehr viel anders als Yourcenar. „Fictional history“ nennt es Thorsten Opper in beiden Fällen, fiktionalisierte Geschichte.

Als Griechenland-Liebhaber war Hadrian schon durch sein Auftreten ausgewiesen. Der Bart, den er auf den meisten Porträts trägt, war ungewöhnlich für die auf Büsten zumeist glattrasierten Römer. Eins der berühmtesten Hadrian-Bildwerke aus dem British Museum jedoch, welches den Kaiser im griechischen Mantel zeigt, ist gerade als viktorianische Kolportage entlarvt worden – das Kopfstück passt nicht zum Körper. Eine monumentale Statue hingegen wurde im Juli 2007 im türkischen Sagalassos gefunden, samt Fuß und Beinstück. Die charakteristische Kerbe in beiden Ohrläppchen, die den Kopf als den von Hadrian ausweist, deuten heutige Mediziner als Anzeichen einer Herzkranz-Gefäßerkrankung. Hadrian starb, erst 62-jährig, in seinem Landhaus an der Bucht von Baie einen zivilen Tod. Animula vagula blandula ...

Doch dieser Hadrian, der dichtet und mit Philosophen diskutiert, der sich in Tivoli vor den Toren von Rom einen Märchenort baut, mehr Kleinstadt als Villa, und ihn mit Repliken berühmter Bauten und Statuen schmückt, dieser Hadrian, dem wir, vom Pantheon bis zur Engelsburg, die er als Mausoleum anlegen ließ, einige der bedeutendsten Bauwerke der Antike verdanken – er steht nicht im Fokus in London. Auch nicht der Hadrian, den eine tragische Liebesgeschichte mit dem Kleinasier Antinous verbindet – der Gefährte ertrank 130 nach Christus, knapp 20-jährig, im Nil. Ob es ein Unfall war, ein Mord oder eine Selbsttötung, man weiß es bis heute nicht.

In London geht es vor allem darum: Hadrian war Militär. Ein Soldat aus Überzeugung. Immer wieder lässt er sich auf Statuen als Krieger verewigen, nackt als Kriegsgott Mars, in Rüstung, mit dem Haupt der Medusa auf der Brust und einem besiegten Barbaren unter den Füßen. Nie hat er sich so wohlgefühlt wie unterwegs mit seinen Legionen. Mehr als die Hälfte seiner Regentschaft war er auf Reisen, in allen Teilen des riesigen Weltreichs, und zwar nicht als Tourist oder weltenbummelnder Herrscher. Hadrian, der von Trajan ein bedrohtes Reich übernahm, führte Krieg, kämpfte unaufhörlich gegen Rebellen, an allen Ecken des Reichs: In Mesopotamien und Caledonien, in Syrien und vor allem in Judäa, wo sich 132 nach Christus der dramatischste Konflikt seiner Amtszeit abspielte.

Spätestens hier, in Judäa, verdunkelt sich das Bild des lichten Philosophenherrschers endgültig. Mag sein, dass der von Hadrian vorangetriebene Wiederaufbau des von Titus zerstörten Jerusalem als römische Kolonie Aelia Capitolina dem römischen Zivilisationsgedanken geschuldet ist: Straßen, Bibliotheken, Abwassersysteme als Mittel der Befriedung.

Doch die Juden, die die Römer seit jeher als Unterdrücker und nicht als Heilsbringer erlebten, rebellieren unter Führung des charismatischen Simon Bar Kokhba, zerstören Aelia Capitolina, führen einen erbitterten Partisanenkampf gegen die Invasoren. Sie verstecken sich in den Höhlen am Toten Meer, vergeblich. Fast 600 000 werden getötet, 985 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht – ein regelrechter Vernichtungskrieg. „Wenn 16 Jahre der Regierung eines leidenschaftlich friedliebenden Herrschers zu solchen Ergebnissen führen, dann musste es um die Friedensaussichten der Welt für die Zukunft mäßig bestellt sein“, lässt Marguerite Yourcenar den ernüchterten Hadrian reflektieren.

Aus diesem Kontext stammen die anrührendsten Exponate der Ausstellung. Erstmals haben die Funde aus der „Höhle der Briefe“ Israel verlassen. Es sind simple Alltagsgegenstände: eine Sandale, ein Strohkorb, ein Nähkästchen, Messer, Spiegel, Glasschalen – alles perfekt konserviert im trockenen Wüstenklima. Und vor allem: Schlüssel. Massen von Schlüsseln, die die Flüchtlinge in der Hoffnung mitnahmen, nach Ende des Kampfs wieder in ihre Häuser zurückkehren zu können. Umsonst. Hadrian verbannte die Überlebenden aus Judäa, baute ein Jupiter-Heiligtum anstelle des Tempels, benannte das Land um in Syria-Palästina. Vertreibung aus dem Paradies. Auch das ein Konfliktherd, der fortwirkt bis heute.

British Museum, bis 26. Oktober, Ticketbuchung unter +44 20 73238181. Katalog in der Ausstellung 25 Pfund.

Christina Tilmann

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