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Kultur: Bach im Cyberspace

Yo-Yo Ma ist einer der besten klassischen Künstler.Doch dem Cellisten reicht das nicht.

Yo-Yo Ma ist einer der besten klassischen Künstler.Doch dem Cellisten reicht das nicht.Mit Bachs Cellosuiten und sechs Filmen wagt er den Multimedia-TripVON MANUEL BRUGDie darbende Klassikbranche hat neben den schwindenden Absatzahlen vor allem ein mittelschweres Problem: massenkompatible Künstler unter sechzig.Massenkompatibel - ein Un-Wort, aber hier geht es nicht nur um Kunst, sondern um das schiere Überleben einer Branche.Abseits der Metropolen mit ihrer (noch) eingespielten Konzertkultur, wo der ewige Kreislauf der BrendelPolliniAbbadoMutiRostropowitschBarenboim e tutti quanti noch einigermaßen intakt ist, fehlt es vor allem beim Nachwuchs an Big Names, an Tasten-Quotenkönigen und Absatzriesen vom hohen C, an der Billettkasse wie im Plattenladen. In deutschen Landen, da hat sich als unvergleichliches Qualitätsprodukt, immer frisch, blitzend und lupenrein auf den Klassiktisch, als das Fräuleinwunder neben Steffi G.nur Anne-Sophie Mutter etabliert.Dieses nicht nur mit einer bisweilen im selbstgefälligen Schönklang erstarrenden künstlerischen Leistung, sondern mit konsequenter Stilisierung und Imagepflege.Die eiserne Jungfrau unter den Viersaiterinnen startet dieser Tage ihre Deutschlandtournee, die sie - an jeweils drei Abenden - ganz der Aufarbeitung des Beethovenschen Sonatenwerks gewidmet hat (ab 8.Februar, bei weitem noch nicht ausverkauft, auch in Berlin).Außerdem hat sie gerade ein wundervolle, in ihrer Mischung aus Schönklang, aufgerauhter Modernität und nicht nur technisch vorbildlich erfüllter Zeitgenossenschaft vor Kreativität fast berstende Aufnahme des für sie komponierten 2.Violinkonzerts "Metamorphosen" von Krzysztof Penderecki vorgelegt (Deutsche Grammophon 453 507-2).Alles gut also, an der Mutter-Front. Doch wer kann neben dieser deutschen Wertarbeit bestehen? Sicher nicht all die regelmäßig betrommelten Tenorraketen, Sopransternchen und Geigennymphchen.Höchstens noch der als Person immer noch nicht ausgereifte, als spätromantischer Klavier-Donnerblitzbub freilich alle frühen Versprechen haltende Jevgenij Kissin.Doch halt - ein Künstler schickt sich augenblicklich an, nicht nur in Sachen Können und Integrität, denn die hat er seit Jahren immer wieder neu und großartig unter Beweis gestellt, ebenso wie Witz und Charme, sondern vor allem aber mit Neugier, unbeschränktem Zugang auf jede Art von Musik und multimedialen Auftritten ein Superstar zu werden - auch auf dieser Seite des großen Teiches.Er hat das Zeug: der Cellist Yo-Yo Ma. Der in Paris geborene Amerikaner chinesischer Abstammung (der Vater war Geiger und komponierte auch, die Mutter Sängerin), mit 42 in den besten Instrumentalistenjahren, wuchs längst zu einer mehr als nur zuverlässigen Größe heran.Ganz ohne Wunderkindstreß ist er flügge geworden und nun einer der ersten Instrumentalisten, technisch ohne Tadel, mit der analytischen Fähigkeit begabt, auch im Bekannten noch Neues zu entdecken, sensibel und emotional in gleichem Maße.Im Gespräch hat Yo-Yo Ma, der mit Frau und zwei Kindern seine rare Freizeit schachspielend zu Hause in Massachussetts verbringt, den positivistischen Tonfall vieler Amerikaner drauf.Das reicht von naiv bis ausgebufft, von schlagfertig bis sentimental - stets entwaffnend offen und außerordentlich liebenswürdig, immer mit dem Anspruch, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Doch Yo-Yo Ma, schon sein Name löst durch die heitere Vokalspielerei erste, freundliche Empfindungen aus, will noch mehr.Schließlich hat er nicht umsonst an der Juilliard School wie auch in Harvard immer neben dem Handwerklichen auch die Theorie gepflegt.Der Drang zum Ungewohnten, der sich vor allem seiner Plattenfirma Sony bemächtigt hat, nachdem die golden Jahre, die der Übernahme des CBS / Columbia-Archivs folgten, sehr schnell wieder vorbei waren, ist dabei ungemein hilfreich bei Mas erstaunlich gelungenen und niveauvollen Versuchen, die Grenzen der Klassik zu erweitern, mit einem unserer Multimedia- und Multikultizeit angemessenen Musikbegriff unideologisch vorzustoßen. Natürlich spielt so einer auch fleißig das Brahms-Doppelkonzert und das Dvorák-Konzert ein, ist sich für romantische Bonbon-Literatur nicht zu schade, auch wenn er deren Süßegehalt deutlich reduziert.Immer war ihm Kammermusik wichtig, der musikalische Dialog mit Berühmheiten und Freunden, am liebsten mit berühmten Freunden, wie auch erste grenzgängerische Versuche in anderen Musikidiomen, etwa bei den erfrischend witzigen CD-Unternehmungen und Live-Abenteuern mit dem Jazzgeiger Stéphane Grappelli und dem Vokalfeuerwerker Bobby McFerrin.Dabei wußte Yo-Yo Ma das eher Hilflosigkeit denn Methode verratende Zauberwort "Crossover" in so bare wie klingende Münze umzuwandeln. Auffällig ist auch seine Hinwendung zur amerikanischen Musik und zu Zeitgenössischem.Da ist sich ein nachschöpferischer Künstler mit einem starken Namen seiner impulsgebenden Energie durchaus bewußt.So hat Yo-Yo Ma Cellokonzerte von Christopher Rouse, Richard Danielpour und Leon Kirchner aufgenommen (Sony SK 66299), sicher keine Meisterwerke, aber ergiebige, das ewige Einerlei der vorhandenen Partituren bereichernde Stücke.Das gleiche gilt für die Cellosonate von André Previn, die Ma mit dem Komponisten am Klavier aufgenommen hat (SK 62004), ebenso für die nicht nur als Exotikum wirkenden Kompositionen seinen Freundes Tan Dun, an dessen bombastisch geratener "Symphony 1997" zur Übernahme von Hongkong er mitgewirkt hat (SK 63368), wie an der zum Kammerstück eingedampften Perseroper "King Gesar" eines anderen Freundes, Peter Lieberson (SK 57971). An diversen Filmmusiken war Yo-Yo Ma beteiligt, auch für das verhobene Bekenntniswerk "Fire Water Paper: A Vietnam Oratorio" des Filmkomponisten Elliot Goldenthal war er sich nicht zu schade.Ebenso erweist er mit einer durchaus Laune machenden Tango-CD (SK63122) der augenblicklich rollenden Welle seiner Reverenz.Und ganz wunderbar ist er, um sein Leben fiedelnd, auf einer CD mit von Country-, Bluegrass- und Fiddle-Musik inspirierten Kompositionen des Bassisten Edgar Mayer namens "Appalachia Waltz" (SK 68460). Dieser Tage kommt nun Yo-Yo Mas bisher ambitioniertestes Projekt in die Läden, an dem er immerhin seit fünf Jahren gearbeitet hat.Dieses besteht zunächst einmal aus einer Neueinspielung der sechs Solosuiten von Johann Sebastian Bach, dem Lordsiegel in jedem Cellistenrepertoire.An sich nicht vermerkenswert, zumal die Einspielung in ihrem gerundet schönen Wohlklang, souveränem Rhythmusgefühl, sicherer Intonation und so erzählerischer wie melodieverliebter Grundhaltung keine außergewöhnliche Katalogergänzung bietet (S2K 63203).Sie offenbart jedoch die grenzenlosen Vertrautheit Mas mit dieser Musik, die er bereits als Fünfjähriger spielte. Die Bach-Raffinesse liegt im Beipack.Unter dem Titel "Inspired by Bach" finden sich sechs Ein-Stunden-Filme der für ihre Musikvideos berühmten kanadischen Produktionsgesellschaft Rhombus Film, die in Kollaboration mit diversen Rundfunkanstalten (auch dem SFB) Yo-Yo Ma und sein venezianisches Montagnana-Cello von 1733 via Bach und für jeweils eine Suite in einem Dialog mit Partnern der unterschiedlichsten Art gebracht hat - getreu eines Gedankens von Albert Schweitzer, in Bachs Musik nie nur das Abstraktum, sondern auch das malerische und bildnerische Element dieser komponierten Strukturen zu sehen.Die Soloform wird so ergänzt, der lockere Suiten-Verlauf in seinem reihenden Gestus läßt viele Möglichkeiten. So unterschiedlich wie die Partner sind auch die Filme geraten.Der erste, als Idee und Vision schönste, zeigt Ma und die Gartenarchitektin Julie Moir Messervy bei dem in Boston erfolglosen, in Toronto ausichtsreichen Versuch, eine musikalische Landschaft aus Bäumen und Blumen als Konzertsaal ohne Wände für einen öden öffentlichen Raum zu entwerfen, dafür zu werben und Sponsorengelder einzutreiben.Um so schöner, wenn im Zeitraffer Blüten aufgehen und Ma in einem imaginären Arkadien zu jeder Jahreszeit über die Saiten streicht. Der zweite Film, "Der Klang der Gefängnisse", bringt den Musiker mit den Kerker-Phantasien Giovanni Battista Piranesis zusammen.Hier soll die Architektur der Musik aufgehellt werden, wenn der Cellist in den computergenerierten Nachbauten von Piranesis Kupferstichen sitzt, während er in Wirklichkeit nur seinem künstlich verzögerten Cello-Nachhall hinterherlauscht.Bach im Cyberspace, hier geschieht es.Konventionell mutet dagegen die choreographische Umsetzung der 3.Suite durch Mark Morris an, der zum Thema einen Treppensturz imaginiert und seine Tänzer in Kutten von Isaac Mizrahi über Stufen und durch Lichterdome hetzt, penibel jede Note als Bewegung nutzend.Der fünfte Film bringt Yo-Yo Ma mit dem japanischen Kabuki-Frauendarsteller Tamasburo Bando zusammen.Ferner Osten und Abendland treten hier in einer kostbar anzusehenden, auch Mut zum Kitsch beweisenden Bildkomposition zusammen.Ebensolches gilt für die auf das spiegelnde Eis übertragenen Notenkringel und isolierten Gesten des Kufentanzpaares Jayne Torvill und Christopher Dean, die zu sechsten Suite auch Bach selbst zu Wort kommen lassen. Den vierten Film, "Sarabande", bei dem Regisseur Atom Egoyan sich eine kaleidoskopartig flimmernde und ineinander aufgehende Spielhandlung um Huster im Konzert, um Bachs Musik im öffentlichen wie im privaten Raum, im Auto, im fremden Bett, in der Arztpraxis ausdachte, hat Yo-Yo Ma eben im Berliner Arsenal vorgestellt.Und nach dem Film sein Publikum gleich wieder mit der Live-Wiederholung eben dieser Suite verzaubert.Aber was heißt Wiederholung.Jedesmal ist Bach ein Anfang, jede wirkliche Aufführung erst das Original.Deshalb ging Yo-Yo Ma tags drauf zu den Ursprüngen, spielte die Solosuiten in der Leipziger Thomaskirche.Nach den bildnerischen und sinnstiftenden Ausflügen im Medium Film das pure Original im Konzert.Eben doch durch nichts zu übertreffen. Die sechs "Inspired by Bach"-Filme sind während der Berlinale im Forum zu sehen.

MANUEL BRUG

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