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Nachkriegszeit: Die Stunde der Funktionäre

Traurige Kontinuitäten: „Doppelleben“ – eine Ausstellung zur deutschen Nachkriegsliteratur. „Doppelleben“ meint ist das doppelte Deutschland, zunächst die westlich und sowjetisch besetzten Zonen, ab 1949 dann die Bundesrepublik und die DDR.

„Doppelleben“ – so hat Gottfried Benn 1950 ein Buch genannt, das die Öffentlichkeit als seine Autobiografie lesen sollte. Der Titel spielte auf seine doppelte Existenz als Schriftsteller und Arzt an. Vor allem aber begründete er Benns doppeltes Außenseitertum: weder ganz Dichter noch ganz Mediziner, sondern beides zugleich. Und auch den Nationalsozialisten, zu denen er sich 1933/34 öffentlich bekannte, die ihn aber aus verschiedenen Gründen in Ungnade fallen ließen, konnte er sich als Außenseiter darstellen.

„Doppelleben“ – das ist nun auch der Titel einer Ausstellung, die von Helmut Böttiger kuratiert wurde und im Literaturhaus Berlin zu sehen ist. Gemeint ist das doppelte Deutschland, zunächst die westlich und sowjetisch besetzten Zonen, ab 1949 dann die Bundesrepublik und die DDR. Noch Jahrzehnte später erweist sich die Gemengelage als äußerst komplex, geprägt von einer Vielzahl heterogener Positionen und Akteure. Damals versuchte man dieser Unübersichtlichkeit mit Lagerdenken beizukommen: Berühmt ist diesbezüglich die Kontroverse zwischen dem in Deutschland gebliebenen Frank Thiess und dem früh emigrierten Thomas Mann. Unter dem Titel „Die innere Emigration“ hatte Thiess 1945 die äußerlich Emigrierten auf die „Logen und Parterreplätze des Auslands“ verbannt, von dem aus sie die Geschehnisse in Deutschland gar nicht angemessen beurteilen konnten. Schon in der Wortwahl knüpft Thiess an ein Kulturverständnis an, das in Deutschland lange Zeit als sakrosankt galt: Im Innern nur liegt die wahre Kultur, der Rest ist Zivilisation und bloß äußerlich – ein Modell, das pikanterweise auch Thomas Mann verfochten hatte, allerdings zu Zeiten des Ersten Weltkriegs. Nun wurde es mit großer Resonanz gegen ihn selbst, aber auch gegen Hermann Hesse und andere gewandt.

Auch wenn die Ausstellung den Schwerpunkt „auf bisher kaum oder gar nicht bekannte Materialien“ legen will, durfte diese Auseinandersetzung natürlich nicht fehlen. Dabei hält sich das Konzept an Bewährtes, nämlich an Personen- und Institutionengeschichten. Neben den üblichen Verdächtigen wie Benn oder Brecht treten mit Kasimir Edschmid oder Hermann Kasack auch heute weniger prominente, damals aber wichtige Figuren auf, wobei eine gewisse Westlastigkeit ins Auge fällt.

Darüber hinaus werden noch einmal – und dies relativ dürftig – die Anfänge der Gruppe 47 und in dieser Ausführlichkeit erstmals die Gründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung dokumentiert. Die Ausstellung selbst beschränkt sich auf relativ wenige Originaldokumente, ergänzt um zeitgenössische Bild- und Tonaufnahmen, die einen grob orientierenden Überblick erlauben. Die Feinjustierung übernimmt das zweibändige, opulent ausgestattete und lesenswerte Begleitbuch, das eigentliche Herzstück des Ganzen.

Gerade die zunächst willkürlich anmutende Kombination aus Institutionen- und Akteursgeschichten konturiert dann einen noch immer viel zu wenig beachteten Typus, der in der Weimarer Republik etabliert wurde, aus der Literaturgeschichte des „Dritten Reiches“ nicht wegzudenken ist und für den Aufbau des literarischen Lebens nach 1945 eine maßgebliche Rolle spielte: den Literaturfunktionär. Gefragt war er spätestens seit 1926, als mit der Gründung einer Sektion für Dichtkunst unter dem Dach der altehrwürdigen Preußischen Akademie der Künste Literaturvermittlung zunehmend auch Teil von Institutionengeschichte wurde.

In seinen Anfängen war der Literaturfunktionär im Nebenberuf meist Schriftsteller, darüber hinaus wendig, kommunikativ und gut vernetzt – ein Dienstleister, ein Ermöglicher, ein doppelt Lebender. Mit Kasimir Edschmid präsentiert die Ausstellung seinen opportunistischen Prototyp. Zunächst schrieb Edschmid ein bisschen expressionistisch, dann ein bisschen neusachlich, dann ein bisschen völkisch, und in den fünfziger Jahren war er dann nicht nur ein bisschen einflussreich, sondern machte Darmstadt „zu einer Art Verwaltungshauptstadt der deutschen Literatur“.

Es waren solche Figuren, die im literarischen Nachkriegsdeutschland gefragt waren – in Ost und West. Schaut man sie genauer an, entstehen neue Nachbarschaften und Einsichten, die nicht nur Kontinuitäten verdeutlichen, wo scheinbar Brüche und Gegensätze herrschen, sondern auch veranschaulichen, dass Literatur nicht in abgelegenen Dachstuben, sondern in sozialen, kulturellen und politischen Kraftfeldern entsteht.

Es zählt zu den Verdiensten dieser Ausstellung, solche Entwicklungen mit didaktischem Geschick aufzubereiten. Dazu greift sie allerdings auf eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Figur zurück. Sie erzählt fast ausschließlich von Überlebenden und Institutionen, was zwangsläufig für eine gewisse Kontinuität sorgt. Wie sehr diese indes stets mit Brüchen einher geht, verdeutlichen unfreiwillig einige Zeilen Werner von der Schulenburgs, einem Gründungsmitglied der Akademie. Der schrieb 1951: „Ich beobachte ein Vordrängen der jüdischen Autoren, vor allem der Ausländer, speziell in unserem Theater.“

Zum einen behauptet sich hier das antisemitische Ressentiment über politische Zäsuren hinweg; zum anderen aber ist der Bruch erkennbar, den der Holocaust für die Geschichte der deutschen Literatur bedeutete. Es hatte seine Gründe, dass ein Theodor Wolff oder ein Walter Benjamin in der Nachkriegskultur nicht mehr vorkamen.

Und das ist das eigentlich Frappierende an den Kontinuitäten nach 1945, dass die Opfer des Nationalsozialismus zwischen den Kontroversen über innere und äußere Emigration, Trümmerliteratur und Naturlyrik, Kapitalismus und Kommunismus so gründlich vergessen scheinen. Die Überlebenden blieben weitgehend unter sich. Daran ändert auch diese Ausstellung wenig.

Bis 12. Juli 2009, Literaturhaus Fasanenstraße, täglich außer montags, 11 bis 19 Uhr, Eintritt 5,- /3,- Euro

Thomas Wegmann

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