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New York States of MInd

© Promo

Haus der Kulturen der Welt: Transfer nach Manhattan

Das wiedereröffnete Berliner Haus der Kulturen der Welt macht sich fein – mit der Ausstellung "New York - States of Mind“

Freihändig und dann immer geradeaus gegen den Verkehr: Dass Rainer Ganahl auf seinem Geisterfahrradtrip vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor nicht auf der Motorhaube endet, grenzt an ein Wunder. Doch der Künstler hat ein Ziel, und vielleicht spüren die Autofahrer diese Entschlossenheit bis in ihre Blechkabinen hinein. Jedenfalls machen sie hupend Platz und überlassen Ganahl die Straße, der eine wackelnde Kamera auf dem Bauch trägt und so seinen anarchischen Ausflug festhält.

Die Aktion hat er vergangenes Jahr auf dem Broadway wiederholt. Beide Videos sind nun nebeneinander in der Ausstellung „New York – States of Mind“ zu sehen, mit der das Haus der Kulturen der Welt seine Wiedereröffnung feiert. Und doch machen Ganahls eher beiläufige Aktionen das Thema dieser großen Überblicksschau so simpel wie präzise sichtbar: Was haben die Straßen von New York mit denen Berlins zu tun?

26 Künstler und zwei Kollektive

Viel und gar nichts, lautet das Fazit der Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Installationen von 26 Künstlern und zwei Kollektiven aus New York, die der Kurator Shaheen Merali zusammengetragen hat. Seine Geschichte der New Yorker Kunstszene beginnt mit Marcel Duchamp, der 1915 für einige Jahre nach Amerika ging und seine unkonventionelle Idee des Ready-made gleich mit importierte. „Boite-en-Valise“ heißt das berühmte Multiple, mit dem auch die Berliner Ausstellung beginnt: Die „Schachtel im Koffer“ von 1961 enthält Duchamps zentrale Arbeiten en miniature. Ein komprimiertes Museum, das trotz seiner winzigen Größe genügend Impulse für eine ganze Generation von Künstlern versammelt, denen Duchamp als Vater der Konzeptkunst gilt – überall auf der Welt.

Zum Auftakt also eine Arbeit, die vor einem halben Jahrhundert entstand und in einer Vitrine geschützt werden muss: Schon das Entree macht deutlich, wie sehr die Ausstellung aus dem historischen Kontext schöpft. Daran ändert auch der Teppich „Herbalife“ (2006) von Sarah Morris nichts: Er liegt vor der Ausstellungshalle und muss von jedem betreten werden, der die Treppen zur Kunst hinabsteigen will. Doch gegen das auratische Multiple im Glaskasten kommt die Bodenarbeit trotz schriller Farbkombinationen nur kurze Zeit an.

Das muss kein Nachteil sein, steht allerdings im Kontrast zu Meralis kuratorischem Anliegen, die lebendige Kunstszene einer Gesellschaft zu präsentieren, die seit jeher von Immigration geprägt ist und eine kulturelle Vielfalt produziert, in der afro-amerikanische, islamische, jüdische und andere Strömungen unmittelbarer als anderswo aufeinanderstoßen. Ein bewusster Gegenentwurf, angesichts der gegenwärtigen kritischen Stimmung gegenüber der Politik der USA?

Übersichtlich und aufgeräumt

„New York – States of Mind“ ist leider genau das Gegenteil geworden: eine übersichtliche, aufgeräumte und edel inszenierte Tour, die das Kunstgeschehen einer Metropole in fünf Kapiteln erschließt, vor allem aber seine Wurzeln freilegt. Wie rasch dabei selbst die vitalste Subkultur erstarrt, zeigen sehr bildhaft die Publikationen des Künstlerkollektivs Printed Matter, Inc., mit denen die Ausstellung schließt. Lauter Bücher, die wie Duchamps kostbares Werk am Anfang ebenfalls unter Glas aufbewahrt werden und so jedes Blättern verhindern.

Der Schlüsselbegriff „Straße“ versteht sich nur noch als reine Metapher für eine Kunst, die die komplexen urbanen Bedingungen im big apple thematisiert. Ein New York, wo in den siebziger Jahren ein Künstler wie Gordon Matta-Clark ganze Häuser mit der Motorsäge zerlegte, während die aus Kuba stammende Ana Mendieta blutige Performances veranstaltete und Hans Haacke die dubiosen Praktiken von Immobilienspekulanten beleuchtete.

Alle drei sind in der Ausstellung vertreten. Matta-Clark mit seinen legendären „Cuttings“, tiefen Schnitten durch Decken, Böden und Fassaden abrissreifer Häuser. Von Ana Mendieta, die wie Matta-Clark früh gestorben ist, läuft ein Video ihrer Performance „Sweating Blood“ (1973). Haacke schließlich zeigt eine Collage von 2005, in der sich ein Folterbild aus Abu Ghraib zum großformatigen Werbefoto auf dem Times Square verkehrt. Ätzende Kritik an politischen Zuständen, wie Haacke sie seit Jahrzehnten praktiziert.

Panoptikum verzerrter Wirklichkeit

Daneben gibt es stille Entdeckungen. Ein räudiges Kleiderensemble von Tehching Hsieh, das sich erst mit Blick auf die Terrasse erschließt, wo der Künstler aus Taiwan eine Koje aufgebaut und mit Straßenkarten gepflastert hat. Dokumente einer Performance, für die er 1981 ein Jahr lang auf den Straßen von New York ohne Dach über dem Kopf lebte. Relativ unbekannt ist auch Mark Lombardi. Seine mit Bleistift gezeichneten Soziogramme über globale Machtstrukturen der neunziger Jahre mögen mühsam zu lesen sein, formulieren das Recherchierte aber ungemein ästhetisch. Ein poppiges Gemälde von Iona Rozeal Brown mag auf den ersten Blick mehr faszinieren. Dennoch fesseln ihre Kreuzungen japanischer Farbholzschnitte mit aktueller Hiphop-Kultur nur kurz, während andere Arbeiten der jüngeren Generation Fragen nach Identität und Zugehörigkeit weit komplexer visualisieren.

Dazu gehören die Fotografien von Josephine Meckseper, die marmorweißen Skulpturen schwarzer Helden von Kehinde Wiley und ein obskurer Raum von Jon Kessler. In „The Palace at 4 A.M.“ wimmelt es von Bildschirmen und Überwachungskameras, die den Besucher erfassen. Die Live-Aufzeichnungen speist Kessler wiederum in seine Installation ein, um das Chaos aus montierten, zerschnittenen und übermalten Fotos noch zu vergrößern. Am Ende findet man sich in einem Panoptikum verzerrter Wirklichkeit, das jeden mitreißt, der auch nur einen Fuß in diese mediale Vorhölle setzt.

Ansichten einer alternativen Metropole

Was diese Kunst Berlin zu sagen hat, bleibt ähnlich offen wie die von Shaheen Merali ausgewählten Positionen. Sie reichen vom Kosmopoliten Duchamp, der europäisches Gedankengut nach Amerika verschiffte, über die autonomen Strömungen der US-Szene, die ab den sechziger Jahren ihrerseits nach Europa gelangten und hier rezipiert wurden – die bunte Pop-Art ebenso wie die Rigidität eines Gordon Matta-Clark. So präsentieren sich die New Yorker und die europäische Kunstszene als historisches Geflecht gegenseitiger Einflussnahme und Abhängigkeit, das bis heute nachwirkt. Sichtbar wird es nicht zuletzt im Haus der Kulturen der Welt selbst, das der amerikanische Architekt Hugh Stubbins 1957 entworfen hat.

Für die unmittelbare Gegenwart funktioniert dieser Abgleich allerdings nur begrenzt, weil New York doch nach anderen Regeln als Berlin funktioniert. „New York – States of Mind“ bietet darum keine Vorbildstadt, sondern Ansichten einer alternativen Metropole, an der man sich reiben und orientieren kann. Den kürzesten Weg durch die Stadt zeigt Rainer Ganahl, der sein Fahrrad ohne jede Rücksicht durch die Straßen jagt. Besser fährt, wer Zeit für Umwege hat.

Haus der Kulturen der Welt, bis 4. November, Di bis So 12 bis 20 Uhr

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