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Kollektivistin. Sabine Herpich, Jahrgang 1973, ist Filmemacherin und arbeitet im Kreuzberger Kino fsk.

© Deike Diening

Autorenfilmerin bei der Berlinale: Sabine Herpich porträtiert die Outsider des Kunstmarkts

Ihre liebevolle Doku „Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“ handelt von einer Spandauer Kunstwerkstatt für Menschen mit Behinderung.

Woher kommt es, dass jemand einen ganz eigenen Blick auf die Welt entwickelt – aus der Kindheitserfahrung in einer bayerischen Kleinstadt vielleicht, in der Sabine Herpich aufgewachsen ist? Aus ihrem Philosophie- und Literaturstudium? Aus dem Training der Filmmontage an der HFF Potsdam?

Es scheint paradox: Sabine Herpich macht Autorenfilme, in denen die Autorin selbst möglichst unsichtbar ist. Zugunsten der Objekte ihrer Berichterstattung, die sich in aller Poesie und Eigenart auf der Leinwand entfalten können.

Dieses Kunststück hat Herpich 2014 schon einmal vollbracht, als sie in ihrem Dokumentarfilm „Zuwandern“, über neun Monate eine rumänische Flüchtlingsfamilie begleitete, die ihren ersten Winter in einer Gartenlaube verbracht hat.

Nun steht Herpich in seltener Februarsonne vor dem fsk-Kino, in dem sie als Mitglied des Kollektivs auch arbeitet, weil Autorenfilmerinnen so selten von der Kunst allein leben können. Denn ihr Film entstand entgegen aller ökonomischen Wahrscheinlichkeit.

In „Kunst wächst aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“ porträtiert Sabine Herpich Menschen, die in der Kunstabteilung der Spandauer Mosaik-Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten. Und dies ist kein Beschäftigungsprojekt, sondern Kunstproduktion!

[Die Mosaik-Werkstätten gibt es seit 1985, zur Eröffnung kam Bürgermeister Richard von Weizsäcker. Wie viele Menschen mit Behinderungen arbeiten dort? Und für wen? Hier die Geschichte im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. 180.000 Haushalte haben unsere Newsletter schon abonniert - in voller Länge, Bezirk für Bezirk unter leute.tagesspiegel.de]

Zwischendurch sah es aus, als würde der Film scheitern, weil er keine Förderung bekam. In diesem Berlin, wo Künstler für den Grad ihrer Selbstausbeutung gelobt werden, hat Herpich dann bewiesen, mit wie kleinen Mitteln doch ein Film entstehen kann. Kamera: Sabine Herpich, Regie: Sabine Herpich, Montage: Sabine Herpich. Alles, was sie selbst machen konnte, tat sie.

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Mittendrin ging trotzdem das Geld aus. Sie konnte nicht noch mehr Zeit investieren, musste im fsk arbeiten. „Das Material habe ich nur deshalb nicht gelöscht, weil ich den Werkstätten noch Filmszenen versprochen hatte.“

Als sie das Material ein Jahr später wieder durchsah war es so gut, dass sie dachte: Doch, das ist ein Film! Um Untertitel, Tonbearbeitung und Plakatdrucke bezahlen zu können, startete sie eine Crowdfunding-Kampagne.

[29.2., 19 Uhr (Werkstattkino im Silent Green), 1.3., 10 Uhr (Arsenal Kino 1)]

Und nun ist ein auf den ersten Blick schlichter, aber in Wahrheit sensationell streng erzählter Film entstanden, in dem sich die Künstler bei der Arbeit zusehen lassen, ohne sich je zu benehmen wie auf einer Bühne. Ohne je zu posieren. Der Schlüssel dafür ist: „Zeit“, sagt Herpich. Zeit, die Herpich in der Werkstatt verbracht hat, ohne ständig zu filmen.

Herpich ist mit der Kamera dabei, wenn Suzy van Zehlendorf, die schon über zehn Jahre täglich in der Werkstatt arbeitet, düster allegorische Hühner und Hähne zeigt, von denen einer ein knieender Hitler ist.

Sie ist dabei, wenn van Zehlendorf sich in eine Tirade über die Hässlichkeit des Bode-Museums hineinsteigert, um dann – kleiner Berlin-Insider über die geklaute Goldmünze – zu verkünden: „Die Münze hat es geschafft, sich zu befreien. Die ist jetzt frei.“

„Tod und Lem“. Suzy van Zehlendorf arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Spandauer Mosaik-Werkstatt. Sie malt düster allegorische Hühner und Hähne, von denen einer wie Hitler aussieht.
„Tod und Lem“. Suzy van Zehlendorf arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Spandauer Mosaik-Werkstatt. Sie malt düster allegorische Hühner und Hähne, von denen einer wie Hitler aussieht.

© Sabine Herpich

Herpichs Kamera ist dabei, wenn die Leiterin und Gründerin der Werkstatt, Nina Pfannenstiel mit einer Künstlerin über deren Werk „Tod und Lem“ spricht. Und sie sitzt wie ein unsichtbarer Schutzengel neben dem über 80-jährigen Adolf Beutler, der langsam und konzentriert mit Buntstiften an einem seiner verdichteten Bilder schraffiert.

Beutler, der sich nicht mit Sprache verständigen kann, hatte über 40 Jahre in einer geschlossenen Anstalt zugebracht, bis sein Inneres in dieser Werkstatt plötzlich auf einem Blatt Papier sichtbar wurde. Seine Bilder erzielen auf dem Kunstmarkt die höchsten Preise.

Dass es im Film immer mal wieder „Zeit fürs Mittagessen“ ist, wie man die Betreuer sagen hört, ist einer der homöopathisch dosierten Hinweise darauf, dass die Umstände, in denen diese Künstler sind, von denen anderer Künstler abweichen. Dass die Werkstatt in Spandau seit 25 Jahren ein besonders geschützter Ort ist, an dem es Menschen möglich ist, in aller Ruhe ihr Inneres nach Außen zu kehren.

Der Film erklärt nicht, er zeigt. Herpich setzt kein einziges Mal jemanden auf einen Stuhl, um die eigene Arbeit zu erklären. Die Behinderungen der Künstler sind kein Thema.

Herpich hat keinen Erzähler, der alles einordnen würde. Erzählt nicht, dass die so genannte „Outsider Art“ längst ein eigenes Genre des Kunstmarktes geworden ist. Es gibt kein extra Interview mit Nina Pfannenstiel, in dem diese über die Lebensumstände der ihr anvertrauten Künstler reden würde.

Mit ihrem minimalinvasiven Ansatz hat Herpich „das Vertrauen darauf, dass sich die Dinge vor der Kamera selbst erklären“. Dass sich vor der Kamera Erhellendes entfaltet. „Und es passiert immer etwas“, sagt Herpich.

Herpich lässt die Wirklichkeit einfach kommen

Tatsächlich betritt im Film ein Galerist die Werkstatt, der die Bilder der Künstler ausstellen will. Er bespricht mit Nina Pfannenstiel, ob und wozu es notwendig sein könnte, in der Ausstellung die Bedingungen der Künstler zu thematisieren.

„Was interessiert, ist die Qualität der Arbeiten, nicht die Behinderung“, sagt er. Denn diese Bilder anzusehen, biete dem Betrachter neue Zugänge zu sich selbst. „Das zu ermöglichen ist die Aufgabe eines Kunstvereins.“ In der Tat. Dann werden die Rahmungen und die Preise besprochen.

Sabine Herpich lässt die Wirklichkeit einfach kommen. Ihre Gestaltung findet zu einem späteren Zeitpunkt statt, in der Montage der Szenen, auf ihrem Schneidetisch nichts als die pure Realität.

„Kunst wirkt entgiftend. Kunst kann man nicht umarmen. Kunst heißt der Hahn“, schreibt Suzy van Zehlendorf. Das darf so stehen bleiben.

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