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Hochbetrieb: Babylonische Offensive

Die Staatlichen Museen zu Berlin eröffnen eine Handvoll hochkarätiger Ausstellungen. Die Sommeroffensive belegt zudem, wie stark die Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz international vernetzt sind.

Babylon ist eine Projektion. Eine des Abendlandes. Dabei ist das geschichtliche Babylon eine der großen Leistungen der (deutschen) Altertumswissenschaft, die das mythische Babel zu einer tatsächlichen Stadt hat werden lassen. Doch „welche Wirkung hat das Sammeln von realem Wissen über Babylon in der Gesellschaft, wenn man einen vorbestimmten Kreis nicht verlässt?“, klagt Joachim Marzahn, Kustos am Vorderasiatischen Museum und Kurator des historischen Teils der Ausstellung „Babylon – Mythos und Wahrheit“, die heute Abend im Pergamonmuseum eröffnet wird.

Nun, den „vorbestimmten Kreis“ – und damit meint der Wissenschaftler wohl seinesgleichen – überschreiten die Staatlichen Museen zu Berlin kurz vor Beginn der Sommerpause in beeindruckender Weise. Eben haben sie die Schenkung Christoph Müller für das Kupferstichkabinett vorgestellt (Bericht oben), da ziehen sie mit der Babylon-Wiedererweckung das Interesse der Öffentlichkeit nicht nur auf vorübergehende Leihgaben, sondern auf den ureigensten Kern des archäologischen Sammlungsbestandes rund um die Rekonstruktion der am historischen Ort ergrabenen Prozessionsstraße und des Ischtar-Tores. Doch weiter geht’s: Eine gemeinsam mit Dresden organisierte Doppelausstellung widmet sich von Freitag an in beiden Städten der „Chinesischen Tuschmalerei der Gegenwart“ und bekundet damit sichtbar, dass der vielbeschworene Kulturaustausch keine Einbahnstraße bleibt. Unlängst haben die drei großen deutschen Museumsverbände aus Berlin, Dresden und München in Peking zwei gewichtige Ausstellungen eröffnet, darunter eine mit Werken des gerade auch in China hochgeschätzten Malers Gerhard Richter. Nun kommen im Gegenzug Werke chinesischer Künstler der Gegenwart nach Deutschland, und dies in einem Medium – der Tuschmalerei –, das hierzulande keine Praxis kennt.

Doch noch bevor das Wochenende einsetzt, wird Kulturaustausch der hergebrachten Art zelebriert: mit der aus Rom übernommenen Ausstellung über den Renaissancekünstler Sebastiano del Piombo. Der Titel „Raffaels Grazie – Michelangelos Furor“ zielt mit den beiden Größen auf ein möglichst breites Interesse, setzt nicht einfach mehr voraus, dass der Name ihrer beider Zeitgenossen Sebastiano heute noch geläufig ist. Schön, dass die Staatlichen Museen gleich ein Literaturzitat zur Hand haben: Sebastiano, schrieb der Zwischendurch-Berliner Vladimir Nabokov, habe es verstanden, „die Kraft des ersten mit der Süße des zweiten zu kombinieren“.

Die Babylon-Ausstellung auf „der“ Insel, zwei Ausstellungen am Kulturforum, die Gäste aus China schließlich in Dahlem, der räumlichen Nachbarschaft zur klassischen chinesischen Kunst im Museum für Asiatische Kunst: Die Staatlichen Museen demonstrieren unablässigen Betrieb, wie ihn weltläufige Touristen heutzutage von den großen Museumsverbänden, sei’s in Paris oder New York, zu jedem Zeitpunkt ganz selbstverständlich erwarten. Und wer’s zwei weitere Wochen aushält, kann noch das vierte und kleinste Museumsquartier, dasjenige in Charlottenburg, mit der Eröffnung des Hauses für die Surrealisten-Sammlung Scharf-Gerstenberg in seine Routenplanung einbeziehen.

Den „vorbestimmten Kreis“ verlassen die Museen also nicht allein mit den Objekten ihrer Sammlungen und Ausstellungen, die ohnehin der Öffentlichkeit gehören, sondern zugleich mit ihren Forschungen, die in den begleitenden Katalogen publiziert werden. Die Sommeroffensive belegt zudem, wie stark die Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz international vernetzt sind. Die Babylon-Ausstellung ist ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Pariser Louvre und dem Londoner British Museum, dessen Direktor, der auch in Berlin schon einmal für höchste Ämter gehandelte Neil McGregor, den Eröffnungsvortrag am Abend halten wird. Die kostbaren Gemälde Sebastianos kommen dank der Zusammenarbeit mit der römischen Soprintendenza Speciale an die Spree, und bei dem Austausch mit China ist ohnehin die hohe Politik im Spiel.

Die hat allerdings bei Babylon in einem Punkt nicht helfen können. „Leihgaben aus Bagdad standen bedauerlicherweise nicht zur Verfügung“, lässt der Kustos des Pergamonmuseums wissen. Aber was macht das schon bei einem Gegenstand, der ganz im Mythos lebendig geblieben ist! Bernhard Schulz

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