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Naturgewalt versus Idylle. Die Wahlberlinerin Laura Bruce stammt aus dem amerikanischen Bible Belt, Stammland der Trump-Wähler. Auf Schloss Lieberose zeigt sie Landschaftskompositionen, die von Konflikt und Balance berichten.

© Jan Brockhaus

Ausstellungsprojekt Rohkunstbau: Achten Sie auf den Spalt

Die Ausstellung Rohkunstbau kombiniert alte Schlösser mit aktueller Kunst. Diese Saison zeigt das Projekt eine Schau auf Schloss Lieberose, die von den alarmierenden Rissen in der Gesellschaft zeugt.

Alte Schlösser mit aktueller Kunst zu kombinieren: Das ist seit mehr als zwei Jahrzehnten das Rezept des Ausstellungsprojekts Rohkunstbau. Jedes Jahr im Sommer wird ein ehemaliger Adels- oder Gutsherrensitz in der Mark Brandenburg für zwei Monate mit Werken von internationalen Künstlern bespielt, in diesem Jahr ist es das Schloss Lieberose im Landkreis Dahme-Spreewald. Bereits zum zweiten Mal kehrt Rohkunstbau-Initiator Arvid Boellert dort ein. Boellert, von Beruf Mediziner und selbst ein gebürtiger Brandenburger, initiiert die Landpartie seit 26 Jahren an unterschiedlichen Schauplätzen, ob in Marquardt, Sacrow oder Roskow im Havelland. Immer wieder gelingt es ihm, unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung, die ungewöhnliche Ausstellung auf die Beine zu stellen, auch wenn es in jedem Jahr ein Vabanquespiel ist, die notwendigen Gelder zusammenzubekommen.

In diesem Jahr hat der langjährige Kurator Mark Gisbourne, ein Brite, der in Berlin lebt, elf Künstler ausgewählt und sie auf das Thema „Achtung – Mind the Gap“ angesetzt. Die Warnansage, wie man sie aus U-Bahnhöfen kennt, spielt auf gesellschaftliche Bruchstellen an, auf den Brexit und ideologische Spaltungen in Europa genauso wie auf die Diskrepanz zwischen Stadt und Land.

Unendlicher Loop aus Drohen und Erschrecken

Von Berlin aus fährt man gut anderthalb Stunden nach Lieberose, ein Dorf, in dem es außer einem Bäcker, einer Pension und dem Schloss nicht viel gibt. Die Diskrepanz zwischen Stadt und Land ist augenscheinlich. Schon schwieriger ist es um die „Gaps“ bestellt, die Risse in der Gesellschaft, die Abstände zwischen Nationen, Menschen und Denkweisen. Grade der Blick der Frauen auf diese oft schwer zu benennenden Klüfte, ihr Umgang mit Unsicherheiten und Pluralität, interessiert Gisbourne. In der ehemaligen Schlossküche im Erdgeschoss ist ein Film und eine große Fotoinstallation der polnischen Künstlerin Zofia Kulik zu sehen. Kulik, mittlerweile 70 Jahre alt, hat darin, entgegen ihren sonst oft ornamental angeordneten Fotomosaiken, Hunderte von abfotografierten TV-Bildern nebeneinander arrangiert. Welche Folgen hat es, fragt Kulik, wenn der passive Medienkonsum das Einzige ist, was Menschen in einem Land noch verbindet?

Polens tief gespaltene Gesellschaft findet in Lieberose, im deutsch-polnischen Grenzgebiet, ebenso Resonanz wie die kulturellen Wurzeln der türkisch-kurdischen Künstlerin Nilbar Güres. In einer Kammer neben der Küche zeigt Güres ein kleines Video mit großer Wirkung. Zwei Kinder, verkleidet als Wolf (der Junge) und als Schaf (das Mädchen), spielen einen unendlichen Loop aus Drohen und Erschrecken. Der Wolf macht „Whuaaa“, das Schaf macht „Mäh“. Und obwohl der Junge zwischendurch die Maske hochschiebt, bleibt er doch in seiner Rolle.

Güres’ ironisches Spiel mit Geschlechterkonventionen setzt sich im ersten Obergeschoss fort. In einem Raum mit prunkvoller Stuckdecke zeigt sie zwei Fotografien, die mit queeren Identitäten spielen. Güres interessiert sich sehr für individuelle Ausdrucksmöglichkeiten und die dazugehörigen Exit-Strategien. Das Geschlecht als Kontinuum zu akzeptieren, mit männlichen und weiblichen Anteilen in jedem von uns, könnte ein Rezept sein, um die konventionelle Hierarchie zwischen Männern und Frauen aufzubrechen. Gerade Kunstwerke, die den Respekt für das Anderssein propagieren, entfalten in dieser ländlichen, auch von Rechtspopulisten bevölkerten Umgebung eine starke Wirkung. Die alten Gemäuer schließen die Vergangenheit wie in einer Zeitkapsel ein, dazu gehören Konventionen und Krieg genauso wie Courage. In Schloss residierte bis in die 1940er Jahre das Geschlecht der von der Schulenburgs, zwei Mitglieder waren am Attentat vom 20. Juli beteiligt und wurden von den Nazis hingerichtet.

Die australisch-britische Künstlerin Kate McMillan beschäftigt sich direkt mit den verschütteten Erinnerungen. In ihrem Film schickt sie zwei Frauen, eine weiß und alt, die andere jung und schwarz, durch den Keller und die oberen Stockwerke des Schlosses und lässt sie unerklärliche Rituale mit britischen „Hagstones“ vollziehen. Das gemeinsame Sortieren und Bearbeiten der Erinnerungen soll als Weg in eine bessere Zukunft verstanden werden.

Gisbourne, der die Ausstellung seit mehr als 20 Jahren kuratiert, setzt auf Abwechslung bei der Auswahl der Künstler. In der ländlichen Idylle waren in den vergangenen Jahren so bekannte Namen wie Gerhard Richter, Thomas Demand und Karin Sander zu sehen, junge Aufsteiger aus Berliner ebenso wie Positionen, die man in Deutschland bisher kaum kennt. Dazu gehört die junge Londoner Bildhauerin Holly Hendry, die zwei exzellente Skulpturen in den Ballsaal des Hauses gesetzt hat, unter anderem eine geschwungene Stange, die an eine menschliche Figur erinnert – mit merkwürdigen Bissspuren im abstrahierten Körper. Die Lücken haben hier ein interessante Funktion: Sie verbinden Innen und Außen.

Eröffnung am Samstag, 30. Juni, 15 Uhr. Bis 9. September, Schloss Lieberose

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