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Rothko

© dpa

Mark Rothko: Der Augenblick vor der Explosion

Schicksal und Farbe: Die Hamburger Kunsthalle zeigt Mark Rothko in einer großartigen Retrospektive

Der erste Impuls: Nein, wir lassen uns nicht überwältigen, wollen nicht abheben auf dem roten Teppich, nicht schweben auf den Farbwolken des Mark Rothko. Die Beschreibungen der metaphysischen Erfahrungen, die sensible Betrachter vor den Gemälden des großen abstrakten Expressionisten machten, sind längst fester Bestandteil der neueren Kunstgeschichtsschreibung. Das soll jetzt gänzlich anders sein. Und im nüchternen Hamburg lässt sich dieser Vorsatz zunächst sehr gut an.

In der kühlen Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, wo jedem Fenster, jeder Wand das rationale Ungers’sche Quadrat eingeschrieben ist, wird Mark Rothkos Hagiographie zwar nicht umgeschrieben, aber es ändert sich doch der Blick auf sein von Heilserlebnissen begleitetes Werk. Was bislang als Vorgeplänkel zu den Farbgewittern des großen Rothko galt, wird in der Hamburger Retrospektive sorgfältig ausgebreitet und erklärt erst, woher das Heroische, ja das Mythische seiner Malerei kam. Nicht vom tragischen Tod, dem Selbstmord des 66-Jährigen 1970 in seinem New Yorker Atelier, nicht auf der Grundlage zunehmender Verdüsterung seiner Bilder entwickelt sich die bislang angenommene Logik seines Werks, sondern von seinen Anfängen her: als aus Marcus Rothkowitz, dem vor Pogromen geflohenen Kind lettischer Juden, der amerikanische Künstler und Staatsbürger Mark Rothko wurde.

Diese Anfänge liegen in den späten dreißiger Jahren. Rothko hatte an der New York School of Design studiert, war Lehrer für Malerei an der Akademie des Brooklyn Jewish Center geworden und schlug sich während dieser Phase der amerikanischen Depression mithilfe staatlicher Aufträge durch. Er malt wieder und wieder U-Bahn-Szenerien, als fühlte er sich selber wie geduckt. Die Bilder sind pastig in einer Al-fresco-Technik auf Gipsgrund aufgebracht. In ihnen wird bereits das Interesse für räumliche Wirkung sichtbar, schon beginnen sich die Protagonisten, die schemenhaften Fahrgäste, zu Farbflächen zusammenzuziehen.

Jene U-Bahn-Schächte werden zum Höllenschlund, aus dem in den vierziger Jahren die mythologischen Figurationen heraustreten, die nach der bisherigen Rothko-Rezeption ebenfalls nicht zu den berühmten „multiforms“ passen wollten. Doch wer seine Antigone-Darstellungen studiert, seine Kreuzigungsszenen, die vereinzelten Körperteile und antiken Masken, der kann darin auch das Frühwerk eines Jackson Pollock sehen, Anklänge an Roberto Matta, Yves Tanguy, jene vom Surrealismus inspirierten Künstler, die damit das Grauen des Krieges auszudrücken versuchten. „Wir spürten die moralische Krise der Welt, die ein Schlachtfeld war. Es war unmöglich, so zu zeichnen wie früher Blumen, liegende Akte und Cello spielende Musiker“, wie es Barnett Newman formulierte.

Für Rothko muss dieses Gefühl noch drängender gewesen sein, denn als Emigrant im Alter von zehn Jahren hatte er die Judenverfolgung bewusst miterlebt. Welche Bedeutung deshalb die Malerei für ihn besaß, lässt sich bei einem Selbstbildnis erahnen, das ihn mit einer bläulichen Brille zeigt, die ihn als Blinden ausweist. Der Blick geht nach innen; zugleich gibt ihm die Farbe Blau die Freiheit, die Umgebung anders wahrzunehmen. In der Hamburger Ausstellung ist das Selbstporträt von 1936 dem acht Jahre später entstandenen Gemälde „Teiresias“ gegenübergestellt. Es liegt nahe, in der Figur des blinden Sehers ein Alter ego Rothkos zu erkennen. Genau dort, wo sich in seinem Selbstbildnis die ovalen, dunklen Brillengläser befinden, hat sein nahezu abstrakter „Teiresias“ einen ähnlich geformten Augenflecken.

Mit diesem Wissen um die frühen Bilder wird auch verständlich, was Rothko meinte, als er sagte: „Die Wiege meiner Bilder ist Gewalt – die einzig zulässige Balance ist das prekäre Gleichgewicht kurz vor dem Moment des Zusammenbruchs. Deshalb bin ich immer wieder überrascht zu hören, dass meine Bilder friedlich wirken. Sie sind ein einziges Zerreißen aus der Gewalt heraus.“

Trotzdem breitet sich in diesen zunehmend abstrakten Bildern ein heiteres Schweben, eine farbliche Leichtigkeit aus. „Frühlingshafte Erinnerung“ hat Rothko 1946 eine Serie genannt, die in jene wolkig-dunstigen Kompositionen übergehen, in denen sich das Gelb, Rot, Blau luftig zerzupft.

An diesem Punkt überrascht die – nach ihren Stationen in Rom und München stark erweiterte – Hamburger Schau. Neben Rothkos „frühlingshaften“ Bildern ist ein Früchtestillleben des Spätimpressionisten Pierre Bonnard gehängt, das nur wenige Jahre zuvor entstanden ist, sowie seine in Grünschattierungen schwelgende „Terrasse von Vernon“ von 1928. Zunächst erscheint dieser Vergleich verfehlt, kunsthistorisch maniriert. Doch Rothko hat Bonnard intensiv studiert und seine New Yorker Ausstellung 1946 immer wieder besucht. Zu William Turner, in dessen Nachbarschaft er später in der Londoner Tate-Gallery mit seiner Seagram-Serie rückte, ist sein Spruch überliefert: „Dieser Kerl hat eine ganze Menge von mir gelernt.“

Vermutlich hätte Rothko auch die Zusammenstellung seiner späten „Black and Grey“-Gemälde mit den beiden Caspar-David-Friedrich-Bildern „Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1817 und „Mönch am Meer“ von 1809 gefallen. Die Nähe ist frappant: Wo sich bei Rothko die Leinwand in eine graue und eine schwarze Sphäre teilt, ist bei Friedrich, dessen Bilder die gleiche Tonigkeit haben, genau die Horizontlinie aufgespannt. Doch während bei dem Romantiker noch eine Rückenfigur, der Wanderer oder Mönch, die überwältigende Natur bestaunt, ist bei seinem modernen Wiedergänger Rothko der Betrachter selbst der reinen Farbe ausgeliefert.

Spätestens hier, in diesem letzten Raum, passiert es dann. Wer sich diesen Gemälden entziehen kann, in denen die Angst vor der Leere mit dem Lobpreis des Nichts oszilliert, nachdem er mit Rothko das Glück des Rot gekostet hat, der hat sich nicht auf seine Bilder eingelassen. Rothko hat selbst einmal gesagt: „Ich bin kein Abstraktionist. Mich interessiert nicht das Verhältnis von Farbe und Form oder irgend so etwas. Mich interessieren nur die grundlegenden menschlichen Emotionen: Tragödie, Ekstase, Schicksal.“ Seine Bilder bleiben die Bühne, das Schauspiel ist ins Innere des Betrachters verlegt.

Zuletzt war Rothko vor allem für Sensationspreise gut. Im Mai 2007 wurde sein Bild „White Center“ bei einer Auktion in New York für die Rekordsumme von 65 Millionen Dollar verkauft. Die Hamburger Retrospektive wird von der geballten Kraft der Bilder getragen, nicht von der Top-Ten-Aura eines Weltranglistenmalers. Und doch macht dieser Umstand die Ausstellung zum einmaligen Erlebnis. So viele Rothkos wird man wegen der immensen Versicherungssummen so bald nicht mehr an einem Ort sehen.

Hamburger Kunsthalle, bis 24. 8.; Katalog (Hirmer Verlag München) 39 Euro.

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