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Kunstsammlungen: Über Väter

Wer kauft die Kunst der Gegenwart? 15 private Sammlungen in der Bundeskunsthalle Bonn.

„Die laufen weg“, meint erstaunt die junge Frau. Sie kennt das anders: Wo immer sie sonst im Auftrag ihrer Agentur strippt, schauen die Männer hin. Bloß in der Bundeskunsthalle nicht. Zu peinlich ist die Situation – Auge in Auge mit der vermeintlichen Wächterin, die sich im Neonlicht erst die brombeerfarbene Jacke auszieht und dann langsam den Rest. Bis sie in Unterhosen steht und endlich sagen kann, dass dies „Selling Out“, eine Arbeit von Tino Sehgal, ist.

Doch so nervenstark und „neugierig“, wie es der gleichnamige Titel der Ausstellung annonciert, sind nur wenige Besucher der Bonner Schau. Die meisten sehen betreten weg oder wechseln den Raum. Und dass sie noch im Kopf haben, aus welcher Kollektion das flüchtige Kunstwerk von 2002 stammt, kann man getrost bezweifeln: Bei 15 Sammlern und Sammlerpaaren, die am Eingang zur Ausstellung aufgelistet und knapp charakterisiert sind, vergisst man rasch die Details.

Dafür öffnen sich in der Ausstellung die Arsenale des Privaten. „Neugierig?“ erzählt von der Kauflust jener europäischen Sammler, die über Hamburg, Paris, Marseille, Düsseldorf und Berlin verstreut sind. Protagonisten also, denen gern nachgesagt wird, dass sie Kunst weniger mit Blick aufs Investment, sondern ganz old school nach inhaltlichen Kriterien beurteilen. Tatsächlich besticht die Qualität der knapp 150 versammelten Arbeiten von Hannah Höch bis Hanne Darboven, von William Kentridge und Kitty Kraus, dem spröden Konzeptkünstler Roman Ondák oder dem Maler Thomas Scheibitz, dessen Leinwände einen ganzen Raum füllen.

Gleich am Eingang überzeugt eine wunderbare Arbeit von Mathieu Mercier aus der Berliner Sammlung Maenz: ein schlichter Teller, dessen Form der Künstler mithilfe konzentrisch gemalter Kreise an der Wand ins Unendliche fortsetzt. Gegenüber hängen 30 Blätter von Ceal Floyer, die Filzstiftfarben mit Wasser mischt. Ihre fließenden Abstraktionen gehören zu Evergreen – auch eine Sammlung Berliner Provenienz, die sich erst 2005 konstituiert hat und den Schwerpunkt auf junge Künstler der Hauptstadt legt.

Vorbei an den intellektuellen Übungen von Wade Guyton oder Carol Bove, die Unternehmensberater Axel Haubrok seit den achtziger Jahren sammelt und sonst in eigenen Schauräumen am Strausberger Platz ausstellt, geht es zu den überbordenden Arrangements aus Bronze, die Thomas Olbricht beigesteuert hat – szenische Spektakel vom Young British Artist-Duo Jake und Dinos Chapman, die auch dem weniger versierten Publikum bekannt sein dürften. Ein Anker im Meer der unvertrauten Namen, von denen wenige bereits durch die Instanzen bis in Museen gekommen sind. Dafür spielen sie in Kunstvereinen und auf Biennalen eine wichtige Rolle. Doch selbst ein Sammler wie Christian Borros, dessen Berliner Ausstellungsbunker schon nach außen Signale setzt, hat zum Stelldichein der Sammler minimale Interventionen von Kris Martin und Unaufgeregtes von Daniel Lergon mitgebracht. Dabei hätte er klotzen können, genau wie Antoine de Galbert, der in Paris mit der Maison Rouge eine eigene Halle für seine Skulpturen und Installationen besitzt. Gleiches gilt für den früheren Galeristen Paul Maenz oder die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz, die über wahre Schätze aus der Ära der Arte Povera und dazu umfangreiche Bestände etwa von Mike Kelley verfügt. Hier aber stellt sie die jungen Künstlerinnen Paulina Olowska und Lucy McKenzie mit imposanten Formaten und Wandmalerei vor.

Diese Bescheidenheit verdankt sich vor allem dem Konzept von „Neugierig?“. Kurator Rainald Schumacher hat die Sammler um Positionen gebeten, die sie selbst mehr in die Öffentlichkeit rücken wollten. Das ist geglückt. Dennoch lässt einen die Ausstellung ratlos zurück – weil sie im Titel eine Frage aufwirft, ohne echte Antworten zu geben. Natürlich will man wissen, was jene Kunstliebhaber unter enormen finanziellen Anstrengungen zusammentragen. Und ganz sicher fällt ihnen „jene innovative Rolle zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ zu, wie sie Robert Fleck als Direktor der Bundeskunsthalle postuliert: „Das Verhältnis privater Sammlungen und öffentlicher Museen“, so schreibt er, „wird in den nächsten Jahren eine der wesentlichen Fragen darstellen.“

Was aber erfährt man von einer Zusammenschau aus dem unzweifelhaft hochwertigen Fundus ganz individueller Sammlungen? Die Ausstellung wirft Schlaglichter auf persönliche Vorlieben, dazu passende Künstler (und Galerien) und weckt Interesse an Positionen, die es auf breitem Feld noch zu entdecken gilt. Viel mehr aber vermag sie nicht, und manchmal wirkt sie sogar verzerrend. So muss, wer auf die vielen Bilder von Scheibitz blickt, den Maler für eine Art Übervater der Gegenwart halten. Obwohl die Präsenz ästhetische Gründe hat: Kurator Schumacher konnte mit diesen Arbeiten aus diversen Sammlungen einen Raum gestalten, der zu den schönsten der Ausstellung zählt. Was dagegen Gaby und Wilhelm Schürmann an politisch motivierten Papierarbeiten zusammengetragen haben, bleibt als Werkgruppe unter sich, weil es neben den anderen, teils riesigen Formaten kapitulieren muss.

Abschirmung hier, die bunte Mischung dort: Am Ende manifestiert sich kein Konzept, sondern die Erkenntnis, dass eine solche Ausstellung zwar in die Bundeskunsthalle passt, die keine eigene Sammlung besitzt und eher als Durchlauferhitzer denn als Katalysator fungiert. Für ein Museum aber taugt sie nicht – auch wenn es das New Museum in New York just mit der Ausstellung „Skin Fruit“ für alle sichtbar vormacht: Der griechische Industrielle Dakis Joannou zeigt dort Teile seiner ungeheuren Sammlung und hat Jeff Koons als Kurator verpflichtet. „Skin Fruit“ ist der Auftakt eines Projekts, das als „Imaginary Museum“ in regelmäßigen Abständen die Hallen mit privaten Präsentationen besetzen darf. Ausgerechnet in einem Haus, das sich lange als Alternative ohne ökonomische Interessen verstand. Wo aber der Sammler die Hoheit über das Museum übernimmt und Künstler dort installiert, wo eigentlich der Platz des Kunsthistorikers ist, verliert die Institution ihre kulturelle Kompetenz. Statt abzuwarten und auszuwählen, bildet das Museum bloß noch den Zeitgeschmack ab.

Einfluss haben Sammler schon immer genommen, auch in europäischen Museen rekrutieren sich ganze Epochen aus privaten Leihgaben. Ergänzend allerdings, genau wie bei Ausstellungen, für die sich Experten aus unterschiedlichen Quellen leihen, was das jeweilige Thema erhellt. „Neugierig?“ aber zeigt das Gegenteil: was alles fehlt, um den berühmten roten Faden in jenes Defilee zu bringen. Fleck hat recht, wenn er Gesprächsbedarf sieht. Das Fazit der Veranstaltung müsste allerdings kritische Distanz sein.

„Neugierig“, Kunst- und Ausstellungshalle des Bundes, Bonn; bis 2. Mai, Katalog: 29 Euro.

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