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Tanz ums Hackebeilchen. Stefanie Reinsperger (in der Titelrolle), Owen Peter Read und Kate Strong (von links) arbeiten sich durch eine Textkompilation aller vier „Baal“-Versionen von Bertolt Brecht im Bühnenbild von Regisseur Ersan Mondtag.

© dpa / Birgit Hupfeld

Baal-Premiere am Berliner Ensemble: Unser schlüpfriger Traum

Ersan Mondtag inszeniert Brechts Künstlerdrama „Baal“ im Berliner Ensemble. Dabei schlüpft eine Schauspielerin in die Berserker-Rolle.

„Wer stellt sich dem dunklen Begehren, wer lebt euren schlüpfrigen Traum?“, schmettert Stefanie Reinsperger kurz vor der Pause in einem Gesangsarrangement mit untermalender Gruppenchoreografie über die Rampe des Berliner Ensembles. Und im Parkett reibt man sich die Augen: Will sich der Regisseur des Abends, Ersan Mondtag, hier vorm Traditionspflege-BE der 1980er Jahre und dem Brecht-Museum der Peymann-Ära gleichzeitig verbeugen? Oder beides freundlich ironisieren? Man weiß es nicht genau, wie vieles an diesem Abend.

Felsenfest aber steht, von Anfang an, die Antwort auf die Frage, wer es denn nun ist, der „unsren schlüpfrigen Traum“ lebt. Nämlich unser „Stellvertreter Baal“, der für uns opportunistische Spießer ausagiert, was wir mühselig bemänteln, verdrängen und tagein, tagaus Küchentisch-freudianisch kompensieren.

In Mondtags Inszenierung spielt Stefanie Reinsperger den „bösen Baal, den asozialen“ im dunklen Anzug so, als sei diese Aufopferung tatsächlich eine ungeheure Bürde. Eigentlich ein ganz patentes Kerlchen, dieser Baal, denkt man zwischendurch immer wieder. Brechts saufende, gefräßige, gewissenlos Frauen verschleißende und sich jeder bürgerlichen Konvention widersetzende (Künstler-)Figur wird hier durchaus mal von einem Weinkrampf befallen.

Baal fühlt! Baal leidet!! Baal opfert sich!!!

Steht wiederum der seelenverwandte Freund Ekart in der Tür, springt Baal ihn mit derart fröhlich glänzenden Augen an, dass man kurzzeitig an das Lausbuben-Stück „Max und Moritz“ denkt, das ebenfalls am BE läuft – mit Reinsperger als Max. Die Pumuckl-Perücke, die Kate Strong als Ekart zum schwarz-weißen Hosenträger-Outfit kombiniert, trägt zu diesem Eindruck maßgeblich bei. Und schließlich gibt es immer wieder Momente, in denen Baal in unverstellt naivem Romantizismus an der Rampe kauert und den violetten Himmel anruft – oder anderes Spektakuläre dieser Welt, das nur er zu sehen imstande ist. Der kleinbürgerlichen Gesellschaft, die ihn dabei belästigt, haut Baal ihr Spießertum gern mal auf Wienerisch um die Ohren und wirkt auch hier eher strizzihaft- schlitzohrig als maßlos amoralisch.

„Uns war es ein Anliegen – auch durch die Besetzung mit Stefanie Reinsperger –, die menschlichen Seiten Baals, die Not, die dem Abgründigen gegenübersteht, auszuloten und damit einen komplexen Blick auf diese Figur zu werfen“, erklärt die Dramaturgin Clara Topic-Matutin im Programmheft diese überraschenden Gefühlsaufwallungen. Also: Statt „Baal frisst! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!!“, wie Brecht anfänglich als Titel für sein Stück vorgesehen hatte, eher: Baal fühlt! Baal leidet!! Baal opfert sich!!!

Und zwar ziemlich ausdauernd. Szenisch strebt der dreistündige Abend eher redundant in die Breite als komplex in die Tiefe. Ganz gleich, ob Baal in seiner Kammer gerade eine Sophie schwängert oder ob Judith Engel als fahl geschminkte moralische Instanz in der Tür steht: Gleichermaßen monoton redet sie in ihrer Doppelrolle als Baals Mutter und früher Bewunderer Johannes (dem Baal die keusche Freundin entjungfert und sie damit in den Suizid treibt) auf den Lyriker ein: jede Silbe zerdehnt zu einem qualvollen Zeugnis der Aussichtslosigkeit!

Eine Barbie-Puppe mit Penis und Teufelshörnern wird kastriert

Vier unterschiedlich akzentuierte Fassungen liegen von Brechts Frühwerk vor. Die erste stammt von 1918, die letzte von 1955. Mondtag kompiliert sie und schlägt sich von Anfang an auf die Künstlerseite. Baal sei „asozial, aber in einer asozialen Gesellschaft“, schrieb Brecht. Bei Mondtag wirkt Reinsperger in der Titelrolle wie der einzige authentische – oder besser: emotionsgebeutelte – Mensch in einer weniger asozialen als vielmehr tumben Langweilergesellschaft: maskierte Kunstfiguren, die in fett überzeichneten Ganzkörperanzügen die immer gleiche Dreischrittchoreografie tanzen und intellektuell bestenfalls imstande sind, fremde Verbalergüsse in einer Art Papageienchor nachzuplappern.

Die Anzüge – auch als Nacktversion – kennt man schon aus früheren Mondtag-Inszenierungen. Überhaupt gibt es beim Bühnenbild, das der Regisseur selbst entworfen hat, einige Wiedererkennungseffekte. Unmissverständlich klar wird dabei auch: Mondtag ist tatsächlich ein Bilderregisseur; die minuziöse Textexegese ist seine Leidenschaft eher nicht. Das Bühnenbild, das sich zu Spieluhrklängen dreht und mal den Blick auf eine rotlichtige Kneipe mit überdimensional-malerischem Flaschenregal, mal auf eine schiefe expressionistische Häuserfront freigibt, bleibt jedenfalls deutlich länger in Erinnerung als der Text, der darin transportiert wurde.

Nicht zu vergessen: die überdimensionale Barbie-Puppe mit Penis und Teufelshörnern, vor der Baal wiederholt kniet wie vor einer Ikone – bis er sie nach einigen Anläufen mit einem beherzten Sprung kastriert. Schwer zu sagen, ob und wie das alles zusammenpasst. Es scheint allerdings auch nicht die Frage zu sein, von der aus Ersan Mondtag diesen Brecht vorrangig gedacht hat.

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