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Kultur: Babylonisches Paradies

Finnische Familiengeschichten, russische Erinnerungen an die Sowjetdiktatur, ein türkischer Krimi: Die Bonner Biennale, ein einmaliges Theater-Festival, findet gerade zum sechsten – und in dieser Form zum letzten – Mal in Bonn, Bad Godesberg und Beuel statt. „Neue Stücke aus Europa“ heißt es lakonisch, und das war damals, bei der ersten Biennale 1992, völlig gegen den Trend.

Finnische Familiengeschichten, russische Erinnerungen an die Sowjetdiktatur, ein türkischer Krimi: Die Bonner Biennale, ein einmaliges Theater-Festival, findet gerade zum sechsten – und in dieser Form zum letzten – Mal in Bonn, Bad Godesberg und Beuel statt. „Neue Stücke aus Europa“ heißt es lakonisch, und das war damals, bei der ersten Biennale 1992, völlig gegen den Trend. Neue Regiestile waren gefragt, nicht neue, unbekannte Stücke aus abgelegenen, obskuren Ländern wie Mazedonien und Moldawien. Treibender Impuls der drei Erfinder, des Bonner Intendanten Manfred Beilharz und des Autorenpaares Tankred Dorst und Ursula Ehler, war Wissbegier.

Was für Stücke gibt es in Ländern wie Island, Jugoslawien, Litauen? Tankred Dorst kam auf die geniale Idee mit den Paten: In jedem Land schlägt ein Autor, der Pate, neue Stücke vor, dann wird gelesen, werden Videos geguckt, ausgesiebt, danach erst gereist. Diesmal sind die vier künstlerischen Leiter, Beilharz, Dorst, Ehler und Iris Laufenberg noch in immerhin 28 Ländern gewesen, nachdem Paten aus 39 Ländern Stücke vorgeschlagen haben.

Die erste Biennale war ein kühnes Experiment, ein Wagnis, anfangs skeptisch beäugt, postwendend ein Erfolg. Ein Fenster wurde geöffnet, ganz weit, auf das unbekannte Europa, natürlicher Schwerpunkt der Osten mit seiner Vielzahl neuer Staaten. Die Russen Vladimir Sorokin und Jewgeni Grischkowez, die Jugoslawin Biljana Srbljanovic, der Norweger Jon Fosse und der Ire Enda Walsh wurden hier entdeckt – die Biennale, die sich keinem Trend verschreiben wollte, wurde selbst Trend, treibende Kraft für die Öffnung deutschsprachiger Bühnen für ausländische Autoren.

Kein Trend, sondern Begegnungen: Hier treffen die beiden letzten Stücke von Sarah Kane „Gier“ und „4.48 Psychosis“ aus London auf Kristian Smes „Eisbilder“ aus Kemi, Lappland. Sarah Kanes poetische, verschlüsselte, rhythmische Sätze über größtmögliche Einsamkeit und höchste Verzweiflung treffen auf eine schlagend einfache, bildkräftige, trotz Dunkelheit vor Lebensdurst schier berstende Poesie aus Lappland.

Gegensätze, Ähnlichkeiten: Wenn aus Warschau mit dem Film- und Theaterstar Krystyna Janda „Helvers Nacht“ von Ingmar Villqist gezeigt wird, die tödliche Bedrohung eines seltsamen Paares, einer Frau, eines jungen, geistig zurückgebliebenen Mannes, durch ein faschistisches System, irritierend durch die Zeitlosigkeit, Übertragbarkeit dieser Bedrohung. Wenn man am selben Abend „Sprechen Sie, Petkewitsch!“ sieht, das von Erinnerungsbildern unterbrochene Protokoll einer Vernehmung einer jungen Russin durch einen Sowjetoffizier1943, nach den Erinnerungen der achtzigjährigen Autorin Tamara Petkewitsch aus St. Petersburg. Junge Leute haben daraus ein Stück gemacht.

Das Bedürfnis ist groß nach den Diskussionen nach den Stücken, den Lesungen, Gesprächen über „Grenzenlosen Transfer“. Man trifft sich im Zelt im Park von Bad Godesberg, lernt Neues über fremde Länder, fremde Menschen. Am kommenden Wochenende ist alles vorbei. Ulrike Kahle

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