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SERIE: Bilder für die digitale Generation

Der Franzose Arthur de Ganay und seine Passion für Fotokunst: Besuch in seinem Kreuzberger Loft.

Immer mehr Sammler errichten private Museen und stellen Kunst nach ihren Kriterien aus. Wie stark sie damit Einfluss auf Künstlerkarrieren, Institutionen und den Markt nehmen – davon handelt unsere Sommerserie, die heute zu Ende geht.

Grünliches Flirren in stockschwarzer Nacht. Das könnte Bagdad sein. Der Krieg als grüne Ursuppe, wie ihn die US-Armee in zwei Irakkriegen der weltweiten Öffentlichkeit live verabreichte. Doch es ist Düsseldorf. Die Erinnerung trügt. Mitte der Neunziger streifte Thomas Ruff durch seine Heimatstadt, schraubte einen Restlichtverstärker auf die Kleinbildkamera und fokussierte damit die ganze Absurdität militärischer Nachrichtenbilder, ebenso die vermeintlich objektive Fotografie.

Der Titel lautet „Nacht 20 I“. „Ruffs Prinzip ist es, nur wenige Information zu geben, damit der Betrachter möglichst viel projizieren kann“, erklärt Arthur de Ganay. Begeistert erzählt der Sammler von der technischen Provokation, die Ruffs Großformate aus fotografisch ansonsten minderwertigen Vorlagen anfänglich ausgelöst hatten: Blow-ups von 35-mm-Filmen oder später die Jpeg-Serien, lauter Downloads von Amateur-Fotografien aus dem World Wide Web. Dass er meisterlich zu fotografieren versteht, hatte der Becher-Schüler gleich nach seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie mit riesenhaften Porträts bewiesen, in denen jedes Härchen, jeder Pickel überdeutlich sichtbar wird. Sie machten ihn Mitte der Achtziger bekannt.

„Heutzutage geht es nicht mehr darum, wie scharf oder perfekt jemand fotografieren kann, um sich von Amateuren abzusetzen.“ De Ganay hält kurz inne. Dann legt er solche Spannung in die Stimme mit dem charmant französischen Akzent, als wolle er einen Krimi erzählen. „Es geht vielmehr um die Erneuerung der Fotografie in eine malerische Richtung: in Richtung Impressionismus!“, ruft er fast und eilt zu „jpeg.td03“. Wieder so ein nüchterner Titel, der nichts verrät. Und wieder ein Motiv, das mitten ins kollektive Gedächtnis zielt. Es sind die brennenden Twin Towers als malerische Impression des digitalen Zeitalters. In den abstrahierenden Pixel-Flecken erscheinen sie gespenstisch und entlarvend zugleich. Umso mehr, wenn der Sammler das Jpeg-Foto dem Nachtbild gegenüberstellt. Er erklärt auch gleich warum: „Ruffs Fotografien sagen viel über unsere Gesellschaft aus, über den virtuellen Konsum von Sex und Gewalt, die von diesen kleinen Bildschirmen ausgelöste Emotionalität. Das ist ein schrecklicher Spiegel unserer Zeit. Aber meine Generation ist perfekt darin, solche Bilder zu lesen.“

Arthur de Ganay, 1973 in Paris geboren und seit 2001 in Berlin, ist beflügelt von einem missionarischen Eifer. Mit seiner Kollektion rund um die Protagonisten der Düsseldorfer Fotoschule will der studierte Architekt den Beweis antreten, dass die Fotografie der Malerei ebenbürtig ist. Wenn er über die Poesie der Postkarten-Großformate von Elger Esser spricht, vom Wahrheitsgehalt in Thomas Struths „Kölner Dom“ oder Candida Höfers „Opéra Garnier“, leuchten die blauen Augen unter dem schwarzen Schopf. Der Franzose erinnert an einen Liebenden, der alles gibt, um sich der Angebeteten würdig zu erweisen. De Ganay brennt für die Fotografien, die er seit sechs Jahren zusammenträgt. Der Begriff Meisterwerk fällt wiederholt. Trotzdem gibt er es unumwunden zu, wenn eine Fotografie einmal nicht die stärkste einer Serie ist oder er eine der begehrten Meeresansichten von Hiroshi Sugimoto lediglich als Lithographie ergattern konnte.

Dabei hat der Japaner seine Leidenschaft entfacht. Ein unvergessliches Erlebnis sei es gewesen, als er 22-jährig in Paris auf eine Ausstellung Sugimotos gestoßen war – eher zufällig, in der Gegend, in der er lebte. Selbstredend ist der Meister der meditativen Schwarz-Weiß-Fotografie mehrfach in der Sammlung vertreten. In der aktuellen Präsentation mit einer Aufnahme der Wiener Postsparkasse: Otto Wagners Jugendstil-Ikone in pointierter Unschärfe, auf das Wesentliche reduziert. Jeden ersten Sonnabend im Monat öffnet de Ganay seine Räume in der einstigen Marmeladenfabrik unweit des Schlesischen Tors. Durch die exquisite Ausstellung mit rund zwanzig Fotografien führt er höchstpersönlich.

Die Adresse ist für den Sammler ideal, der im gleichen Haus sein Büro unterhält: mit rund 130 Quadratmetern überschaubar und einem beeindruckend urbanen Panorama, das sich hinter der Spree eröffnet. „Dieser Ort hat die Bilder angelockt“, schmunzelt der Franzose, denn er hat nicht etwa Platz für eine existierende Kollektion gesucht, sondern umgekehrt die Fotografien erst für die Räumlichkeiten ausgewählt. Innerhalb von sechs Monaten wurde die rohe Fabriketage in einen eleganten Showroom umgewandelt und im gleichen Zeitraum der Grundstock erworben. Pünktlich zum Art Forum 2006 fand die Eröffnung statt. Kunst zu sammeln und nicht zu wissen, wohin damit, empfinde er als Widerspruch, so de Ganay, fast trotzig. Zwischen den Zeilen klingt an, dass ihn die anfängliche Kritik, binnen sechs Monaten könne man keine profunde Sammlung aufbauen, gekränkt hat.

Schließlich hatte er sich, seit er in Deutschland lebt, intensiv mit der Düsseldorfer Fotoschule beschäftigt, deren erste Generation nach wie vor eine Schlüsselstellung einnimmt. Mittlerweile hat der Sammler sein Spektrum auf jüngere Fotografen ausgeweitet. Momentan sind Susanne Schuricht und Arwed Messmer zu sehen, ab Mitte September kommen die melancholischen Fotografien von Sarah Schönfeld, Laurenz Berges und Götz Diergarten hinzu; neben zwei jüngst erworbenen Bildern aus der Serie „m.a.r.s.“ von Ruff und Fotografien aus dem Bestand.

Bei den Ausstellungswechseln knüpft de Ganay stets frische Beziehungen zwischen den Positionen. „Die Bilder sollen interagieren. Das ist extrem subjektiv, aber eben auch die Freiheit des Sammlers.“ Tatsächlich ist die Kombination von Ruffs „a.s.b. 01“, das links und rechts von Essers Postkartenmotiven aus „SaintMalo“ gerahmt wird, kühn: kühles Konzept trifft auf malerische Romantik. Verbindend ist lediglich das jeweilige Großformat und dass sich beide Fotografen alter Vorlagen bedienten. Inmitten der traditionellen Architekturfotografie von Mehrfamilienwohnhäusern Mies van der Rohes hat Ruff den Schriftzug „Afrikanische Straße Berlin-Wedding“ montiert, den eine Starfighter-Staffel überfliegt. Esser umwirbt die französische Atlantikküste mit fast haptischem Duktus. Durch die Überdimensionalität glaubt man den Pinselstrich der vor dem ersten Weltkrieg kolorierten Postkarte greifen zu können. Plötzlich wirken beide Aufnahmen nicht mehr romantisch, sondern konzeptuell. Und des Sammlers kurioses Trio wird sinnstiftend.

Fotografiesammlung Arthur de Ganay, Köpenicker Straße 10A. Nächste Führung: Sonnabend, 1. September, 14 Uhr, Anmeldung: info@collectionarthurdeganay.com. Die nächste Ausstellung wird am 15.9. um 18 Uhr eröffnet.

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