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Stan Douglas Havanna

© Promo

Stan Douglas: Tücke des Perfekten

Eine opulente Stuttgarter Doppelausstellung feiert den amerikanischen Videokünstler Stan Douglas. Der Titel"„Past Imperfect“ erweist sich als inhaltliches, formales und konzeptuelles Fundament.

Es ist eine wahre Tour de Force, die der Württembergische Kunstverein und die Staatsgalerie Stuttgart da gestemmt haben. Tage und Wochen müsste man in den beiden Ausstellungshäusern zubringen, wollte man die derzeitige Werkschau von Stan Douglas in ihrer gesamten Länge erleben. In den USA würde man eine solche Ausstellung als „Mid Career Retrospective“ bezeichnen, als Werkschau eines Mittvierzigers, von dem noch einiges zu erwarten ist. Zumindest wird man Stan Douglas spätestens mit dem Stuttgarter Doppelschlag bescheinigen, dass seine Arbeiten aus den letzten 20 Jahren nachhaltig beeindrucken – und noch viele kunsthistorische Exegeten beschäftigen werden.

Der Titel „Past Imperfect“ erweist sich als inhaltliches, formales und konzeptuelles Fundament, auf dem die Arbeiten des Kanadiers aufbauen. Das gilt schon für Douglas’ erste Filminstallation von 1986. „Overture“ ist eine dreifach verschränkte Hommage an die historischen Anfänge des modernen Zeitalters: Zu sehen sind Filmaufnahmen der Edison Film Company aus den Jahren 1899 und 1901, die während einer Zugfahrt durch die Rocky Mountains entstanden. Den Stummfilm unterlegt Douglas mit gesprochenen Auszügen aus Marcel Prousts Lebens-Opus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Innere und äußere Zustände korrespondieren und driften auseinander, das historisch Neue von Ingenieurleistungen und bewegten Bildern ist selbst in der filmischen Erinnerung brüchig geworden. Denn jedes Mal, wenn Zug und Kamera in einen der zahlreichen Tunnel einfahren, setzt Prousts literarische Suche nach der verlorenen Zeit aus.

Stan Douglas’ wiederkehrender Bezug auf literarische und filmische Quellen ist dort am überzeugendsten, wo sie als historische Referenz unmittelbar in die Gegenwart hineinwirken. Entscheidend ist dabei, dass der Künstler nicht einfach nur Romanstoffe verfilmt oder adaptiert, sondern sie klug in eine filmisch-künstlerische Form bringt. Auf diese Weise verlegt Douglas’ Filminstallation „Der Sandmann“ E.T.A Hoffmanns Novelle von 1817 in eine Jetztzeit, deren Kulissen er in den Babelsberger Ufa-Studios gleich zwei Mal baut. Zunächst ist da ein DDR-Schrebergarten der siebziger Jahre; und dann derselbe Schrebergarten, wie er zwanzig Jahre später ausgesehen haben könnte. Auf einer geteilten Projektion tastet der rotierende Kameraschwenk die beiden Szenerien in gleich langsamer Geschwindigkeit ab. Nur scheinbar finden die filmischen Doppelgänger zu einem Bild zusammen.

Mit traumwandlerischem Vergnügen streut Stan Douglas dem Betrachter immer wieder Sand in die Augen. Sand, der jedoch nicht das Einschlafen, sondern die ästhetische Wachsamkeit fördert – wenn etwa in „Nu.tka“ (1996) Bild und Ton auseinanderdriften und wieder zueinander finden; oder wenn in „Journey into Fear“ (2001) die Dialogvariationen eines konzentrierten Kammerspiels auf insgesamt 157 Stunden anschwellen. Dabei sind die perfekten Inszenierungen – und auch die perfekt installierten Arbeiten in beiden Ausstellungshäusern – eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen dieses konzeptuellen Tiefgangs. Seine Fotografien haben es dagegen schwer, weil sie fast zu perfekt erscheinen. In seinen filmischen Arbeiten hat Douglas – und auch der Betrachter – weit mehr Raum und Möglichkeiten, um von der Bildoberfläche in tiefere Schichten vordringen zu können.

Das wird besonders augenscheinlich, wenn man die Filminstallation „Le Détroit“ (1999) und die Fotografien aus Detroit anschaut, die zur gleichen Zeit entstanden sind. Die Fotos aus der zunehmend verödenden „Motor City“ sind fein, aber sie lassen das Hinter- und Untergründige vermissen. In der Filminstallation dagegen schildert Douglas einen großartig beklemmenden Plot, der in der Mitte des mächtigen Kuppelsaals im Württembergischen Kunstverein buchstäblich schwebt. Dort hängt eine halb transparente Projektionsfläche, auf dessen einer Seite der Film als Positiv, auf der anderen als Negativ läuft. Die nächtliche Spurensuche in einem verlassenen Haus, von der hier erzählt wird, gerät in der Überlagerung beider Bilder geradezu plastisch.

In solchen Momenten legt Stan Douglas’ inhaltliche, formale und konzeptuelle Spurensuche Schichten frei, in die nur wenige zeitgenössische Videokünstler vordringen. Das ist großartig, schön, unheimlich und manchmal auch anstrengend. Aber selbst die Videoarbeit „Win, Place or Show“ von 1998 mit ihren 204 023 Variationen von je sechs Minuten ist weniger der faktischen Überforderung geschuldet, als dass sie das Misstrauen gegenüber dem Gesehenen stärkt. Insofern gilt: Man muss das von Stan Douglas Gezeigte nicht in seiner gesamten Länge durchhalten, aber viel Aufmerksamkeit mitbringen. Verpassen sollte man es auf keinen Fall.

Württembergischer Kunstverein und Staatsgalerie Stuttgart, bis 6. Januar.

Ralf Christofori

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