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Kultur: Baal und der Wal

Romantik auf Entzug: Philipp Stölzl stemmt Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ bei den Salzburger Festspielen

Dieses Stück, mit Verlaub, ist der Wahnsinn. Ein glitzernder Rohling, ein Findling, eine Oper im Hinkelsteingewand. Und ein Gattungsmonster par excellence, überhitzt, nervös, maßlos, allzeit bereit, die Gesetze und Gebote der Bühne über den Haufen zu werfen und in anderen Gefilden zu wildern. Ein Laboratorium des Anti-Wagnerianischen Musiktheaters, ein kalter Entzug in Sachen Überwältigung durchs Immergleiche. Hier werden keine Seelenfäden gesponnen, kein Weltenwahn ergründet, hier wird nur der nächste Anlass zum Romantischsein gesucht, zur Selbstbespiegelung und Selbstbespöttelung, zur größtmöglichen, weil kunstträchtigsten Distanz. Entsprechend schnöde, unsauber, ja unlauter stößt uns Wagner-Geistern das Ganze auf. Darf große Oper so sein?

Die Rezeptionsgeschichte jedenfalls hat Hector Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ (uraufgeführt 1838 in Paris) wenig Glück beschert. Die eine oder andere konzertante Aufführung wird wohl gerühmt, auch schätzt man bis heute die Aufnahmen von Carlo Maria Giulini oder Colin Davis, spekuliert über das Französische an sich – und verklappt den widerspenstigen Rest in den Untiefen des Repertoires. Wenn die Salzburger Festspiele nun ausgerechnet mit dieser Semi-Seria, mit dieser fabulös geklitterten Geschichte über den historischen Renaissance-Bildhauer und -Goldschmied Benvenuto Cellini ihren Opernpremierenreigen beschließen, dann bedeutet das: Wir wollen – nach Glucks „Armida“, „Eugen Onegin“ und dem „Freischütz“ – auch ein bisschen programmatisch sein und exzentrisch. Wir wollen die Oper von ihren Reflexen befreien, nach innen wie nach außen. Attitüde oder Bekenntnis? In jedem Fall ein Versuch.

Das Glück indes war der Produktion von Anfang an nicht hold. Im Vorfeld bereits hatte Neil Shicoff die Titelpartie zurückgegeben: Als frisch gescheiterter Anwärter auf den Thron des Wiener Staatsoperndirektors wollte er weder so ohne weiteres in sein altes Sängerleben zurück noch sich einem derartigen künstlerischen Risiko aussetzen. Burkhard Fritz wiederum, der Ersatz, erwischte leider einen durchwachsenen Abend, kämpfte hörbar mit seiner Kondition und ließ früh erotischen Schmelz und tenorale Virilität missen: Mehr eine Axel-Prahl-Figur als Berlioz’ zynisch-snobistischer „bandit de génie“, mehr blasser Kraftmeier als jener „charmante Baal“, den Regisseur Philipp Stölzl in ihm angelegt wissen wollte.

Während der Proben dann zog sich Vesselina Kasarova, als Cellinis Lehrling Ascanio vorgesehen, eine Fußverletzung zu – und sagte ebenfalls ab. Ihre Einspringerin, Kate Aldrich, schlägt sich ausgesprochen wacker, in berückender stimmlicher Harmonie vor allem mit Maija Kovalevskas jugendfrischem, kernigem Sopran. Die junge Lettin, die Cellinis Geliebte Teresa singt und mit viel Verve agiert, ist die Entdeckung des Abends. Eine wahre Belcantistin, luftig-leicht im Ansatz, sauber fokussiert in der Tonproduktion und reich gesegnet bis zum Schluss mit mal keck, mal innig sich verströmenden Höhen. Neben ihr werden auch Mikhail Petrenko als Papst Clemens VII. und Laurent Naourmi als Cellinis Widersacher Fieramosca bejubelt.

Was Kasarova das ärztliche Attest allerdings versüßt haben dürfte, ist die Tatsache, dass Stölzl erst gar nicht versucht, aus Berlioz’ haarsträubender Fleckerlteppich-Dramaturgie eine auch nur halbwegs nachvollziehbare Geschichte zu generieren. Ästhetisch trifft er damit zweifellos ins Schwarze. Denn „Benvenuto Cellini“, siehe oben, folgt dem Inbegriff des romantischen Künstlerdramas nur insofern, als es dieses für seine eigenen Zwecke missbraucht, ja förmlich ausweidet. Teresas Vater, der päpstliche Schatzmeister Balducci (Brindley Sherratt), ist ein scheußlicher Geizkragen und will seine Tochter an einen Jammerlappen verkuppeln? Her mit den buffonesken Dreier- oder Viererszenen, in denen – Mozart & Rossini lassen grüßen! – garantiert der Falsche aus dem falschen Versteck gezerrt wird. Unschuldige werden verhaftet, schöne Frauen entführt, Mörder dürfen fliehen? Her mit Mänteln und Degen! Der Papst wird verhöhnt? Her mit dem deftigsten Theater-im-Theater-Spektakel aller Zeiten, und Shakespeare lebe hoch!

So rankt sich denn Episode an Episode, dreht Berlioz auf den heiligen Grundpfeilern unseres abendländischen (Musik-) Theaterdenkens eine halsbrecherisch-laszive Pirouette nach der anderen. Die Behauptung aber, hier ginge es um Kunst und wie diese gesellschaftliche Akzeptanz und Macht erlangt, höhlt sich ganz von selber aus, ist nur mehr Staffage, Attrappe. Und erschreckend modern. Die vom Papst in Auftrag gegebene Perseus-Statue etwa, an deren Gelingen Cellinis Schicksal hängt, sie wird zwar mit mächtigem Brimborium gegossen – spielt als solche aber überhaupt keine Rolle. Kunst allein um des Kunstmachens willen. Hakenschlagen, weil ein solches Opernfinale den Komponistengenius offenbar nur dann reizt, wenn er darin auch gleich ein Duell und eine Arbeiterrevolution verwursten kann. Und zum lieto fine winken dem Helden und Wüstling schließlich Teresas Hand und die Absolution für alle Schandtaten.

Den Sängern mag dies schmecken oder nicht: Auch sie sind hier nur willfährige Rädchen im schmauchenden Werkgetriebe. Nix Menschendarstellung also, keinerlei Entwicklung der Figuren, nirgends genuin dramatisch geschürzte Konflikte. Überhaupt ist Berlioz ja weit mehr Theatraliker als Dramatiker. Und Philipp Stölzl, der gelernte Bühnenbildner, Videokünstler und Filmemacher („Baby“, demnächst „Nordwand“), nimmt ihn eisern beim Wort, dreht seinerseits im Breitwandformat des großen Salzburger Festspielhauses so stilsicher wie emsig am großen Zirkus- und Showrad. Ascanio beispielsweise stapft als Roboter umher, dem, hoppla, schon mal der Kopf abfällt. Der Papst legt in geflügelter Karosse und von zwei hinreißend blonden Jüngelchen flankiert einen hinreißend kitschigen Auftritt hin – und beißt herzhaft selber in seine Oblaten. Cellini wiederum schwirrt wie 007 persönlich im Hubschrauber heran und entkommt später an einem riesigen Haken. Und als Bühne für die besagte Papst-Pantomime dient gähnend – die Pop-Ikonografie lebe hoch! – ein bauchiger roter Plastikfisch ...

Einen Filmregisseur für dieses Stück? Stölzl, der zugleich sein eigener Bühnenbildner ist (Kostüme Kathi Maurer), tappt trotz großen professionellen Geschicks in diese Falle und siedelt Berlioz’ römisches Karnevalstreiben von 1529 im beginnenden Industriezeitalter an, als auch die Bilder laufen lernten, hoch über den Dächern einer Metropolis namens Rom-New York-Paris. Die Videokünste von Stefan Kessner und Max Stolzenberg sorgen für täuschend echte Animationen (Reklamelichter, Vogelschwärme, ein Feuerwerk), Cellinis Werkstatt sieht seltsamerweise aus wie von Wolfgang Wagner persönlich entworfen – und just dieser muffige Realismus bricht der Sache über kurz oder lang das Genick.

Berlioz’ Monströsitäten mögen kaum mehr enthüllen als ein überlebensgroßes Nichts, als das Verpuffen des Tragischen im Aberwitzigen, des Melodramatischen im Oratorischen. Doch er bleibt der Meister der existenziellen Brüche. Und genau diese verweigert Stölzl. Aus Furcht vor einer Explosion oder auch vor dem Mythos Salzburg. Mit Valery Gergiev in den Ohren, der am Pult der Wiener Philharmoniker auf höchst ungefähre, extrem schludrige Weise versucht, die Partitur glattzubürsten und mit ihren Gegnern zu versöhnen, möchte man das dem Opernneuling Stölzl fast schon wieder verzeihen.

Christine Lemke-Matwey

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