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© Russisches Museum St. Petersburg

Kunstmuseum Düsseldorf: Die Pioniere

"Bonjour Russland": Erstmals sind in Düsseldorf Bilder aus den vier russischen Hauptmuseen zu sehen.

Der Funke sprang besonders schnell, über die weiteste Distanz. Heißer als die Verbindung zwischen Wien, Berlin und Paris war Ende des 19. Jahrhunderts der Draht nach Russland, in die aufstrebende Metropole Moskau. Das gilt vor allem für die Kunst: Noch bevor die Maler der französischen Moderne, Picasso, Matisse, Cézanne oder Gauguin mit ihren Werken in den französischen Salons, Privatsammlungen, gar nicht zu reden von den Institutionen, landeten, erwarben um 1900 Iwan Morosow und Sergei Schtschukin, zwei russische Industrielle, in großem Umfang Bilder für ihre Privatsammlungen – mit Folgen. Was in Paris, Berlin oder Wien sezessionistischer Protest gegen das Kunst-Establishment der Salons war, inspirierte in Russland eine ganze Künstlergeneration zur Neuerfindung. Der rasante Aufstieg der russischen Moderne bis hin zu Expressionismus und Suprematismus hat seine Wurzeln in der Begegnung mit französischer Kunst.

Das zumindest behauptet eine Düsseldorfer Groß-Ausstellung, die unter dem Titel „Bonjour, Russland“ russische und französische Avantgardekunst miteinander konfrontiert. Ein Unternehmen nicht ohne politische und kulturpolitische Hintergründe: Für die Ausstellung des vom Konzern eon.Ruhrgas unterstützten Kunstmuseums wirkten die vier großen russischen Museum Eremitage und Russisches Museum in St. Petersburg sowie Puschkin-Museum und Tretjakow-Galerie in Moskau zusammen – schon das eine Premiere der eifersüchtig ihre Erbhöfe hütenden russischen Häuser.

Dass die 120 Meisterwerke, darunter Hauptwerke von Ilja Repin, Marc Chagall, Wassily Kandinsky sowie Kasimir Malewitsch auf der russischen, Auguste Renoir, Vincent van Gogh, Henri Matisse und Paul Gauguin auf der westeuropäischen Seite, überhaupt nach Deutschland reisen durften, verdankt sich zudem den guten Kontakten, die Eon.Ruhrgas zur russischen Gasprom hat. Was der Londoner Kurator Norman Rosenthal trotz langjähriger Kontakte aus eigener Kraft nicht für ein britisches Museum zustande brachte, ist dank der deutschen Energiekooperation mit Russland möglich – die Ausstellung wandert danach in die Royal Academie London. Eon-Vorstandschef Wulf H. Benotat ist ehrlich genug zuzugeben, dass es sowohl seinem Unternehmen als auch den russischen Partnern natürlich um Außendarstellung gegangen sei – immerhin werde in diesem Jahr der 500-milliardste Kubikmeter russischen Erdgases an Eon geliefert. Schirmherren sind Vladimir Putin und Angela Merkel. Und auch angesichts der russischen Praxis, Leihgaben zur Refinanzierung der defizitären Häuser möglichst gewinnbringend ins Ausland zu vermitteln, ist Eons stabile Unterstützung wahrscheinlich so geld- wie ehrenwert.

Steckt hinter der Ausstellung also mehr politisches und wirtschaftliches Kalkül als kultureller Gewinn? Eon.Ruhrgas immerhin hat sich schon mehrfach als Kulturförderer engagiert: Die Rekonstruktion des Bernstein-Zimmers in St. Petersburg ging ebenso auf Kosten der Firma wie die Essener Turner-Ausstellung.

Doch das Aufgebot in Düsseldorf, darunter das monumentale Hauptwerk „Der Tanz“ von Matisse, ist auch ohne Hintergedanken eine Freude. Zumal russische Kunst sich derzeit in Deutschland ohnehin großer Aufmerksamkeit erfreut: Gerade erst war in der Bundeskunsthalle in Bonn die Tretjakow-Galerie aus Moskau zu Gast, die Repin-Ausstellungen der letzten Jahre von Berlin bis Wuppertal waren Publikumsmagneten, und auch dem Moskauer Sammlerpaar Morosow-Schtschukin war 1993 in Essen eine eigene Ausstellung gewidmet. Was also die schönen Franzosen aus New York in Berlin ermöglichten, einen fokussierten Schnelldurchgang durch ein Jahrhundert Kunstgeschichte plus bürgerlicher Entwicklungsgeschichte, gelingt den schönen Russen in Düsseldorf mindestens ebenso eindrucksvoll.

Wichtiger jedoch ist diese Reise-Ausstellung als innerrussisches Politikum: Sie hat erstmals die vier wichtigsten Museen des Landes an einen Tisch gebracht. Häuser, die sonst eher als Konkurrenten denn als Partner auftreten. So träumt Irina Antonowa, die 85-jährige Leiterin des Moskauer Puschkin-Museums, davon, die Teile der Schtschukin- und Morosow-Sammlungen, die unter Stalin 1948 an die Eremitage gegeben wurden, wieder in Moskau mit den eigenen Beständen zusammenzuführen. In St. Petersburg dagegen rühmt man sich, mit einem Anbau der Eremitage angemessene Präsentationsflächen für die bei Touristen so überaus beliebte westliche Kunst schaffen zu wollen.

Dass die Privatsammlungen, die schon 1917 zwangsverstaatlicht und zunächst in einem „Museum der Neuen Westlichen Kunst“ gesammelt wurden, überhaupt nach St. Petersburg gelangten, war Folge von Stalin-Diktatur und Kriegsgewinn. In beiden Häusern landete die westliche Kunst unter Formalismusverdacht für Jahrzehnte in den Depots. Dass in den russischen Museen plötzlich so eklatanter Raumbedarf herrschte, lag auch an den deutschen Beutekunstbeständen, die nach 1945 in die Museumsdepots gelangten – Irina Antonowa war hier eine der treibenden Kräfte und sträubt sich bis heute gegen die Rückgabe.

In eigener Sache kämpft sie nun dafür, die ehemaligen Bestände des „Museums der Neuen Westlichen Kunst“ wieder in Moskau zu vereinen – auch als Hommage an zwei Sammlerpersönlichkeiten, von deren Lebenswerk so wenig in Zusammenhang erkennbar geblieben ist. Zumindest Sergei Schtschukin wurde nach Verlust seiner Sammlung wie auch seiner Unternehmen des Lebens im Exil nicht mehr froh. Verarmt hatte es ihn nach Südfrankreich verschlagen, wo er auch den einst von ihm geförderten Matisse wieder traf. Dieser schenkte dem Mäzen, dem er seine ersten großen Aufträge verdankte, gönnerhaft eine kleine Zeichnung, mit dem Hinweis, so etwas ließe sich doch gut zu Geld machen heute.

Bonjour Russland, Kunstmuseum Düsseldorf, bis 6. Januar, danach Royal Academy London. Katalog 29 Euro.

Christina Tilmann

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