zum Hauptinhalt
Ein Leben zwischen New York und Tel Aviv. Avishai Cohen.

© Caterina di Perri/ECM

Avishai Cohen im Gretchen: Das stille Lächeln der Trauer

Der Jazztrompeter Avishai Cohen und sein Quartett stellen im Berliner Gretchen ihr Album „Into The Silence“ vor.

Von Gregor Dotzauer

Jede Musik baut ihre eigenen Räume. Sie kleidet die Orte aus, an denen sie gespielt wird, sie misst sich mit ihnen, sie reißt sie ein. Aber man darf das Beharrungsvermögen der Mauern, innerhalb derer sie erklingt, nicht unterschätzen. Das Kreuzberger „Gretchen“ jedenfalls behauptet einen starken Eigencharakter. Ein unbestuhlter Club in den ehemaligen Stallungen eines Dragonerregiments. Ewige Dämmerung unter hohen Ziegelgewölben, Metallsäulen stehen Spalier. Im Rampenlicht kreiseln künstliche Nebel. Die ganze Atmosphäre ist auf Unklarheit gerichtet, auf nächtlichen Taumel und Auflösung von Körpergrenzen.

Und dann steht der Trompeter Avishai Cohen mit seinem Quartett auf der Bühne und errichtet eine Welt, die erst einmal vom Gegenteil lebt. Wie viel Weite, wie viel Klarheit, wie viel stolze Trauer geht von seiner Musik aus, welche besonnene Kühle strömt durch diesen dunkel dampfenden Bauch des Wals, und wie sehr explodiert die Zurückhaltung später in den Kaskaden eines unerwarteten Trompetenjubels und den pulsierenden Wirbeln von Schlagzeuger Nasheet Waits.

„Into The Silence“ heißt die fünfsätzige Suite, die er zusammen mit Yonathan Avishais solistischem Pianoepilog an diesem Abend aufführt – eigentlich eine Totenklage um seinen Vater, die nach größtmöglicher Intimität verlangt. Doch auch unter den Hunderten, die ihr hier stehend lauschen, ist es mucksmäuschenstill, nicht nur, weil vom Anlass dieser Musik nicht mehr die Rede ist, sondern weil ihre rhapsodische Schönheit jeden einfängt. Sogar mit der riesigen Spiegelkugel, die von der Decke hängt, schließt sie schnell ihren Frieden.

Als Studioalbum ist diese Komposition, mit der Cohen auf dem Münchner Label ECM als Leader debütiert, eine der herausragenden Neuerscheinungen dieses Frühjahrs. Es ist ein Werk der schlichten Themen, das seine zerbrechliche Melancholie vor allem im Ensemble (mit Tenorsaxofonist Bill McHenry als Gast) entfaltet. Die Soli und Dialoge, die sich ergeben, wiegen nicht mehr als die Farbtupfer, die jeder im Verbund beisteuert. Live kommt den improvisierten Momenten natürlich noch einmal größere Bedeutung zu. Sie stehen aber auch hier im Dienst eines Ganzen, das sich sein Material nur Abend für Abend neu zurechtlegt, um drohenden Routinen zu entgehen.

Freiheit ist alles

Avishai Cohen, 1978 in Tel Aviv geboren, ist der Trompeter der Stunde. Dabei ist er seit Jahren eine verlässliche Größe: als Teil der Three Cohens zusammen mit seinen Geschwistern, der Klarinettistin Anat Cohen und des Sopransaxofonisten Yuval Cohen. Als musikalischer Partner der Singer-Songwriterin Keren Ann, als prägende Kraft des SF Jazz Collective und vor allem als Leiter von Triveni. Das Trio mit Omer Avital am Bass und Cohens Lieblingsdrummer Nasheet Waits ist eine sehr viel mehr auf Spontaneität setzende Formation, deren jüngstes Album „Dark Nights“ (Anzic Records) übrigens auch eine Widmung an den (noch lebenden) Vater war. Der Bandname steht für Triveni Sangam, den heiligen Zusammenfluss von Ganges, Yamuna und Saraswati im indischen Allahabad. Den Karriereschub, der über die Bewunderung der nachrückenden Jazzstudenten hinausreicht, hat indes der Wechsel zu ECM bewirkt. Schon auf Mark Turners „Lathe of Heaven“ war er neben dem Tenorsaxofonisten die aufsehenerregende zweite Stimme.

Man kann über Avishai Cohen vielleicht nicht sprechen, ohne Miles Davis zu erwähnen. Besonders an der gestopften Trompete erinnert Cohens Ton manchmal an denjenigen des dark prince. Und dennoch geht es Cohen, der Davis in puncto Intonationssauberkeit quer durch sämtliche Register überlegen sein dürfte, um eine Spielhaltung, die sich weder an identifizierbaren Stilen noch an Virtuositätsmaßstäben ausrichtet. Sie hängt vielmehr am Ideal einer Freiheit, wie sie für ihn ein technisch begrenzter Trompeter wie Don Cherry verkörpert, und einer musikalischen Substanz, wie sie sich in der fröhlich machenden Traurigkeit von Billie Holiday zeigt. Es geht um den Punkt, wo man sich berührt fühlt. Cohen hat ihn mit all dem Schliff, den er am Bostoner Berklee College of Music erhielt, in seiner Musik längst wieder erreicht. Im „Gretchen“ stehen ihm dabei neben Nasheet Waits, der binnen Sekunden vom dichten time keeping auf metrische Sprengungsmaßnahmen umschalten kann, der Bassist Yoni Zelnik (als Tourbegleiter an der Stelle von Eric Revis) sowie der erwähnte Yonathan Avishai, ein Freund aus Kindheitstagen, am Flügel bei. Mal stupst er die Töne nur an wie ein kleines Kind, mal wickelt er sie duftig ein wie ein Barpianist, und mal holt er die Pranke hervor und wühlt sich durch die gesamte Tastatur, bevor er mit romantischem Gestus in den Suitenstrom zurückfindet. Als Zugabe eine heftig zerrupfte, druckvolle Fassung von Thelonious Monks „Well, You Needn’t“. Auf Avishai Cohen bezogen, lässt sich dieser Titel durch und durch programmatisch verstehen: Dieser Mann muss wirklich nichts mehr. Er darf nur noch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false