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Ausstellungen: Hunde, wollt ihr ewig bellen?

Näher am Geschehen: Das Sommerfestival Rohkunstbau ist aus dem Spreewald an die Havel gezogen

Hunde streifen durch die Nacht, ohrenbetäubendes Gebell ertönt, die Kamera zuckt nervös. Deutsche Schäferhunde. Ein stiernackiger, bulliger Typ, der Rücken tätowiert, entblößt bis zum Gürtel, watet durchs Wasser, am Horizont geht die Sonne auf. Deutsche Männer. Und am Ufer eines Sees steht ein Wanderer, in der Hand den Falken, und Nebel wallt über den Wassern. Deutsche Romantik. Da braucht es eigentlich gar nicht mehr die vierte Szene, in der sich, über die Havel, langsam ein Schiff nähert, und als es ankommt, schwenken die Menschen Fahnen, schwarz-rot-goldene Fahnen.

Alles sehr deutsch, in Julian Rosefeldts vierteiliger Installation „The Ship of Fools“. Alles sehr deutsch auch in Sacrow bei Berlin, wo die deutsche Romantik mit Friedrich de la Motte Fouqué, dem Schöpfer des Nixenmärchens „Undine“ zuhause ist, und mit Felix Mendelssohn-Bartholdy, der hier als Kind im Salon aufspielte. Wo Friedrich Ludwig Persius mit der weit über die Havel grüßenden Heilandskirche und Peter Joseph Lenné mit dem Schlosspark im englischen Stil schönste Preußen-Klassik schufen. Wo aber auch der Generalforstmeister Friedrich Alpers, Nationalsozialist der ersten Stunde und Freund Hermann Görings, seine Zelte aufschlug, und nach ihm Funktionäre aus dem kommunistischen Widerstand und der Schriftstellerverband der DDR. Brigitte Reimann war hier zu Gast. Und ab 1962 ging die Mauer quer durch den Park, die Heilandskirche stand im Sperrgebiet, auf ihrem Turm die Grenzwachposten, und das Schloss verfiel, und der Garten verfiel.

Deutsche Geschichte an kleinstem Ort, Idylle und Schrecken, eng beieinander. Die abstruse, absurde Konstellation im Niemandsland zwischen Potsdam und Berlin hat den Berliner Videokünstler zu einer dem Ort kongenialen Installation inspiriert: eine Mischung aus Wagner-Mythen (ein Film beginnt mit den Wesendonck-Liedern, aufgeführt im Sommersaal zu Sacrow), Sehnsuchtsbildern (Caspar David Friedrichs einsamer Mann am Meer lässt grüßen) und bedrohlich präsenter aktueller Neonazi-Gefahr. Gefilmt wurde vor Ort, in den pittoresk maroden Räumen des Schlosses wie im sommerlich grünen Park und an der Havel.

Auch die deutsch-türkische Künstlerin Ayse Erkmen hat sich für den Sommersaal des Schlosses eine wunderbare Arbeit ausgedacht: Ein locker gefügter Vorhang aus unzähligen Plastikrohren spannt sich vor Fenster und Gartentür, halb filigran gewobene Barriere, halb durchlässiger Ausblick nach draußen. Eine Mauer, die an die Grenzmauer genauso wie an die Schlossmauer erinnert und den häuslich-intimen Charakter der Räume betont. So intim wie Thomas Rentmeisters Wand aus Hotelbettwäsche, Zuckerstücken, Wattestäbchen, Tampons und Papiertaschentüchern, die er in eines der Zimmer gebaut hat, eine im Sonnenlicht zart changierende, gewellte weiße Fläche, die das AusstellungsThema „Drei Farben: Weiß“ ebenso ernst nimmt wie den halb privaten Rahmen des kleinen Schlosses.

Hier gelingt, was von jeher der Vorzug der Sommer-Kunstausstellung Rohkunstbau war: Künstler lassen sich inspirieren von Ort und Geschichte. Mit dem Umzug des von Arvid Boellert vor 14 Jahren begründten Sommerkunstfestivals aus dem Spreewald in das Schloss Sacrow jedoch haben sich die Akzente deutlich verschoben. Weg von der ländlichen Dorfidylle in Groß-Leuthen, vom Wasserschloss im Dornröschenschlaf, in dem die riesigen alten Räume jeweils nur für wenige Monate im Sommer zum Leben erwachten – und mit ihnen die ganze Geschichte des Hauses, als Kinderheim, als Straferziehungslager der DDR. Stattdessen ist es nun, in Sacrow, die große deutsche Geschichte, die unüberhörbar an die Tür klopft. Der Blick geht, vom Obergeschoss, bis zur Glienicker Brücke, und im Park wachsen erst nach und nach die Brachen des Mauerstreifens wieder zu.

Kein Wunder, dass sich die zehn in diesem Jahr ausgewählten Künstler mehr von Brücke und Mauer, Trennung und Einheit inspirieren ließen als von dem eigentlich vorgegebenen Thema. „Drei Farben: Weiß“ sollte der zweite Teil einer Ausstellungstrilogie sein, eine Hommage an Kieslowskis Filmtrilogie und daher in diesem Jahr dem Thema Gleichheit gewidmet. Allein: Weder die Farbe Weiß noch das Thema schien große Funken zu schlagen, auch wenn sich Kurator Mark Gisbourne große Mühe gibt, das formale Prinzip der Gleichung, des Rasters, der Linie bis zum Thema Brücke und Verbindung zu verlängern. Hinzu kommt, dass die Vorlaufzeit in diesem Jahr extrem kurz war: erst Ende 2006 kam das Aus für den urspünglichen Standort in GroßLeuthen am See. Das Wasserschloss wurde, in einer Nacht- und Nebelaktion, verkauft, Kurator und Künstler, die schon erste Entwürfe angefertigt hatten, standen ohne Dach über dem Kopf da.

So hat die diesjährige Ausstellung einen gewissen Überbrückungscharakter. Schwächer in den einzelnen Kunstpositionen als in den vergangenen Jahren, und doch mit großem Potential. Im nächsten Jahr ist mit „Drei Farben: Rot“ das Thema Brüderlichkeit dran. Wäre doch gelacht, wenn am ehemaligen Grenzort, zwischen Ost und West, wo Schriftsteller in Romantik und Nachkriegszeit lebten, sich nicht kräftig Inspirationsmaterial finden ließe. Eins jedoch gilt auf jeden Fall schon dieses Jahr: Was die zauberhafte Umgebung mit Badesee, Park, Havelblick und Weltkulturerbe-Anlage angeht, hält Schloss Sacrow den leicht wehmütigen Vergleich mit der GroßLeuthener Sommeridylle locker aus.

Drei Farben: Weiß. 14. Rohkunstbau-Ausstellung, Schloss Sacrow, bis 26. August, Sa und So 10 bis 20 Uhr. Eröffnung diesen Samstag, 15 Uhr. Infos und Festivalprogramm unter www.rohkunstbau.de

Christina Tilmann

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