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Museen: Gier nach dem Original

Wirkt ein Werk weniger imposant, wenn es ein anderer geschaffen hat als der große Meister, der dahinter vermutet wurde? Ein Museumsbesuch von Rüdiger Schaper.

Der Mann mit dem Goldhelm – nicht von Rembrandt. Schon lange nicht mehr. Dabei galt er die längste Zeit als Glanzstück der Berliner Museen. Der noch berühmtere „Koloss“ von Goya – wohl auch nicht echt. Von einem Assistenten gemalt. Diese Hiobsbotschaft erschüttert den Prado, stürzt ganz Spanien und den Rest der Museumswelt in Depression.

Warum eigentlich? Was ist so schlimm daran? Sicher, der Marktwert sinkt, wenn ein Meisterwerk nicht vom Meister stammt. Aber solche Bilder sind ohnehin unverkäuflich. Wirkt das Werk weniger imposant, wenn es ein anderer geschaffen hat? Über ein Jahrhundert lang galt Goyas Koloss, der nackte Riese mit den massigen Hüften in den Wolken, der Titan über dem Gewimmel eines Schlachtfelds, als Urbild von Krieg und Zerstörung. Als grausamer Übervater des Goya’schen Zyklus der „Desastres de la guerra“. Hat er nun all seine Urgewalt eingebüßt, muss er in die Verbannung der Magazine – und die komplette Goya-Literatur in die Altpapiersammlung? Es ist, als ob ein erwachsener Mensch gesagt bekommt, dass der Mann, der ihn ernährt, geliebt, umsorgt und aufgezogen hat, nicht sein leiblicher Vater ist. Aber doch: sein Vater.

Wer immer das kolossale Bild gemalt hat: Er war ein Meister, zu Unrecht unbekannt. Der Fall rührt an die Fundamente der abendländischen Kunstgeschichte, unseres Kunstverständnisses überhaupt. Wir glauben an das Genie, wir huldigen dem Original. Dieser Kult aber ist eine Erfindung der Neuzeit, als Europa begann, seine Museen zu füllen – oft genug mit geraubter Kunst aus fernen Ländern.

In der Ausstellung „Unsterblich! Der Kult des Künstlers“ am Berliner Kulturforum lässt sich das Phänomen studieren (noch bis 15. Februar). Da finden sich neben unseren Originalgenies herrliche außereuropäische Artefakte – in der Regel schwer zu datieren und häufig nicht mit dem Namen eines Künstlers in Verbindung zu bringen. In der Kunst der Ikonenmalerei und bei Legionen antiker Skulpturen verhält es sich ähnlich: Das Bild steht über dem Künstler, er tritt, sofern überhaupt namentlich bekannt, dahinter zurück. Falsche Zuordnung oder Fälschung ist ein zivilisatorisches Problem. Dabei geht es um Geld und Gier, Ruhm und Ehre, um den Drang, anderen überlegen zu sein – und das Zeitliche zu überlisten.

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