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Museum: Sammler Staat

Junge Meister: Die Kunstankäufe des Bundes im Martin-Gropius-Bau. Bescheiden allerdings ist der Etat von 500.000 Euro.

Das Bild hängt falsch. Die unten verschlankte Acht signalisiert, dass die Jahreszahl 89 auf dem orangen Leuchtkasten eine gedrehte 68 ist. Peter Friedls Zahlenspiel „Ohne Titel (Berlin)“ (1998/99) verbindet europäische mit persönlicher Geschichte. Neben Studentenrevolte, Prager Frühling und Mauerfall tippt der Künstler auch eigene Eckdaten an. So hörte er 1989 auf zu malen, um andere Medien zu erkunden.

Metamorphosen hat auch die Sammlung Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland durchlaufen. Neben Malerei und Skulptur wird inzwischen Videokunst gesammelt. Und: die insgesamt rund 1300 Arbeiten zieren nicht mehr allein Ministerien oder Botschaften, sondern werden in Zeiten knapper Ankaufsetats auch an Museen verliehen. Gut zu wissen, dass der Staat zur Not einspringt. Zumindest in der Kultur ist das ja keine neue Erfahrung.

Mit 50 Werken von Axel Anklam bis David Zink Yi präsentiert die Ausstellung „Zeitblick“ im Martin-Gropius-Bau einen Querschnitt durch die Bundes-Ankäufe der vergangenen zehn Jahre. Der Zeitraum fällt nicht zufällig mit dem 1998 eingeführten Amt des Kulturstaatsministers zusammen. Um einer möglichen Verwechslung vorzubeugen: Karin Sanders an Stifterfiguren erinnernde Body-Scan-Kleinskulptur von 1999 zeigt nicht Bernd Neumann, sondern den Galeristen und Kurator René Block, bezeichnenderweise eine der prägenden Figuren der Gegenwartskunst.

Nein, Vater Staat hält sich weitgehend heraus. Vor allem das Kunsturteil wird an ein Expertengremium delegiert, an Kunstkritiker oder Kuratoren. Von 2000 bis 2002 war Veit Loers als Bundeskurator solistisch tätig. Er kommt im lesenswerten Katalog ebenso zu Wort wie die Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet, die im Verein mit vier Komissionskollegen jetzt wieder das Art Forum Berlin durchforstet (und die Messen in Basel und Köln). Dann wird gestritten. Und vielleicht gekauft.

Die Künstlerliste der „Bundessammlung“ setzt sich jedoch von einem Who is Who der Kunstbetriebs-Stars und Sternchen wohltuend ab. Der hohe Anteil von jungen, häufig zum Ankaufszeitpunkt kaum bekannten Künstlern erklärt sich aus dem nicht unermesslichen Etat – für das laufende Jahr stehen knapp 500 000 Euro zur Verfügung.

Die Namen der „Zeitblick“-Schau erscheinen vergleichsweise selten auf Hochglanzseiten: Thomas Bayrle ist mit einer papiernen „S-Formation“ (2005), einer Endlos-Autobahn als eine Art Wandteppich vertreten. Ulrike Kuschel beschäftigt sich in der dokumentarischen Arbeit „Gleichschaltung – Nicht zutreffendes bitte zu durchstreichen“ (2007) mit dem Verhalten prominenter Mitglieder der Akademie der Künste zum Machtantritt der Nationalsozialisten. Unter dem Titel „Freier Fall“ (2006) projiziert Albrecht Schäfer den Videofilm eines herabtrudelnden Papierbogens auf ein Din-A-4-Blatt, bis schließlich das virtuelle und das echte Blatt zur Deckung kommen.

Das Problem der Ausstellung liegt im Gemischtwarencharakter der Sammlung. Im Gegensatz zu (guten) Privat- oder Museumskollektionen fehlt es – systembedingt – an Fokus. Der „Zeitblick“-Kuratorin Annette Hüsch ist es mit ihrer thematischen Zehn-Räume- Gliederung nur bedingt gelungen, die Einzelarbeiten in einen spannenden Dialog miteinander zu bringen. Am stärksten wirken separierte Werke, etwa Andreas Slominskis absurdes Environment eines „Ofens zum Verbrennen von Astgabeln“ (1997) oder die verblüffende Videoinstallation „Somersault Minsk“ (2001), in der die Kamera durch vier Räume auf zwei Stockwerken eines Abbruchhauses rast: mit dem Kopf durch die Wand. Für den Künstler Thomas Steffl hat sich die Kunstanstrengung gelohnt.

Martin-Gropius-Bau, bis 12. Januar, Eintritt frei, Katalog 19,90 Euro

Jens Hinrichsen

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