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Autorenfestival: "Unsere Soldaten lieben Kätzchen"

Beim internationalen Autorenfestival an der Schaubühne werden Phrasendrescher radikal entlarvt.

Bevor alles anfängt, tritt erst mal der Niels an die Rampe und entschuldigt sich. Und weil er ein echter Betroffenheitsprofi ist, braucht er dafür gefühlte drei Stunden. Denn die Liste der Adressaten ist lang. Zuerst entschuldigt sich der Niels „im Namen des deutschen Volkes“ für den Holocaust: „Es tut mir leid“, intoniert er mit Ergriffenheitstimbre, senkt den Kopf und müsste so, wie er dabei aussieht, eigentlich noch ein tief empfundenes „sorry“ anhängen. Da sind aber schon die Türken an der Reihe: „Entschuldigung für die Asylbewerberheime, die Anfang der 90er Jahre in Brand gesteckt wurden. Die Regierung damals hat ja 500 000 Ausländer pro Jahr ins Land gelassen, und die Deutschen haben das einfach nicht verkraftet, das war zu viel.“ Schließlich folgt eine Grußadresse für „die Bürger aus dem Osten“: Es tue ihm „wirklich leid“, legt der Niels die Stirn in Sorgenfalten, dass heute Abend – „bitte nicht erschrecken“ – so viel Englisch gesprochen wird. „Wir haben extra Übertitel für Sie gemacht. Ich hoffe nur, es ist nicht zu schnell.“

Besser als der Schauspieler Niels Bormann in dieser hochnotpeinlichen Entschuldigungssuada könnte man tatsächlich kaum vorführen, wie locker die Ressentiments unter dem politisch korrekten Mäntelchen sitzen und wie unfassbar beiläufig den Gedenk- und Entschuldigungseiferern ein hanebüchenes Klischee nach dem anderen unterläuft.

Nach dieser im besten Sinne provozierenden Methode verfährt der ganze Abend, den die israelische Autorin Yael Ronen im Rahmen des internationalen Autorenfestivals „Digging deep and getting dirty“ an der Schaubühne zeigt: „Dritte Generation“, eine Koproduktion der Ostermeier-Bühne mit dem Habimah Theater Tel Aviv, führt mit israelischen, palästinensischen und deutschen Schauspielern der dritten Generation nach der Shoa auf offener Bühne die Auseinandersetzung um Holocaust und Nahostkonflikt, Schuld und institutionalisiertes Gedenken. Die Familiengeschichten der Darsteller dienen dabei ebenso als Material wie der kollektive Vorurteilsfundus. Klischees nämlich hauen sich Ronens Darsteller, die wie bei einer Gruppentherapie im Stuhlkreis sitzen, ohne jede Rücksicht auf Verluste um die Ohren. Kein Tabu, keine Seite und keine Befindlichkeit wird verschont – am allerwenigsten natürlich die political correctness.

So tritt nach dem deutschen Betroffenheitsprofi etwa die israelische Erinnerungsexpertin auf den Plan, die für jeden Mahn- und Gedenkanlass den passenden Song parat hat. „Unsere Soldaten lieben Kätzchen, unsere Soldaten lieben Kinder“, tremoliert die Schauspielerin Ayelet Robinson zu soften Gitarrenriffs mitten in die tagesaktuelle Empörung hinein, die israelische Soldaten mit Äußerungen über die willkürliche Tötung palästinensischer Zivilisten im Gazakrieg verursachten. Dann folgt zur gleichen Melodie die Bitte um Organisation von Gedenkstättenreisen für die Enkelgeneration: „Don’t stop sending us to Auschwitz, so Auschwitz won’t happen ever again.“

Dass das auch heftige Skepsis und Protest hervorruft, ist klar: Bei einer Vorabaufführung in Tel Aviv verließ eine ranghohe Mitarbeiterin des israelischen Außenministeriums demonstrativ die Vorstellung. In Berlin forderte der Gemeindeälteste der Jüdischen Gemeinde Berlin, Isaak Behar, die Theaterleitung in einem Offenen Brief auf, von der Aufführung abzusehen. Behar, dessen Familie im KZ ermordet wurde, protestierte dagegen, dass die Shoa und die Vertreibung der Palästinenser in Ronens Projekt auf der gleichen Ebene verhandelt würden. Er selbst hatte die als work in progress angelegte Produktion, die vom Ensemble ständig weiterentwickelt wird, allerdings nicht gesehen, sondern über Bekannte, die eine frühe Arbeitsversion im Sommer 2008 sahen, davon gehört.

Ronen hat Behar inzwischen sehr respektvoll geantwortet; und bei der Premiere in der Schaubühne gab es keinerlei Proteste. Dass sich das Projekt auf einem schmalen Grat bewegt, ist unstrittig. Doch es geht tatsächlich zuallerletzt um Relativierung. Ronen spielt so klug mit kabarettistischem Karacho Klischees und Ressentiments gegeneinander aus, bis sie hoffnungslos in sich zusammenfallen und die Wunde sichtbar wird.

Sieht man einmal davon ab, dass einige Szenen krachlederner daherkommen als nötig, wird „Dritte Generation“ dem Festivalmotto „Grabe tief und mache dich dreckig“ auf die denkbar klügste Weise gerecht. Denn hineingraben sollen sich die Stücke aus Polen, Großbritannien und Argentinien, die bis Ende der kommenden Woche noch gezeigt werden, in die schwierigen Themenkomplexe „Identität und Geschichte“.

Weniger schmerzhaft und tief als Ronen, aber durchaus intelligent und streckenweise äußerst unterhaltsam hat das zum Auftakt bereits der Argentinier Rafael Spregelburd in „Todo“ („Alles“) getan. Hier werden Szenen aus dem absurden Alltagsleben – fünf Büroangestellte wissen nicht, worin ihre Arbeit besteht und einigen sich auf Geldverbrennung, eine Patchworkfamilien-Weihnachtsgemeinschaft steuert aufgrund eigenwilliger Kunstaktionen in den Totaleklat – kurzgeschlossen mit den ganz großen biblischen, philosophischen und natürlich ökonomischen Diskursen. Leider neigt Spregelburd bisweilen zum allzu stolzen Herzeigen seiner Lesefrüchte und Metaphernkünste. Paradoxerweise gräbt er sich aber genau dort tiefer und erhellender in Identität und Geschichte hinein, wo er seine Scharfsinnigkeiten beiläufig in die Alltagssituationen hineinschmuggelt, statt sie auf dem Silbertablett aufzutafeln.

Bis 29. 3. Infos: www.schaubuehne.de

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