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Wien: "Trouble in Paradise" - eine "Zooinstalation"

Für Dickhäuter: "Trouble in Paradise", eine Kunstaktion im Wiener Tierpark Schönbrunn soll gesellschaftliche Sachverhalte sichtbar machen.

Es ist eine Aufnahme, wie geschaffen für ein Boulevardblatt wie die britische „Sun“. Auf dem Bild ist ein Nashorn zu sehen, ein Tümpel, ein Auto. Das Nashorn wirkt irritiert, aber auch freudig erregt, jedenfalls hat es sich dem Auto von hinten genähert, die vorderen Füße liegen auf dem Kofferraum, der mächtige Rest des Dickhäuters ist nicht zu sehen, aber zu erahnen – jedenfalls für die „Sun“: „Rhino in zoo has crush on old car“ ist unter der Aufnahme zu lesen, und weil die humorigen Briten „crush“ sagen, wenn Liebesgelüste gemeint sind, fand sich das Foto sogar auf der Titelseite. Auf das Cover eines britischen Revolverblatts gelangt Kunst sonst eher selten.

„Trouble in Paradise“ nennt sich das Projekt des österreichischen Künstlergespanns Steinbrener/Dempf. Und weil es an einem Ort stattfindet, der touristisch ähnlich stark frequentiert ist wie der Stefansplatz oder die Hofburg, hat es jede Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im Tiergarten Schönbrunn, den jährlich mehr als 2,5 Millionen Menschen besuchen, haben die beiden Künstler sechs Installationen errichtet, die dort bis Oktober zu sehen sind. Da wurde nicht nur ein Auto im Nashorngehege versenkt, durch die Freifläche der Bisons ziehen sich außerdem Eisenbahnschienen, und im Elefantenpark steht eine Almhütte, die mit Kunstschnee bedeckt ist. Die Pinguine nennen einen Ölbohrturm ihr Eigen, ein Ölfass ist im Aquarienhaus versenkt. Und im Terrarium der Krokodile steht eine scheinbar achtlos entsorgte Badewanne.

Es geht ihnen um „die Sichtbarmachung gesellschaftlicher Sachverhalte“, sagen die Künstler. Das ist reichlich allgemein gehalten, funktioniert aber trotzdem recht gut. Eine nicht übertrieben komplexe Botschaft (Umweltverschmutzung, Klimakatastrophe, menschliche Eingriffe in funktionierende Ökosysteme) wird einem Massenpublikum vorgeführt, leicht fasslich erzählt und dazu mit Texttafeln versehen, so dass selbst am Animalischen eher desinteressierte Eltern beim Tiergarten-Rundgang zwischen Eis und Cola mit den Kindern etwas zu besprechen haben. Obendrein entstehen ziemlich spektakuläre Bilder – die noch in Großbritannien Furore machen.

Die Installationen funktionieren aber auch auf einigen anderen Ebenen – wie die zweite Vokabel des Projekttitels verrät. Denn während die globalen Probleme dem Besucher bei „Trouble von Paradise“ überdeutlich vor Augen geführt werden, ist die Sache mit dem Paradies schon schwieriger. Wo und was ist es nun eigentlich?

Selbst das beste Freigehege hat für ein Tier noch immer den Nachteil, ein Gehege zu sein. Andererseits gibt es im Zoo tägliche Fütterungen nach festen Zeiten und keine natürlichen Feinde, was das Leben deutlich angenehmer macht. Macht so ein Susi-Sorglos-Paket das Tierleben trotz begrenztem Auslauf also zum paradiesischen Zustand?

Und wie verhält es sich beim Tiergarten-Flaneur? Ein Zoo ist, ähnlich wie ein Stadtpark, die wohl künstlich-kitschigste Möglichkeit, mit der Natur in Berührung zu kommen. Gerade der Tiergarten Schönbrunn, der im vergangenen Jahr von einer Fachjury zum „besten Zoo Europas“ gewählt wurde, ist eine spektakuläre Gesamtinstallation mit Wasserfällen, Affenfelsen und Höhlenlandschaften, enorm aufwendig, enorm dicht – und von Disneyland nur dadurch unterscheidbar, dass es kein Plastikspielzeug spielt. Ist Schönbrunn das Paradies? Hätten wir die Natur gern derart zugerichtet, in zehn Minuten von der Innenstadt aus erreichbar und für jeden unkompliziert zugänglich, der 14 Euro für die Tageskarte zu zahlen bereit ist?

Christoph Steinbrener und Rainer Dempf spielen oft mit der Ironie und der Provokation. Auf den ersten Blick erscheinen ihre Arbeiten fast aufdringlich simpel, auf den zweiten Blick geben sie ganz schön zu denken. Vor ihrer Arbeit im Zoo hatten die beiden Österreicher ihre Installation „Jesuitenkosmos“ in der Wiener Jesuitenkirche gezeigt und dafür die Decke der alten Kirche mit einer 600 Quadratmeter großen Fotografie abgedeckt. Wer von der Kirchenbank aus nach oben sah, blickte auf einen wunderbaren blauen Himmel. Doch nach einer Weile erkannte der Betrachter, dass er eigentlich auf das Weltall aus der Perspektive der internationalen Raumstation ISS schaute – also auf der Erde sitzend wieder auf die Erde zurücksah. Also: Auf was konzentrieren sich die Jesuiten jetzt eigentlich: auf Gott den allmächtigen Vater? Oder doch eher auf die irdischen Güter?

Ähnlich funktioniert „Trouble in Paradise“. Wer vor den sechs Gehegen stehen bleibt, die das Künstler-Duo bearbeitet hat, stellt ziemlich rasch fest, dass die Installationen über die Zäune hinausgreifen und die Besucher miteinbeziehen. „Mit der heilen Welt ist nicht der Zoo allein gemeint, sondern die gesamte Natur, die man sich gerne als heile Welt vorstellt“, sagt Dagmar Schratter, die Zoo-Direktorin in Schönbrunn. „Wir suchen nach Möglichkeiten, Aufklärung zu betreiben, und zwar ohne den erhobenen Zeigefinger und ohne belehrend zu wirken.“ Natur und Zivilisation, eine gefährliche Liaison.

Kurioserweise funktioniert das mit der Aufklärung nur bedingt. Die Intervention im Elefantengehege – eine alpenländische Holzhütte, die mit Kunstschnee bedeckt ist –, wird von den wenigsten Besuchern überhaupt als Besonderheit wahrgenommen: Ein Holzhaus mit Schnee bei den Elefanten aus der südlichen Hemisphäre, das passt nicht, fällt aber trotzdem kaum auf. Ähnlich das Areal der Pinguine. Der Bohrturm samt Pumpe ist unübersehbar; viele Besucher, sagt Christoph Steinbrener, empfinden ihn dennoch nicht als Störung: „Die denken, der gehört dahin.“

Anders verhält es sich mit dem Auto im Nilpferdgehege, der Badewanne bei den Krokodilen oder dem Ölfass im Aquarium. Diese Arbeiten fallen auf, und sie werden von den Besuchern kontrovers diskutiert – als künstlerische Hinweise auf die Umweltverschmutzung. Immer wieder, so die Veranstalter, kommt es vor, dass sich Besucher darüber beschweren. Im Wiener Internet-Forum finden sich entsprechende Einträge. „Ich wollte eigentlich mit meinen Kindern einen schönen Tag haben und nicht wieder über die Umwelt nachdenken“, heißt es darin. Ein anderer schreibt: „Ich wollte mich erholen, darum bin ich ja in den Zoo gegangen. Darum stört mich das massiv.“

Kunst als Störmanöver, das ist nicht neu. Der Pinguin im Verbund mit der Energieversorgung der Zukunft schon. Bei „Trouble in Paradise“ besteht die Kunst darin, dass zusammenkommt, was ohnehin zusammengehört, aber viele lieber nicht vereint sehen wollen.

Steinbrener/Dempf: Trouble in Paradise. Skulpturen in den Gehegen des Tiergartens Schönbrunn in Wien, bis 18. Oktober. Informationen und Öffnungszeiten: www.zoovienna.at

Markus Huber

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