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Im Atelier (3): Die Gier der anderen

Kunst ist Gesellschaftskritik, sagt Andreas Siekmann. Auch wenn manche das überholt finden. Ein Porträt des Künstlers.

Berlin: Kunststadt, Boomstadt. Galerien und Messen expandieren, Sammler, Künstler und Käufer aus aller Welt kommen in die Stadt. Doch was heißt das eigentlich für die Kunstproduktion? Unsere Sommerserie widmet sich den Künstlern und fragt sie danach, wie stark der Kunstmarkt ihre Arbeit beeinflusst.

Zerknittertes Hemd, verwuscheltes Haar, und um die Augen hat sich Müdigkeit eingeschrieben. Sehen so die Siegertypen des Kunstbetriebs aus? Wohl kaum. Aber wer kann das schon sagen? Andreas Siekmann wähnt sich ohnehin nicht auf der Gewinnerseite, er beobachtet den Markt eher misstrauisch. „Nur im vergangenen Jahr habe ich größere Aufmerksamkeit erfahren“, winkt er ab. 2007, das war sein Jahr mit einem Doppelauftritt bei der Documenta in Kassel und den Skulpturenprojekten in Münster. Einen Sommer später steht Siekmann wie eh und je von den Turbulenzen unberührt da. Mit seiner Kunst reich zu werden, daran hat er ohnehin nie geglaubt.

Fast spielt er eine Sonderrolle, denn Polit-Kunst ist schon länger nicht mehr angesagt. Schmunzelnd erzählt der 47-Jährige, man habe ihn schon den neuen Hans Haacke genannt. Offenbar nimmt er das als Kompliment. Tatsächlich scheint der gebürtige Westfale, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, aus der Zeit gefallen. In den achtziger Jahren hat er an der Düsseldorfer Akademie Bildhauerei studiert, war hier Joseph Beuys begegnet. Damals gehörte es zum künstlerischen Selbstverständnis, sich kritisch mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dieser kämpferische Ethos, der Wille zur Aufklärung lebt in Siekmanns Arbeiten fort. Auf der Documenta 12 platzierte er ein Karussell, auf dem sich Grenzpolizisten, Fremdarbeiter, Flüchtlinge und NGO-Aktivisten drehten. Das ratternde Schauspiel verwies auf die Missstände im südspanischen Almeria, wo illegale Einwanderer in riesigen Plantagen jenes Gemüse zu Dumpinglöhnen ernten, das sich in deutschen Discountern wiederfindet. In Münster nahm sich Siekmann der Buddy-Bären an, die unter dem Deckmantel öffentlicher Kunst letztlich nur die Kauflust stimulieren sollen. Siekmann schredderte diverse Exemplare und fügte sie zum imposanten Pferdeapfel zusammen. „Trickle down“ hieß die Installation in Anlehnung an Adam Smiths Wirtschaftstheorie, nach der sich allgemeiner Wohlstand irgendwann auch bei den Ärmeren bemerkbar macht. Auch hier nahm Siekmanns Kunst ihren Ausgang bei einem alltäglichen Gegenstand. Gerade deshalb scheiden sich an ihm die Geister: Als glänzender Rhetoriker hat er seinen Gesprächspartner in kürzester Zeit überzeugt, seine Kunst aber wird von einer Hyperdidaktik dominiert. Trotzdem vermag sie auch zu begeistern, wie bei seiner jüngsten Ausstellung in der Galerie Barbara Weiß, wo sich der Künstler die Treuhand vorknöpfte. Knallrote Schablonenmännchen symbolisierten die Abwicklung 13 600 ostdeutscher Unternehmen in kürzester Zeit. Auch hier drehte sich ein Miniaturtheater aus Stellvertreterfiguren, um den fatalen Lauf der Dinge zu veranschaulichen. Ein Sammler machte kurz vor dem Kauf einen Rückzieher – das sei ihm politisch zu heiß, so etwas könne er sich nicht aufhängen. Siekmann ist dennoch gefragt; er lebt von seiner Kunst. Das Museum für Zeitgenössische Kunst in Barcelona erwarb seinen Beitrag für die Documenta 11 vor sechs Jahren, die Sammlerin Francesca von Habsburg kaufte ebenfalls Werke. Auch das New Yorker Museum of Modern Art zeigt sich an seinen Zeichnungen interessiert.

Doch die Kunstproduktion ist bei Siekmann nur ein Teil. Mit einem Augenzwinkern bezeichnet er sich als 3-K-Künstler, der auch als Kritiker für Magazine wie „Springerin“ oder „Texte zur Kunst“ und als Kurator mit seiner Frau Alice Creischer tätig ist. Momentan erforschen sie in einem mehrjährigen Projekt die Rolle der Kunst in der Kolonialgeschichte Boliviens. Nach den klassischen Gesetzen des Kunstmarktes sind solche zeitraubenden Nebenbeschäftigungen fatal. Ein Künstler, der nicht permanent präsent ist, hängt sich selbst vom Geschehen ab. Doch Siekmann hat andere Prioritäten: „Mir ist meine Lebenszeit wichtiger als die Veräußerung auf dem Markt“, so der Vater zweier kleiner Kinder, der Kunst noch als Bildungsauftrag versteht.

Und plötzlich ist er beim nächsten Thema: Was macht ein Künstler, der nach China oder Dubai eingeladen wird? Welche Folgen haben die Kooperationen europäischer Museen mit den dortigen Institutionen? „Da entsteht eine neue Form der Global Art,“ ereifert er sich. „Dazu müsste man als Künstler eine Arbeit machen, aber solche Fragen gelten als uncool.“ Beim Abschied schwirrt dem Besucher der Kopf: Almeria, Bären, Treuhand, Dubai. Kein Wunder, dass man darüber den Atelierbesuch vergessen hat und es beim Gespräch in der heimischen Küche blieb. Dort, wo alle Kunst beginnt – im Kopf.

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