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Der Londoner Kunsthändler Larry Gagosian ersteigerte bei Christie’s das Gemälde "Gasthof" (2002/04) von Peter Doig für 9,9 Millionen Pfund (12,4 Millionen Euro)

© Christie's

Zeitgenossen-Auktionen in London: Ende einer Epoche

Albert Oehlen, David Ostrowski, Adrian Ghenie: Der internationale Kunstmarkt hat neue Lieblinge. Sie werden auf den Auktionen von Christie's und Sotheby's in London teuer gehandelt

Am Morgen schwärmte Christie’s-Chefmanager Steve Murphy beim Pressefrühstück von der globalen Reichweite der Kunstbegeisterung. „Dies ist der große Moment der Kunst in der Geschichte, so wie es die sechziger Jahre für die Musik waren“. Am Abend sah man in den Auktionen, wohin das führt. Anders als damals für Massen neuer Plattensammler kommt einen heute die Begeisterung für Kunst teuer zu stehen. Grund dafür ist für Murphy die emotionale Verbindung zum Original: Sie sei noch nie so wichtig gewesen wie im Zeitalter digitaler Bilderflut.

Also drängten sich die Bieter wieder im voll gepackten Auktionssaal von Christie’s und an den Telefonen. „Es gibt jetzt Warteschlangen für Bieter“, berichtet die Londoner Beraterin für Contemporary Art, Constanze Kubern. 190 Bieter gaben bei Christie’s Gebote für die 75 Lose ab, die Käufer kamen aus 28 Ländern. In den vier Auktionshäusern lagen die Umsätze mit über 225 Millionen Pfund (284 Millionen Euro) ganze 13 Prozent über dem Vorjahr. Die Preise stiegen für junge neue und alte etablierte, vor allem solche aus Europa. Denn das Urteil der Marktteilnehmer war nicht, dass alles zu teuer ist, sondern viele Werke der europäischen Kunst im Vergleich zu den superteuren Amerikanern noch günstig sind und Luft nach oben haben. Wieder einmal wurden diejenigen enttäuscht, die den Kunstmarkt als irrationale Blase sehen, die platzen muss. Oder erst recht bestätigt.

11,5 Millionen Pfund pro Quadratzentimeter Kunst

Über allem schwebte, wie es nun die Regel ist, Francis Bacon. Diesmal nicht mit einem 140-Millionen-Dollar-Triptychon auf zwei Meter hohen Leinwänden wie im Mai in New York. Das kleine Triptychon mit den Porträtstudien von Bacons Lover George Dyer war als ein Bild gerahmt und konnte bequem von einer Person getragen werden. Mit 26,7 Millionen Pfund bei Sotheby’s, per Qudratzentimeter 8351 Pfund, viel teurer als das New Yorker Großformat. Bei Christie’s war aus dem Nachlass des Kinderautors Roald Dahl eine kleine, brillante „Studie für ein Porträt Lucien Freuds“ eingeliefert, die Dahl einmal für 2700 Pfund gekauft hatte. Mit 11,5 Millionen Pfund wurde der Quadratzentimeter Preis noch einmal gesteigert.

Für Peter Doig gab es gleich zwei Rekorde hintereinander. Erst kam Sotheby’s mit „Country Rock (Wing Mirror)“, das Bild eines von Hippies bemalten Tunneleingangs in Toronto, mit einem Rekordpreis von 8,5 Millionen Pfund. 24 Stunden später schwappte bei Christie’s die Begeisterung für das träumerische „Gasthof“ über, ein Selbstporträt des Künstlers mit einem Freund im Petruschka-Kostüm – die beiden arbeiteten als Statisten in der Londoner Nationaloper. Angesetzt mit nur drei bis fünf Millionen Pfund, stieg es dank des New Yorker Stargaleristen Larry Gagosian auf 9,9 Millionen Pfund. Unterbieter war Christie’s neue, als Glamour Girl des Kunstmarkts gefeierte Asiendirektorin Xin Li für einen asiatischen Bieter.

Vor allem junge Maler erzielen verblüffende Preise

Überhaupt, was die Asiaten nun so kaufen: Xin, ein ehemaliges Model, bot für ihre Kunden Rekordpreise etwa für ein Spiegelbild von Michelangelo Pistoletto (2,3 Mio. Pfund), ein Werk von Dubuffet (4 Mio. Pfund), ein Bild von Keith Haring (1,5 Mio. Pfund) und anderes. Chinesische Kunst ist aus westlichen Auktionen praktisch verschwunden, dafür kaufen chinesische Sammler mehr Westkunst als je. In der Vorwoche wurde das Superlos der Woche, Claude Monets Seerosenbild von 1906, in einem Bietgefecht zwischen einem Asiaten und einem Amerikaner auf 32 Millionen Pfund hochgetrieben.

In Doigs Schlepptau wurden in den Contemporary-Auktionen dann malerische Malerbilder von Schülern und Geistesgenossen platziert: Bei Sotheby’s stieg „Fake Rothko“ von Adrian Ghenie auf die dreifache Schätzung von 1,65 Millionen Pfund – für einen Maler, von dem vor gerade drei Jahren das erste Bild versteigert wurde. Christie’s rief direkt nach Doig „Afrosheen“ von dessen Schüler Hurvin Anderson aus – auf 300 000 bis 400 000 Pfund geschätzt und nach wildem Bieten auf 1,3 Millionen Pfund gesteigert.

Der Düsseldorfer Kunstprofessor Albert Oehlen hat ein solches Preisniveau noch nicht erreicht, er und deutsche Sammler, die Bilder von ihm besitzen, können sich aber über eine Aufwertung freuen: Drei wichtige Leinwände aus einer Sammlung brachten Spitzenpreise, darunter das Selbstporträt „Frühstück Now“ den Rekordpreis von 1,1 Millionen Pfund. Rasanter als bei Oehlen scheint es bei seinem Schüler David Ostrowski zu gehen, dem neuen Liebling der Spekulanten und flipper. Vor zwei Jahren kosteten die Bilder des Kölner Malers noch um 20 000 Euro, nun wurde bei Phillips ein Rekordpreis von 170 000 Pfund, umgerechnet etwa 213 000 Euro bezahlt. Auch Sotheby’s und Christie’s waren auf den Ostrowski-Zug gesprungen – Werke, die mit 30 000 bis 40 000 Pfund angesetzt waren, verdreifachten ihre Schätzung. Wieder sind diese hohen Auktionspreise die Folge einer Mischung aus Hype und künstlich verknapptem Galerienachschub. Die Bilder werden an ausgewählte Sammler der Galerien platziert, oft mit Nebenbedingungen – etwa, wie ein Handelsinsider bei der Christie’s-Auktion ausplauderte, dass Interessenten aufgefordert werden, ein zweites Bild abzunehmen und einem Museum zu schenken.

Fast historischen Tiefgang hatte so gesehen das Ausnahmelos der Woche: Tracey Emins (ungemachtes) Bett, von der Künstlerin selbst liebevoll bei Christie’s installiert. Sie sei gerührt gewesen, als sie alles ausgepackt habe, den schmutzigen Schlüpfer, das Präservativ, die Wodkaflasche, die Pillenschachteln, das kleine Kuscheltier – Zeugen einer viertägigen Liebeskrise im Bett ihrer Sozialwohnung in Waterloo im Jahre 1998. Als sie das Bett dann verließ, erkannte Tracey Emin offenbar schlagartig, dass es ein Kunstwerk, ein Selbstporträt war, zeigte es in ihrer Turner-Ausstellung und verkaufte es dann für 150 000 Pfund an Charles Saatchi. Nun wurde es vom Galeristen Jay Jopling mit 2,5 Millionen Pfund bewertet. „Wunderbar“, sagte Tracey Emin, die gekommen war, um die Auktion mit dem Handy zu filmen. „Jetzt geht eine Epoche zu Ende“.

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