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Opernstimme. Katie Stelmanis.

© Domino

Austra: Schlaflos in Toronto

Die kanadische Elektropop-Band Austra bringt mit „Olympia“ ihr zweites Album heraus. Es orientiert sich stärker in Richtung House und Disco als der Vorgänger. Ein Treffen mit Sängerin Katie Stelmanis vor dem Berliner Konzert.

„Don’t wanna loooose you / Don’t wanna loooose“, fleht die Stimme. Dann springt sie stakkatoartig von oben nach unten und hört sich wie ein altes Keyboard an. „Lose It“ hieß dieser Ohrwurm der kanadischen Band Austra. Er lief 2011 auf jeder Radiostation und auf jeder Indieparty. Das dazugehörige Album „Feel It Break“ war für viele sogar die Platte des Jahres. Am heutigen Freitag erscheint mit „Olympia“ der Nachfolger.

Katie Stelmanis, Sängerin und Kopf von Austra, sitzt im Berliner Büro ihres Plattenlabels. Ihr Gesicht sieht eilig geschminkt aus, die Haare sind frisch blondiert. Es ist das erste Interview an diesem Morgen. Hinter Stelmanis liegt ein turbulentes Wochenende mit Freundinnen. So stellt man sich das Leben einer jungen, erfolgreichen Musikerin vor. Doch dann sagt Stelmanis Sätze wie: „Wir sind älter geworden und müssen der Realität ins Auge blicken: Vielleicht geht es nicht nur darum, die ganze Zeit Spaß zu haben? Das ist schwer. Auch davon handelt das Album.“

Seltsam naiv klingt das. Aber es scheint ein schwieriger Spagat für die 27-jährige Sängerin zu sein: nicht banal zu wirken und gleichzeitig nicht das gesamte Gefühlsleben auf den Tisch zu packen. Stelmanis windet sich um die Nachfrage, was sie denn genau damit meine, behält das Kaffeeglas in der Hand und schaut immer mal wieder hinein. „Nach den zwei Jahren auf Tour hatte ich den Kontakt zur Realität verloren. Ich habe die Leute nicht so gut behandelt, wie ich es hätte tun sollen.“

Fast ununterbrochen waren Austra mit dem Debütalbum auf Tournee, sie reisten manchmal innerhalb von 24 Stunden an drei verschiedene Orte. Zudem managte Katie Stelmanis ihre Band damals auch noch selbst. „Es fühlte sich an, als hätte ich die kreative Seite des Musikmachens vollkommen verloren. Nach der Tour habe ich mir eine Pause genommen, in einer Wohnung ohne Internet und ohne Telefon gelebt.“ Das Reisen habe sie krank gemacht, das Leben habe sich bodenlos angefühlt. Erst nach dieser Auszeit konnte sie neue Songs schreiben.

Der melancholische Elektropop von „Feel It Break“ passte in eine Zeit, in der viele Bands sich in eine düstere, von Gothic und New Wave beeinflusste Richtung orientierten. Wegen Songs wie „Beat And The Pulse“ wurden Austra dem aufkommenden Witch House à la Zola Jesus zugerechnet. Dass das nicht ihr Genre ist, machen Austra jetzt mit „Olympia“ deutlich. Darin steckt viel Disco, etwas House und ein wenig Dreampop. Die Texte sind direkter geworden, erzählen konkrete Geschichten. In „Home“, der ersten Singleauskopplung, singt Stelmanis mit ihrer für die Oper ausgebildeten Stimme: „You know that it hurts me when / you don’t come home at night / My body can’t rest unless / you’re sleeping by my side.“ Das mit rhythmischen Klavierakkorden beginnende Stück entwickelt sich zu einem sehnsüchtigen House-Track. Im Hintergrund singen die Schwestern Sari und Romy Lightman, die nun fest zur Band gehören. „Wir sind auf der Tour sehr zusammengewachsen, so dass Austra jetzt nicht mehr nur drei Leute sind, sondern sechs“, sagt Stelmanis.

Sari Lightman hat Stelmanis beim Texten unterstützt und bringt schon mal handfeste Patriarchatskritik ein. „I Don’t Care (I’m A Man)“ handelt von häuslicher Gewalt. Es gehört zu den wenigen Songs, die die Härte des Textes auch auf die Musik übertragen. Sonst bleibt die Band aus Toronto beim gewohnten Prinzip: düstere Texte zu treibenden Beats. „Ich mag diesen Gegensatz, weil sowohl das Helle als auch das Dunkle durch den Kontrast stärker werden. Und weil so ein Album entsteht, das man zu Hause hören oder wozu man im Club tanzen kann.“

Tanzbar ist „Olympia“ auf jeden Fall. Von Songs wie „Forgive Me“ geht eine unbeschwerte Fröhlichkeit aus, eine sommerlich-freundliche Stimmung überwiegt auch auf den restlichen elf Liedern. Gelegentlich vermisst man allerdings die Schwere und Kraft die Stücke wie „Beat And The Pulse“ vom letzten Album allein mittels eines depressiv-stampfenden Beats entfalteten – ganz ohne verspielte Elektrosounds.

Der Albumtitel hat übrigens nichts mit griechischen Göttern zu tun, auch nicht mit sportlichen Wettkämpfen oder der amerikanischen Stadt, in der die Riot-Grrrl-Bewegung begann. So nahe das auch liegen würde bei der offen queeren Band und ihrer lesbischen Sängerin. Tatsächlich kam es so: „Wir haben unser Album in einem Studio in Michigan aufgenommen, das einem Pärchen gehört. In der Zeit, in der wir da waren, bekamen sie ein Kind – und nannten es Olympia.“ Sieht man darin nicht nur die etwas abgegriffene Analogie vom Albumaufnehmen als Gebärprozess, sondern auch eine Reise vom Dunklen ins Helle, passt es doch sehr gut zu Austra.

„Olympia“ erscheint bei Domino. Konzert: 14. Juni, Lido (ausverkauft)

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